Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability
II. Kultur für alle und mit allen im Sinne einer kulturwissenschaftlichen Perspektive auf Behinderung*
Weil „Kultur für alle, mit allen und von allen“ gedacht ist, hat sie zentral mit der Frage von Inklusion und Exklusion zu tun (vgl. Hoffmann 1981: 35; s.a. ebd.: 18 f.). (*5)
Inklusion ist in aller Munde und wird in unterschiedlichen Kontexten gebraucht. Doch was bedeutet das genau?
Inklusion und Integration – Begriffsdefinitionen
Die Bezeichnung „integrativ“ scheint heute nicht mehr zeitgemäß, denn der Begriff „Integration“ verweist auf den Gedanken, dass es hier die eine homogene Gruppe, dort die andere und wieder dort eine weitere homogene Gruppe gäbe, jene, die „integriert“ werden müsse. Integration*5 *(5) beschäftigt sich mit der Frage, wie diese unterschiedlichen Gruppen also zusammengebracht werden können.
Inklusion hingegen geht davon aus, dass Menschen generell individuell und verschieden sind. Es geht folglich darum, wie mit dieser Verschiedenheit umgegangen wird (vgl. Georgi 2015: 25 ff.; (*2) Hinz 2015: 288; (*3) Wansing 2015: 51). (*19)
Warum ist bei Inklusion dann die Rede davon, dass einzelne Personengruppen, wie Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationserfahrung, geflüchtete Menschen, sozial benachteiligte Menschen, Inter*- und Trans*-Personen,*6 *(6) Menschen mit „anderen kulturellen Herkünften“ oder „anderen sexuellen Orientierungen“ etc. in die Gesellschaft „inkludiert“ werden sollen (Quix-Kollektiv 2016: 93)? (*6) Verweist diese Art der Umsetzung von „Inklusion“ nicht eher auf den Integrationsgedanken?
All diese Überlegungen der „Integration“ des „Anderen“ gehen davon aus, dass all diese genannten Personengruppen „die Anderen“ sind und machen die Personen somit „zum Anderen“.
Damit einher geht es in besonderem Maße um Machtfragen und normative Ordnungsmuster, welche die gesellschaftliche Ordnung und ihre Ein- und Ausschlüsse legitimieren (vgl. Georgi 2015: 25; (*2) Köbsell 2012: 42; 46). (*9)
Doch haben wir nicht alle irgendwelche Anteile „des Anderen“?
Es wäre jedoch viel zu kurz gegriffen zu sagen „wir sind alle behindert*, haben alle Migrationserfahrung, haben alle Erfahrung mit sozialer Benachteiligung etc.“.
Denn diese Behauptung und die tatsächlichen Erfahrungswelten von Behinderung, Migration, Geschlecht, sozialer Benachteiligung u.v.m. im Kontext gesellschaftlicher Regulierungen sind weit entfernte Pole. Die unterschiedlichen Erfahrungen wiederum stehen auf ganz verschiedenen Realitätsebenen zueinander. Sie sind mit spezifischen Erfahrungen in unserem gesellschaftlichen Normierungssystem verbunden.
Deshalb muss umso mehr und umso genauer darauf geachtet werden, was der jeweilige Mensch wirklich braucht und was die Erfordernisse sind!
Auf Behinderung* bezogen, ist es beispielsweise ein Faktum, dass jeder Mensch nur einen „Temporarily Abled Body“ (einen zeitweise fähigen Körper) hat. Denn alle Menschen können im Laufe ihres Lebens und zu jeder Zeit immer wieder „behindert“, chronisch krank etc. sein oder werden. Behinderung wird jedoch in unserer nach Norm strebenden Gesellschaft nur „tatsächlich behinderten“ Menschen zugeschrieben.
Ebenso ist kein Mensch in jeder Situation bzw. ausschließlich beeinträchtigt. Die Beeinträchtigung besteht immer in Bezug auf eine gewisse Situation (vgl. Kafer 2013: 25 f.; s.a. ebd.: 28; (*7) Magdlener 2015: 188; (*12) McRuer 2006a: 302-305; (*13) ders. 2006b: 2). (*14)
Bei der kulturwissenschaftlichen Betrachtung von Behinderung* geht es nicht mehr um eine Problematisierung von Behinderung, sondern um das Zusammenspiel von Normalität und Abweichung und deren Verhältnis zu Begriffen wie Gesundheit, Funktionieren, Leistungen oder auch Schönheit (vgl. Kafer 2003; (*8) dies. 2013: 5 f.; (*7) Magdlener 2015: 187; 189; (*12) McRuer 2006a: 302 ff.; (*13) ders. 2006b: 2; 26; 31; (*14) Waldschmidt 2017: 20-26). (*18)
Und folglich werden Behinderung, Stigmatisierung, Normalität und somit auch Inklusion und Exklusion beispielsweise erzeugt, wenn Menschen mit Behinderungen* in Sondereinrichtungen wie Beschäftigungstherapien*7 *(7) mit Schwerpunkt auf Tanz oder digitalen Medien untergebracht werden anstatt wie nicht-behinderte* Kulturschaffende auch als Performer_innen oder im Medienbereich zu arbeiten. Denn insbesondere dadurch entsteht Exklusion. Behinderung ist somit auch Resultat politischer Umsetzungen (vgl. McRuer 2006b: 150 f.; (*14) ders. 2006a: 304; (*13) Waldschmidt 2017: 25 f.; (*18) Wansing 2015: 46). (*19) An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Frage von Inklusion und Exklusion auch auf den Kunstbereich und Mediensektor zutrifft.
Elisabeth Magdlener ( 2018): Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/ueber-koerper-kulturelle-normierung-und-die-anforderung-einer-kultur-fuer-alle-im-kontext-von-dis_ability/