„Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“

Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.

Sie war im Raum drin?

Nein, sie hat den Raum aber mit uns gestaltet. Man sollte den Eindruck haben, dass sie nur gerade mal kurz rausgegangen ist und das hat auch gut funktioniert. Das war ein Raum, der tatsächlich super funktioniert hat, weil viele Kinder, die zu uns kamen, beschnitten waren oder es ihnen bevorstand. Andere hatten davon schon mal gehört, wussten aber gar nicht, was das ist. Die Kinder sind mitunter darüber ins Gespräch gekommen. Die Ausstellung stand sehr lange. Sie war als Dauerausstellung geplant. Irgendwann, vor sieben Jahren circa, haben wir gemerkt, dass das überholt ist. Wir schaffen damit eine Atmosphäre, die hinter dem liegt, was wir eigentlich wollen. Der Fokus sollte gar nicht mehr so stark auf der Kultur der Ursprungsländer liegen. Viele, die gekommen sind, waren längst zweite, dritte Generation mit ganz anderen Haltungen und Auseinandersetzungen. Für die war das auch das Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern, aber nicht mehr ihre eigene Geschichte. Das bedarf einer Überarbeitung dieser Ausstellung. Wir haben jetzt insgesamt 15 Personen. Es gibt auch eine, die in Berlin aufgewachsen ist. Das ist unsere älteste Bewohnerin, die ist jetzt gut 80. Es gab auch eine sehr berechtigte Kritik an der Ausstellung, dass wir eigentlich ein Othering an allen möglichen Kulturen machen. Es kamen Leute in die Ausstellung, die gern mal in ein deutsches Wohnzimmer gehen würden. Warum gibt es hier das nicht? Das fanden wir absolut gerechtfertigt und jetzt heißt die Ausstellung Villa Global – The Next Generation. Das ist eigentlich auch das, was es ist.

Und inwiefern zeigt sich die Änderung zwischen der ersten und der zweiten Ausstellung?

Jetzt ist es überhaupt nicht mehr auf Kultur fokussiert. Unser Fokus war eher, Leute vorzustellen, von denen wir denken, dass sie für ein junges Publikum interessant sein könnten und die vielleicht auch Brüche haben. Herkunft ist dabei nur eine Facette von ganz vielen. Wir haben zum Beispiel Jonni, einen Rapper, der das für Jugendliche sehr bekannte (Anm.: Internetfernseh-)Format Rap am Mittwoch gegründet hatte. Das ist erst mal spannend und irgendwie cool. Im Raum kann man Raps hören und es gibt Ausschnitte aus Rap am Mittwoch. Wenn die Jugendlichen dann ein bisschen im Zimmer recherchieren, erfahren sie, dass Jonni als Kind aus Israel gekommen ist. Er ist Israeli und Jude. Die Reaktionen, die wir auf dieses Zimmer kriegen, wenn wir mit Jugendlichen dort arbeiten, sind manchmal auch deftig. Da gibt es viele arabische Kinder und Jugendliche, die durch die israelpolitische Entwicklung einen ganz neuen Antisemitismus entwickeln, und viele Kinder und Jugendliche aus den Klassen, mit denen sie befreundet sind, die diesen einfach unhinterfragt übernehmen. Manche sind dann richtig hin und her gerissen. Sie finden Jonni cool, merken dann aber, dass sie ihn gar nicht cool finden dürfen, weil er zu den Feinden gehört. Das greifen wir dann als Auseinandersetzung auf. Wenn das kommt – und das kommt manchmal auch mit einer großen Dynamik, weil sie sich gar nicht in ihrem Engagement zurückhalten können –, reden wir darüber oder spielen damit. Wir machen eine Szene oder fragen: „Warum kannst du ihn eigentlich nicht mögen, nur weil er Jude ist? Was heißt das eigentlich?“ Das ist ja eine sehr umfassende Abschottung von Menschen, weil es ja hier um diese eine Person geht.

Wie bereitet ihr solche Momente vor? Wie wird das in diesem Raum vermittelt? Man geht da rein und da liegen Gegenstände? Wie ist das genau?

Das ist ein kleiner Raum, den Jonni auch mit uns gemeinsam eingerichtet hat. Bei Jonni konkret gibt es einen Sitzsack und einen kleinen Schreibtisch, auf dem ein Skizzenbuch von ihm liegt. Das ist ein Faksimile, nicht das Original. Sonst sind das immer Originalobjekte. Aber da hast du den Eindruck, dass er das gerade geschrieben hat. Auf dem kleinen Monitor laufen auch Raps. Du kannst über die Objekte eigentlich viel rausfinden. Es gibt diesen Schreibtisch, es gibt eine Pinnwand, wo er Fotos angepinnt hat, in irgendeinem Regal ist ein Päckchen, das ihm geschickt worden ist. Das ist auch ein Originalpaket, wo ein Freund oder seine Eltern ihm etwas aus Israel geschickt haben. Du musst schon tief gucken, um herauszufinden, wer das ist.

Aber dass er jüdisch ist, das erschließt sich jetzt in dem Fall indirekt?

Genau. Es gibt auch Objektkarten. Das ist neu, das hatten wir in der ersten Villa Global nicht. Das ist ein kleines Kästchen im Zimmer, wo du Fotos von einzelnen Objekten aus dem Raum siehst. Wir haben mit allen Leuten, die in der Ausstellung präsentiert werden, lange Interviews geführt. Da sind dann Zitate aus den Interviews zu sehen und diese Person erzählt etwas zu diesem Objekt oder wofür das steht oder warum das ein wichtiger Teil ihres Lebens ist.

 

Marcel Bleuler, Ellen Roters ( 2019): „Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“. Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/um-sich-bestimmten-themen-anzunaehern-brauche-ich-auch-die-gefuehrte-freiheit/