To make a difference? Künstlerische und mediale Interventionen im Kontext von Flucht

Ein Symposiumsbericht

Auch im Vortrag des Journalisten simon INOU, der an zahlreichen Projekten mitgearbeitet hat und mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, ging es um die mediale Berichterstattung. Er erzählte seine persönliche Fluchtgeschichte: Wegen eines Einreiseverbots in Kamerun blieb er in Österreich – wo er zufällig aufgrund eines Kongresses war, um einen Vortrag zu halten. In der österreichischen Medienlandschaft konnte er Fuß fassen, indem er medienkritisch zu den Themen Afrika und Flucht arbeitete. Zunächst auf Englisch und Französisch, denn zu Beginn hatte simon INOU noch keine Deutschkenntnisse. „Aber ich wurde gehört“, berichtete er. Das grundlegende Problem sei nämlich: „Wir kommen nicht zu Wort.“ Flüchtende bleiben oft unerwähnt, ungehört, ungesehen – eben auch in der medialen Berichterstattung. Doch in den Perspektiven der schreibenden Personen sieht er den Schlüssel für vielfältige und rassistisch-kritische Medien. Denn „wir sind verhaftet in unseren Bildern“, sagte er. Jene Bilder, mit denen wir aufgewachsen sind, prägen uns und unseren Blick auf die Welt. Dieser Gedanke soll bei der kritischen Medienarbeit stets im Fokus stehen, damit bewusst mit dieser Verantwortung umgegangen werden kann. simon INOU engagiert sich für verschiedene Projekte und setzt sich für die Vereinfachung von Kommunikation ein. Denn es gehe darum, Brücken zu schaffen, um andere Perspektiven sichtbar zu machen. „Wer spricht? Und wer spricht für wen? Kann ich für mich sprechen?“

Vortrag von simon INOU

Vortrag von simon INOU

Zu Wort kamen auch Tina Leisch und Johnny Mhanna von der Schweigenden Mehrheit. Das Kollektiv hat sich im Sommer 2015 nach Ankunft vieler Flüchtender gebildet, um auf die katastrophalen Zustände im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen aufmerksam zu machen. Sie erzählten, wie sich das Kollektiv aus geflüchteten Menschen und österreichischen Künstler*innen bildete und wie sie das Theaterstück Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene nach einem Text von Elfriede Jelinek umsetzten. Die Uraufführung fiel genau in jene Zeit, als die Grenzen zu Ungarn geöffnet wurden und unzählige Flüchtende Schutz suchten. „Mitten in dieser sogenannten Willkommenskultur haben wir dieses Stück gemacht“, so Tina Leisch. Begleitet von Videomaterialien berichteten Leisch und Mhanna von ihren Erfahrungen, die sie mit dem Kollektiv und Reaktionen darauf gemacht hatten. Johnny Mhanna erzählte seine Fluchtgeschichte, wie er in Wien zu dem Projekt gekommen ist und wie das Theaterstück aufgebaut wurde; Improvisation wurde in den Proben großgeschrieben. Er spielte – als ausgebildeter Schauspieler – einen seiner arabischen Lieblingsmonologe vor, der spontan in das Stück eingebaut worden war.

Johnny Mhanna machte eigenen Aussagen zufolge seine erste rassistische Erfahrung in Österreich in einer ihrer Vorstellungen, die von den Identitären gestürmt wurde. „Sie haben keine Waffen gehabt“, sagt der Schauspieler, „aber Horror braucht keine Waffen.“ Nach diesem Vorfall wurde klar: Es gibt Grenzen der Übersetzungsarbeit; sowohl wörtliche, als auch kulturelle. „Es musste natürlich einiges erklärt werden“, erläuterte Tina Leisch, die sich im Regieteam engagierte. Wer sind die Identitären, und warum agieren sie feindlich und aggressiv? Aber auch Elfriede Jelinek, ihr Text und dessen Bedeutung erforderten kulturelle und wörtliche Übersetzungsarbeit. Hier zeigt sich die zu Beginn von Anita Moser angesprochene Ambivalenz: Denn sowohl die Übersetzungsarbeit, aber vor allem die hierarchischen Strukturen des Theaters finden sich auch in diesem Projekt wieder. In Hinblick auf einen sozialen Ausgleich hat das Regieteam auf alle Einnahmen verzichtet und soziale Verantwortung für die Mitspielenden übernommen. So bekamen diese Hilfe bei Asylanträgen, Unterkunftssuchen etc. Das Kollektiv wurde zu einem privaten Netzwerk, das für alle Beteiligten offenstand. Das zeigt: Theater kann eine politische Intervention sein.

Tina Leisch und Johnny Mhanna

Tina Leisch und Johnny Mhanna

Path Out steht kostenlos zum Download zur Verfügung. Dabei gilt „Name your own price” – sobald genügend Geld für ein weiteres Kapitel bzw. Level zusammengekommen ist, wird an einer Fortsetzung gearbeitet. Das Spiel hat bereits eine große Reichweite an Menschen erreicht und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Anna Sophie Felser ( 2018): To make a difference? Künstlerische und mediale Interventionen im Kontext von Flucht. Ein Symposiumsbericht. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/to-make-a-difference-kuenstlerische-und-mediale-interventionen-im-kontext-von-flucht/