„Unsere Stärke liegt in der Mobilität ‑ wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische hinein.“

Onur Bakış im Gespräch mit Dilara Akarçeşme

Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die Gesellschaft bzw. Zivilgesellschaft bzw. Amateure in Bezug auf kulturelle Teilhabe?

Eine sehr große. Zurzeit ist die Szene leider ein bisschen auf Sparflamme. Früher war es so, dass Gruppen im Hip-Hop-Bereich miteinander konkurriert haben. Es gab verschiedene Meinungsverschiedenheiten, wo man gesagt hat: „Du, ich glaube, du bist etwas anderes als ich. Du gehst deinen Weg. Ich gehe meinen.“ So haben sich eben verschiedene Bereiche entwickelt, sei es im Nachwuchsbereich, sei es im Theater- oder Eventbereich oder auch auf der wirtschaftlichen Seite. Wir haben geschaut, dass sich kleine Gruppen bilden und auftreten. Das waren eben unsere Tanzschüler. Das Ziel war, dass die Gruppen auftreten und sich dadurch stärken. So sollte die Kultur weitergetragen und weiter unterrichtet werden, um einfach die Masse zu erreichen. Auch wenn man seiner Lohnarbeit nachging, hatte man seine Gedanken immer im Unterricht, in der Kultur oder in der Szene. „Was mache ich als nächsten Event? Wo mache ich den nächsten Workshop?“ Mit dieser Motivation hat sich die Szene gebildet.

Die Künstler zu betreuen ist nicht einfach. Ich habe einen Schüler sogar jeden Tag von zu Hause abgeholt, um ihn ins Training zu fahren; er war dreizehn Jahre alt und konnte nicht vierzig Minuten lang durch die Stadt zum Trainingslager fahren. Aus Personen, die von mir oder anderen persönlich betreut wurden und zu den Events nach Paris oder woandershin in Europa mitgenommen wurden, sind etablierte Künstler geworden. Die haben es geschafft. Diese Nachwuchsarbeit ist enorm wichtig. Es werden immer wieder Kinder unterrichtet. Man kann sagen, dass ca. 100 bis 150 Schüler in der Stadt Salzburg im Hip-Hop-Kulturbereich sind. Diese Szenearbeit, aus diesen Schülern Nachwuchskünstler zu machen, ist extrem schwer. Man muss sie wirklich betreuen und es wird nicht bezahlt. Es soll aus Engagement und Freiwilligkeit passieren. Es passiert ja auch seit zehn Jahren aus Engagement und Freiwilligkeit. Das reicht dann. Irgendwann muss es floppen, weil jeder arbeiten und seine Miete bezahlen muss. Wenn die Kunst nicht bezahlt werden kann, geht sie eben verloren. Vielleicht kommt noch einmal eine mediale Welle, die sagt, dass Hip-Hop-Kultur in ist. Dann laufen wieder alle in die Tanzschulen. So funktioniert das.

Wer kann deiner Erfahrung nach in Salzburg an Kultur teilhaben und wer ist ausgeschlossen?

Ausgeschlossen, kann ich klar sagen, sind die Migrantenkinder. Warum? Weil das Potenzial der Kulturentwicklung des Kindes nicht gesehen wird. Ich bin einer der wenigen Migranten, die diese Hip-Hop-Kultur als Kulturform leben, also nicht als Discotänzer kurz über zwei Monate, sondern die sich mit dieser Kunstform beschäftigen. Ich selbst habe zu 98 Prozent österreichische oder deutsche Kinder unterrichtet, weil die Eltern das Geld für den Kurs hatten. Die, die das lernen wollten und deren Eltern das Geld hatten, kamen in die Tanzschule und haben gelernt. Die Migrantenkinder, die kein Geld hatten, haben das autodidaktisch gemacht. Sie haben sich das selbst beigebracht. Da ist auch vieles entstanden. Allgemein haben diese Familien aber keine finanziellen Mittel, weil der Vater im Lager oder die Mutter als Putzfrau arbeitet. So schafft man eben nur gerade so die Schwelle, dass man die Miete und das Essen, also den Unterhalt bezahlt. Da hat man kein Geld für Kunst und Kultur oder überhaupt die Zeit und die Vitalität, nach der Arbeit das Kind noch da- und dorthin zu bringen. Diese Sachen hat man nicht und deshalb ist diese Gesellschaftsgruppe ausgeschlossen. Wir haben natürlich nicht immer etwas verlangt. Man durfte auch nur die Hälfte zahlen oder mal nur drei oder vier Mal kommen, wenn man gesehen hat, dass Potenzial da ist. Aber es ist natürlich ganz anders, wenn man wirklich jedes Mal dabei sein darf. Und so sind diese Gesellschaftsgruppen auf sich alleine gestellt. Und dann gibt es eben diese leider sehr kurzen Projekte, wo man den Künstler bezahlt, sodass es für die Teilnehmer kostenlos ist. Das muss gestärkt und gefördert werden.

Dilara Akarçeşme, Onur Bakış ( 2019): „Unsere Stärke liegt in der Mobilität ‑ wir können in jede Ecke, in jede Siedlung, in jede Nische hinein.“. Onur Bakış im Gespräch mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/unsere-staerke-liegt-in-der-mobilitaet-%e2%80%91-wir-koennen-in-jede-ecke-in-jede-siedlung-in-jede-nische-hinein/