„Unsere Stärke liegt in der Mobilität ‑ wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische hinein.“

Onur Bakış im Gespräch mit Dilara Akarçeşme

Was bedeutet für dich „alle“? Wer ist in diesem „alle“ enthalten?

Am Anfang waren es für uns die Hip-Hop-Freunde und die, die sich für die Breakdance-Kurse angemeldet haben. Irgendwann haben wir uns dann gedacht: „Moment, das sind doch nur ein paar Menschen, die ohnehin das konsumieren, was sie lieben. Wir brauchen Leute, die sich nicht auskennen oder noch nicht damit in Berührung gekommen sind.“ Anders ausgedrückt: Was tut ein 40-Jähriger mit seiner ganzen Familie auf einer Hip-Hop-Veranstaltung? Der kann sich nur die Tänzer ansehen, sich nur hinstellen oder hinsetzen und nicht bei einer Party mitmachen. Der kann das nur konsumieren. Es war für uns sehr schwer, wirklich jede Schicht von Bürgern und Menschen zusammenzurufen und diese auch dafür zu begeistern, dass diese Kultur eine positive und motivationsvolle Inspiration für alle ist. Natürlich war es davor leichter, ein paar Flyer in Druck zu geben und die dann in den Schulen zu verteilen. Menschen, die noch nie damit in Berührung gekommen sind und normalerweise zum Beispiel Brauchtumskultur in Salzburg konsumiert haben, auch für unser Event zu begeistern – und sei es nur für einen Abend – war viel schwieriger.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es nicht reicht, einfach Informationen in die Hand zu drücken oder in einem Interview im Fernsehen oder im Radio zu sagen: „Wir haben hier eine supertolle Veranstaltung“, sondern dass man es vorleben und auch vorzeigen muss. Wir sind dann einfach auf die Straße gegangen, sei es in der Linzer Gasse oder im Europark, einfach dorthin, wo uns die Leute direkt sehen und anfassen können. So haben wir eine Brücke zu den Menschen gebaut, die noch nie damit in Berührung gekommen sind.

Gab es auch Menschen, die unerwartet zu euch gekommen sind?

Ich glaube, 2013 war der Höhepunkt. Wir hatten eine Veranstaltung, zu der Menschen kamen, die wir noch nie in der Szene gesehen oder angesprochen hatten. Wir fragten uns: „Wie kommen die zu uns? Woher haben sie die Tickets für die Veranstaltung?” Das waren wirklich Leute, denen das erzählt worden ist: „Hey, ich habe das gesehen, das war so geil. Du musst unbedingt mitkommen.“ So spürt man die Energie, die durch Mundpropaganda oder mit den Augen, der Mimik und der Gestik versprüht wird. Da wird nicht gesagt: „Hey, da ist eine Veranstaltung, komm hin“, sondern: „Ich habe das live gesehen. Da dreht sich einer hundertmal auf dem Kopf. Das können doch keine Menschen sein. Da musst du unbedingt hin.“ Es waren auch ältere Menschen dort, über die wir dachten: „Der kann doch niemals mit dieser Kultur oder Kunstform etwas zu tun haben.“ Das begeistert einfach. Wenn wir in die Altstadt gehen, dort Karton oder PVC hinlegen und uns auf dem Kopf drehen oder irgendwelche Kunstbewegungen aus dem Breakdance machen, versammeln sich garantiert bis zu 200 Personen. Wir wissen auch nicht wirklich, warum. Ist es, weil es übermenschlich ist, sich auf dem Kopf zu drehen? Oder ist es die Energie, die wir als Menschen weitergeben? Oder sind es Figuren, die wir machen, die ein Mensch normalerweise nicht macht? Wenn wir schön einen Purzelbaum oder einen Handstand machen, wird es eben mit Sport assoziiert. Wenn wir aber James Brown aufdrehen und ein Türke mit Bart auf dem PVC-Boden mitten in der Mozart-Altstadt tanzt, wird das ganz anders aufgefasst. Dann kommen einfach diese neuronalen Verbindungen im Gehirn zusammen, weil das eigentlich nicht passt. „Doch, es muss passen. Ich sehe es doch.“ So schaffen wir die Verbindungen im Inneren von Menschen, im Herz, im Kopf und in den Augen. Diese Verbindungen zu schaffen ist unser Level, unsere Sache.

Dilara Akarçeşme, Onur Bakış ( 2019): „Unsere Stärke liegt in der Mobilität ‑ wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische hinein.“. Onur Bakış im Gespräch mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/unsere-staerke-liegt-in-der-mobilitaet-%e2%80%91-wir-koennen-in-jede-ecke-in-jede-siedlung-in-jede-nische-hinein/