Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability

Aber auch wir behinderten* Menschen sind nicht nur behindert*, sondern auch privilegiert. Wir sind oftmals auch weiß, heterosexuell, in dem Land geboren, in dem wir leben, oder Akademiker_innen. Wir sind oftmals nicht von Obdachlosigkeit betroffen u.v.m. Nicht nur wir Menschen mit Behinderung* werden in einer ableistischen Gesellschaftsstruktur diskriminiert, sondern es werden auch Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe bzw. kulturellen Herkunft in einer rassistischen Gesellschaftsstruktur benachteiligt. Auch Klasse, Geschlecht und sexuelle Orientierung u.v.m. spielen in einer diskriminierenden Gesellschaftsordnung eine entscheidende Rolle. Unsere Gesellschaftsstruktur ist also gleichzeitig ableistisch, rassistisch, klassistisch u.v.m. (vgl. Hutson 2010: 62;star (*4) Magdlener 2017: 18 f.).star (*11)

Räumliche Barrierefreiheit ist der erste und äußerst grundlegende Schritt zur Überwindung von Barrieren in den Köpfen der Menschen. Erst wenn räumliche Barrierefreiheit gegeben ist, können wir Begegnungen starten. Rampen, stufenlose Zugänge und barrierefreie WCs sowie Leitsysteme und Audiodeskription für blinde Menschen, Übersetzungen in Leichte Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten*, Gebärdensprache u.v.m. sind das allererste, kleine und sehr grundlegende Krümel an Barrierefreiheit. Hier beginnt es erst und hört nicht auf! Auch das Fehlen von rauchfreien Räume und veganem bzw. allergengekennzeichnetem Essen kann eine Barriere darstellen. Überdies spielt die (Selbst-)Repräsentation von Menschen mit Behinderungen* und das Einbringen ihrer Belange und Lebensrealitäten bei (kulturellen) Veranstaltungen eine wichtige Rolle.

Einfache und kostengünstige Lösungen wie eine selbstgebaute Rampe überwinden ebenso Barrieren. Um wirklich barrierefrei zu veranstalten gibt es beispielsweise in der Broschüre zur barrierefreier Veranstaltungsplanung von AK-Mob (http://www.ak-mob.org/…/broschuere-barrierefrei) hilfreiche Tipps. Erst auf dieser Basis können wir über ein Miteinander in Wertschätzung und Respekt und über Gemeinschaft u.v.m. nachdenken.

Damit diese Begegnung auch auf Augenhöhe passiert, braucht es aber noch viel mehr. Diskutieren wir alle miteinander darüber, was wir alle brauchen! Denn ignorante Umgangsweisen in unserer Gesellschaft sind nicht nur auf Behinderung* beschränkt, sondern beziehen sich genauso auf kulturelle Herkünfte, Religionen, Hautfarben, Alter, Sprachen, Geschlecht etc.

Um diese Gedanken weiter zu denken, möchte ich mir nun die Frage stellen, was „Kultur und Teilhabe von allen mit allen“ bedeutet und wie eine dementsprechende Umsetzung aussehen könnte.

 

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Vorweg möchte ich festhalten, dass ich den Begriff „Dis_ability“, also „Behinderung“ in diesem Artikel stellenweise sehr stark auf körperliche Behinderung* beziehen werde. Der Inhalt des Beitrags betrifft jedoch gleichermaßen Ability in Bezug auf psychische und mentale Zusammenhänge sowie chronische Erkrankung* u.v.m. Die Schreibweise des Unterstrichs wird im Sinne einer Widerständigkeit synonym mit jener des Sternchens verwendet, um einseitige gesellschaftliche Zuschreibungen und Bewertungen hinsichtlich Behinderung, Geschlecht etc. sichtbar und flexibler zu machen und damit aufzuweichen. Dabei verwende ich den Unterstrich sowie das Sternchen auch in Bezug auf Behinderung etc., um auch dies gebräuchlich zu machen (vgl. Baumgartinger 2008 insbes. S. 26 ff., 34; Herrmann aka s_he 2003).

Im Verlauf dieses Artikels werde ich, im Gegensatz zu den Gebräuchlichkeiten, Begriffe kursiv bzw. unter Anführungszeichen schreiben, um gesellschaftlich existierende Normen hervorzuheben.

Dis_ability kann unterschiedlich geschrieben werden: DisAbility, Dis/ability, Dis_Ability. Ich möchte im folgenden Text durch die unterschiedliche Schreibweise die verschiedenen Möglichkeiten betonen und gleichzeitig auf die vielen „Fähigkeiten“ von Menschen mit DisAbility hinweisen.

Der vorliegende Text ist auf Basis eines Vortrags im Rahmen der Gesprächsreihe „Kultur für alle und mit allen“ am Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst, einer Kooperation der Universität Salzburg mit dem Mozarteum Salzburg, entstanden.

Integration wird von unterschiedlichen Personengruppen schon seit den 1970er-Jahren heftig als Anpassung an die Normen und Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft kritisiert und problematisiert. Die nicht-behinderte Mehrheit ist es beispielweise dann, die über die Integration von behinderten* Menschen entscheidet, nicht aber diese selbst. Integration müsse also immer ein gesellschaftliches Machtgefälle beinhalten, denn die nicht-behinderte gesellschaftliche Mehrheit entscheidet, welche Menschen als „integrierbar“ gelten und welche „nicht“ und welche Integration „gelungen“ ist (vgl. Köbsell 2012: 43; Georgi 2015: 25; Sierck 1991: 29).

Der Begriff Trans*-Person bezeichnet Personen, die nicht das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht leben. Mann-zu-Frau = Trans*Frau oder Frau-zu-Mann = Trans*Mann. Manche Trans*-Personen finden sich in der sich gegenseitig ausschließenden Zuordnung von Mann und Frau nicht wieder. Sie erweitern die Vielfalt der Geschlechter jenseits von Mann und Frau (s.a. Quix-Kollektiv 2016: 93). Der Begriff Inter* beschreibt „Menschen, deren Genitalien, Hormonproduktion oder Chromosomen nicht der medizinischen Norm von ‚eindeutig männlichen‘ oder ‚weiblichen‘ Körpern zugeordnet werden können.“ (ebd.)

Aktuell werden diese beschönigend als Tagesstrukturen bezeichnet.

Einzelne Passagen dieses Textes sind aus der Masterarbeit „Cripping Dance and dancing Crips? Über die Verhandlung des Körpers im inklusiven Tanz und das Potenzial des Aufbrechens der Kategorie Disability am Beispiel des Kontakttanzes DanceAbility“, Universität Wien, entnommen und auf die Thematik des Artikels bezogen.

Elisabeth Magdlener ( 2018): Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/ueber-koerper-kulturelle-normierung-und-die-anforderung-einer-kultur-fuer-alle-im-kontext-von-dis_ability/