The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich
Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.
Drei Schwerpunkte: Aufenthaltsfreiheit, Diskriminierungsfreiheit, Gestaltungsfreiheit
Die Arbeitsgruppe entwickelte die drei Projektschwerpunkte Aufenthaltsfreiheit, Diskriminierungsfreiheit und Gestaltungsfreiheit (mehr Informationen finden sich in der Broschüre #urbancitizenship. Stadt und Demokratie, Shedhalle 2016). (*9) Aus Platzgründen sei hier nur der dritte Schwerpunkt eingehender beschrieben. Die Idee des „Salon Bastarde“ als konkrete Intervention in die Schweizer Migrationspolitik entstand aus dem Projektschwerpunkt „Gestaltungsfreiheit“. Darin wurden konkrete Modelle von „Urban Citizenship“ zum Schwerpunkt „kulturelle Teilhabe“ (cultural citizenship) entwickelt. Dazu veranstalteten die Schwerpunktverantwortlichen Kijan Espahangizi und Rohit Jain mehrere Hafengespräche, zu denen sie Zürcher Kulturschaffende mit Migrationshintergrund oder Rassismuserfahrung einluden. Mit dem „Salon Bastarde“ entstand die Idee einer konkreten kulturpolitische Intervention in Form einer Veranstaltungsreihe ab Herbst 2016. Ziel des Salons ist die Stärkung von Kontexten rassismuskritischer Repräsentationspolitik und kultureller Teilhabe im öffentlichen Raum. Nach einem KickOff im Herbst (in der Shedhalle) folgt eine Serie von Anlässen an unterschiedlichen kulturellen Orten und Institutionen in Zürich. Die Veranstaltungen sind gleichzeitig Bildungsangebot, künstlerisches Format, wissenschaftliche Reflexion und politische Intervention, die genannten Formate werden kritisch, experimentell und unterhaltsam kombiniert. Gestaltungsfreiheit wird dabei sowohl als selbstorganisierte Bildung einer rassismuskritischen, post-migrantischen Community in Zürich als auch als Aneignung und Vervielfältigung hiesiger öffentlicher Räume verstanden. Jeder einzelne „Salon Bastarde“-Abend besteht einerseits aus einem Bildungsformat, in dem Rassismus in Zürich und in der Schweiz anhand theoretischer, künstlerischer und politischer Analysen (mit internationalen Gästen) sowie anhand persönlicher Erfahrungen gemeinsam reflektiert wird. Dieses Format eines „Bildungsraums“ soll vorhandenes rassismuskritisches Wissen weiterentwickeln und einzelne Erfahrungen zueinander in Beziehung setzen. Dadurch sollen das Empowerment und die Vernetzung unter Menschen mit Rassismuserfahrung sowie institutionelle rassismuskritische Allianzen gefördert werden. Anschließend findet als zweiter Teil jeweils eine Abendveranstaltung statt, in der lokale und internationale Kulturschaffende (mit Migrationshintergrund) das Thema Rassismus kritisch, experimentell und unterhaltsam bearbeiten.
Demokratisierung als Prozess
In der Mitte der Laufzeit des Projekts (zum Jahreswechsel 2015/2016) zeigte sich, dass das Thema in Zürich und der Schweiz angekommen war. Zahlreiche Anfragen für Vorträge (in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen in St. Gallen, Bern, Basel, etc.) zeugten vom großen Interesse am Thema „Urban Citizenship“, insbesondere aber die Attraktivität der konkreten Idee der „City Card“. Damit ist eine „Berechtigungskarte“ für alle BewohnerInnen einer Stadt gemeint, die ihnen unabhängig vom Aufenthaltsstatus Zugang zu sozialen Dienstleistungen bietet (z.B. Gesundheitswesen, städtische Schwimmbäder und Bibliotheken, gilt als gültiges Dokument gegenüber der Polizei, der Meldebehörde, etc.). Umgesetzt wurden derartige City Card Projekte beispielsweise in New York City (seit Beginn 2015).
Hier ist zu betonen, dass die „Übersetzbarkeit“ einer solchen Idee in verschiedene Kontexte an Grenzen stößt, sobald sie von der jeweiligen konkreten Situation vor Ort abstrahiert wird. Zentral ist – wie weiter oben betont – die Analyse der jeweiligen (politischen) Kräfteverhältnisse und die Zusammensetzung der jeweils stattfindenden sozialen Kämpfe. Ein Gedeihen der Idee in den erwähnten Schweizer Städten ist aus heutiger Einschätzung durchaus realistisch.
Auch die Verbindung zu sozialen Bewegungen konnte gestärkt werden. Am 7. Februar 2016 diskutierten im Rahmen des aus dem „Kongress der Migrantinnen und Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund“ hervorgegangenen Stadtforums „Wir alle sind Zürich“ über 550 Interessierte in der Shedhalle über ein (post)migrantisches Recht auf die Stadt und neue Möglichkeiten in der Schweizer Migrationspolitik. Der inhaltliche Fokus wurde ebenfalls auf das Thema „Urban Citizenship“ gelegt. Der Politikwissenschaftler Mathias Rodatz wies in seiner Keynote darauf hin, dass Städte einen der wichtigsten Schauplätze für Forschung und politisches Handeln bieten: „Solange sich postnationale Staatlichkeit nicht weiter ausgebildet hat, sollten wir unseren Blick auf die Städte richten. Denn dort erleben wir täglich die Krise des Prinzips nationaler Zugehörigkeit und dort können wir lernen, unsere Konzeption von Bürgerschaft zu überdenken.“ In dieser Aufforderung formulierte Rodatz drei zentrale Thesen: Erstens: es gibt eine zunehmende Krise nationalstaatlicher Organisation von gesellschaftlichem Ausgleich und Demokratie. Zweitens: Diese Krise zeigt sich verdichtet in unseren Städten. Und drittens: Dort lässt sich beobachten, wie sich neue Formen von Vergesellschaftung und Bürgerschaft entwickeln, die aus dieser Krise herausführen können (siehe auch: Rodatz 2014). (*8)
Katharina Morawek ( 2016): The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich. Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/the-whole-world-in-zurich-die-ganze-welt-in-zurich/