„Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“

Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.

Wo die verschiedenen Gruppen dann zusammenkommen?

Insgesamt sind es drei Kleingruppen pro Klasse und pro Kleingruppe noch einmal drei bis maximal vier Untergruppen, die sich einzeln die Zimmer ansehen. Die treffen sich dann in dieser Kleingruppe als Redaktionsteams und versuchen zusammenzutragen, was sie rausfinden konnten, welche Fragen sie dazu haben oder wie sie dazu stehen. Dann gibt es eine Pause, wo die Kinder auch rausgehen sollen, um sich ein bisschen auszutoben. Hinter dem Museum gibt es einen ganz schönen Park mit großem Spielplatz. Wir bieten dann immer Tee an und machen wieder ein Spiel daraus. Die, die vorher den Tee ausgeschenkt hat, zieht sich so eine Schürze an und spielt eine Cafébesitzerin. Dann kommt eine Person und will mitmachen. Die sagt dann, dass sie Handwerkerin oder Handwerker ist und nimmt sich einen Overall. Dann fangen die ein bisschen an zu spielen. Sie ziehen sich vor den Kindern um und das ist ganz schön, weil es trotzdem gelingt, in diese Spielsituation einzudringen. Dann kommt eben diese Handwerkerperson zu der Cafébesitzerin und sagt: „Ich ziehe um. Willst du dir nicht überlegen, ob du hier einziehen willst? Das ist viel näher für dich.“ Sie erwidert dann: „Ich weiß ja nicht genau. Wie ist denn die Atmosphäre hier? Mir ist schon wichtig, in einem Haus zu wohnen, wo die Leute irgendwie auch cool sind.“ Dann kommt die dritte, wir sind ja immer drei. Die bleibt Pädagog*in und sagt: „Ich habe da eine Idee. Hier sind ganz viele, die sich gerade sowieso schon mit den Leuten beschäftigen und vielleicht können die dir ein bisschen was über die Leute erzählen.“ Dann haben wir noch mal Zeit, in die Tiefe einzusteigen. Es gibt von allen Bewohner*innen kurze Videoaufnahmen von diesen Interviews. Sie können sich dann die Videos der Personen noch mal ansehen und haben den Auftrag, am Ende dieses Projekts dieser Cafébesitzerin oder diesem Cafébesitzer einen Einblick in die Nachbarschaft zu geben. Die Person sagt dann selbst: „Am liebsten wäre es mir ja, ich würde durchs Schlüsselloch gucken, was die eigentlich so machen.“ Das motiviert dann ein bisschen, entweder eine Szene zu spielen oder so zu tun, als würde man aus der Ich-Perspektive etwas berichten. Das ist dann sehr fantasievoll, was sie daraus machen. Es kommt darauf an, worauf sie auch Lust haben. Wir haben relativ viele Requisiten. Es gibt einen Bewohner, Alex, der Gitarre spielt und wir haben auch als Requisite eine Gitarre. Da können sie auch darauf spielen, wenn sie das denn können. Am Ende tragen dann alle zusammen, was sie rausfinden konnten, weil auch diese Kleingruppen ja nur einen Teil der Räume gesehen hat.

Sind eigentlich auch die Lehrer*innen bei diesen Museumsbesuchen dabei?

Wir bitten die Lehrkräfte immer, nicht in der Kleingruppenarbeit dabei zu sein. Wir haben eigentlich in allen Projekten gemerkt, dass andere Fragen kommen und es andere Diskussionen gibt, wenn doch mal Lehrkräfte dabei sind. Wir geben keine Zensuren. Wir kennen den Kontext nicht, wir kennen die Eltern nicht. Es gibt auch Streit und wir sind auch laut. Da kann etwas anderes passieren, als wenn eine Person dabei ist, die diesen schulischen Auftrag hat. Für die Lehrkräfte ist es auch oft großartig. Sie sind natürlich dabei, wenn dann die Präsentation stattfindet. Die Rückmeldung von Lehrkräften ist dann oft, dass sie sich gar nicht gedacht hätten, dass sich XY auf die Bühne stellt und was sagt. Oder sie wussten etwas gar nicht, weil sie ganz oft eigene Lebensgeschichten erzählen.

 

Das Museum als Rahmen für die Auseinandersetzung

Glaubst du, dass in diesem Setting Auseinandersetzungen stattfinden, die im normalen Leben nicht stattfinden könnten? Ist dieser Kontext vom Museum oder auch von einer Kulturinstitution wichtig für die Gespräche und vielleicht auch die Erfahrungen, die da passieren?

Ja, ich glaube das schon. Ich habe ein weiteres Beispiel, das wieder in Richtung All Included geht. Einmal kam eine multinational zusammengesetzte Gruppe in die Villa Global. Die Person, die diese Gruppe angemeldet hatte, hat mir nach dem Besuch eine Mail geschrieben und als Feedback gesagt, dass allein dadurch, dass diese Ausstellung bei uns im Museum war, ihr die Möglichkeit gegeben wurde, mit dieser Gruppe anders zu sprechen. Sie habe immer wieder versucht, vielfältige Lebensweisen der Gruppe deutlich zu machen und war dabei immer auf Mauern gestoßen. Sie sagte, dass die Ausstellung zu dem Thema in einem Museum eine ganz neue Basis für die Auseinandersetzung gab. Die Mitglieder der Gruppe seien mit einer Realität konfrontiert worden, die da war, auch wenn sie nicht wollten, dass es sie gibt.

Es wird also etwas erlebbar, auf das man sich sonst nicht einlassen würde.

Genau. Wie bei Cem, dem schwulen Mann. Da ist klar, du hast gelernt und hast die Haltung, dass es so etwas bei euch nicht gibt. Diese konkrete Person gibt es ja jetzt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Du musst sozusagen realisieren: Offensichtlich gibt es das doch.

Marcel Bleuler, Ellen Roters ( 2019): „Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“. Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/um-sich-bestimmten-themen-anzunaehern-brauche-ich-auch-die-gefuehrte-freiheit/