„Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“

Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.

Glaubst du, dass es eher die Bereitschaft gibt, sich im Rahmen eines Museums darauf einzulassen als in der richtigen Welt draußen?

Ja, weil ich einen Rahmen schaffe. In der richtigen Welt gibt es ja keine Rahmung des Themas. Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit. Ich brauche eine Orientierung. Was erforsche ich da jetzt? Auch bei diesem Mädchen, das versucht hat herauszufinden, ob das stimmt, was ihr Islamlehrer gesagt hat, haben wir nicht gesagt, dass sie ins Archiv gehen soll. Da wäre sie verloren gewesen. Sie hat aufbereitetes Material gefunden, das für sie einsehbar und verständlich war. Das hat eine Rahmung geschaffen, in der sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen konnte. Ich glaube, das macht viel aus.

Zu Beginn unseres Forschungsprojektes zu Kultureller Teilhabe im Land Salzburg haben wir das Motto „Kultur für alle“ lange diskutiert, vor allem mit der Frage: Wer ist „alle“? Ist diese Frage für euch relevant oder tritt sie dadurch ein bisschen in den Hintergrund, dass ihr mit Schulklassen arbeitet, die sowieso einen Querschnitt bilden?

Die Motivation, mit Schulklassen zu arbeiten, ist auch eine Antwort auf diesen Bedarf, Kultur für alle möglich zu machen. Ich finde es großartig, mit Schulklassen zu arbeiten, denn da sind alle. Wir haben viele Klassen aus allen Bezirken. Wenn ich eine Klasse aus dem Bezirk Zehlendorf im so genannten Speckgürtel habe, habe ich ganz andere Jugendliche mit ganz anderen Problematiken, als wenn ich Jugendliche aus der eben erwähnten Nachbarschaft habe.

Im Zusammenhang mit unserem Forschungsprojekt interessiert es uns, inwiefern die Politik oder die Kunst-/Kulturförderung eine solche Arbeit zu unterstützen vermag. Gibt es aufgrund deiner Erfahrung Wünsche oder auch Forderungen, die du an die Kulturpolitik hättest?

Vor allem ein anderes Format von Finanzierung. Wir hangeln uns von einem Modellprojekt zum anderen. Damals waren sie drei Jahre lang, jetzt sind es maximal fünf Jahre. Wir müssen aber immer modellhaft arbeiten. Das heißt, wir müssen uns eigentlich immer neue Formate überlegen. Die können aufeinander aufbauen, aber eigentlich muss es immer wieder etwas Neues sein. Wenn wir merken, dass sich das Alte bewährt hat, dürfen wir es aber nicht weiter in dieser Form umsetzen. Das ist eine große Forderung. Des Weiteren sollten Möglichkeiten geschaffen werden, dass es sich mehr in den Alltag integrieren lässt. Zu uns kommen die Klassen, deren Lehrkräfte eine Motivation haben, zu uns zu kommen und dafür auch Zeit aufzubringen. Auf der anderen Seite haben sie immer mehr Druck, ihren Fachunterricht durchzuziehen und das beißt sich ganz oft. In Deutschland ist der Lehrplan neu gemacht worden. Es gibt jetzt mehr Querschnittsthemen. Eigentlich wurde es so ein bisschen geöffnet, aber für uns ist ganz oft das Problem, dass wir gehören zum Bereich Kultur. Das ist aber dann Schule und Bildung. Da gibt es oft Schwierigkeiten. Wo sind wir eigentlich verortet? Wer ist für uns zuständig und wie kann man da auch Brücken schlagen? Es wäre auch eine Forderung, dass man in Finanzierungs- und Förderlogiken viel bereichsübergreifender denkt.

Vielen Dank, das war ein sehr spannendes Gespräch. Gibt es noch etwas, das du anfügen möchtest?

Du sagtest, dass ihr euch mit kultureller Teilhabe oder Kultur für alle beschäftigt. Es gibt so ein israelisch-deutsches Netzwerk, in dem ich zumindest mal drin war. Jetzt schaffe ich das zeitlich leider nicht mehr. Wir haben uns in einer Konferenz mal zusammengefunden und erarbeitet, was wichtige Themen für uns sind. Drei Partner*innen aus Israel und ich hatten die Idee für ein Projekt. Das hieß Equal Rights for Culture. Es war eine dabei, die in Israel auf dem Land in Randgebieten gearbeitet hat. Sie hat dorthin Ausstellungen gebracht, die sie auch gemeinsam mit den Leuten erarbeitet hat, weil die gar keine Zugänge hatten zu Kunstausstellungen oder Einrichtungen. Man muss es eben zu den Leuten bringen, wenn die Leute nicht die Möglichkeit haben zu kommen. Das hielt ich für ein interessantes Format. Ich finde, das ist viel zu wenig im Blick. Es gibt auch eine Bringschuld der Kultureinrichtungen. Wenn die Leute nicht kommen, dann hat das Gründe.

Marcel Bleuler, Ellen Roters ( 2019): „Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“. Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/um-sich-bestimmten-themen-anzunaehern-brauche-ich-auch-die-gefuehrte-freiheit/