Verstehen Sie Kunst?

3. (Einfach) wahrnehmen

Ein konträrer Zugang spiegelt sich im Modell „(einfach) wahrnehmen“ wider, das sich vielleicht auch weniger als allgemeiner Vermittlungsansatz für Gruppen denn als ein Ansatzpunkt für die individuelle Kunstrezeption beschreiben lässt. Hier spielen Vorwissen, Verstand und Verbalisierung eine untergeordnete Rolle, während das körperliche, emotionale und atmosphärische Wahrnehmen im Vordergrund stehen. Susanne Krausender (P97: 44),star (* 9 ) die im Salzburger Kunstverein bereits seit mehr als 20 Jahren in der BesucherInneninformation arbeitet, meint etwa, dass sie das Sich-Einlassen der BesucherInnen auf die Ausstellungen im Salzburger Kunstverein als besonders wichtig empfindet. Skeptischen BesucherInnen empfiehlt sie, in die Ausstellung hineinzugehen ohne sofort zu versuchen, das Gezeigte zu verstehen und die Kunst einfach wahrzunehmen.

So steht das Modell „(einfach) wahrnehmen“ für eine unmittelbare und eventuell auch ungewohnt anti-intellektuelle Auseinandersetzung mit Kunst, die vielen Erwachsenen im Gegensatz zu Kindern oft gar nicht so leicht fällt. Verbinden lässt sich dieser Ansatz auch mit der „Ideologie“ der „ästhetischen Ausstellung“, bei der die möglichst unmittelbare Kunsterfahrung rein durch die Objekte geht. Mit einem solchen Zugang sympathisiert beispielsweise auch die Direktorin des Salzburger Kunstvereins Hemma Schmutz, wenn sie erläutert, dass sie „grundsätzlich die Ausstellungen nicht mit einem zu großen Apparat an Vermittlung, an Beschriftung, an Texten, die im Saal sind“ ausstattet und ergänzt: „Also diese Dinge sollten eher außerhalb des Ausstellungsraumes sein und wenn man drinnen ist, hast du wirklich nur die Arbeit möglichst pur und unmittelbar.“ (P95: 71)star (*8 ) Hier wird auf dem Vertrauen aufgebaut, dass bereits die ästhetischen Objekte (ohne Vermittlung) für sich sprechen. Peter Vergo (1989: 49)star (* 12 ) zeigt sich gemäß der Neuen Museologie aber skeptisch, da dieses Konzept nicht nur auf einem kohärenten gebildeten Blick aufbaut, sondern zudem die Tatsache negiert, dass es sehr wohl eines interpretativen Aufwands bedarf, um Objekte aussagekräftig zu machen. Denn: „Left to speak for themselves, they often say very little.“

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Bachleitner, Reinhard/Aschauer, Wolfgang (2008): Die Vernissage als soziales Phänomen. In: Bachleitner, Reinhard/Weichbold, Martin (Hg.): Kunst – Kultur – Öffentlichkeit. Salzburg und die zeitgenössische Kunst. Wien: Profil, S. 120–135.

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Duncan, Carol (2001): Civilizing rituals. Inside public art museums. London/New York: Routledge.

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Hein, George E. (1998): Learning in the museum. London/New York: Routledge.

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Korff, Gottfried (2005): Betörung durch Reflexion. Sechs um Exkurse ergänzte Bemerkungen zur epistemischen Anordnung von Dingen, in: Heesen, Anke/Lutz, Petra (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort. Köln/Weimar/Wien: Böhlau, S. 89–107.

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Maset, Pierangelo (2006): Fortsetzung Kunstvermittlung, in: Maset, Pierangelo/Reuter, Rebbekka/Steffel, Hagen (Hg.): Corporate Difference. Formate der Kunstvermittlung. Lüneburg: edition HYDE, S. 11–24.

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Mörsch, Carmen (2009): Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation, in: Mörsch, Carmen/Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojektes. Zürich: diaphanes, S. 9–33.

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P18: ExpertInneninterview mit Winfried Nußbaummüller und Kirsten Helfrich, Kunstvermittlung Kunsthaus Bregenz, am 2. Juni 2010.

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P95: ExpertInneninterview mit Hemma Schmutz, Direktorin Salzburger Kunstverein, am 3. Dezember 2010.

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P97: ExpertInneninterview mit Susanne Krausender, Besucherinformation Salzburger Kunstverein, am 7. Dezember 2010.

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Raab, Jürgen/Soeffner, Hans-Georg (2005): Körperlichkeit in Interaktionsbeziehungen. In: Schroer, Markus (Hg.): Soziologie des Körpers. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 166–188.

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Treinen, Heiner (1996): Ausstellungen und Kommunikationstheorie. In: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft. Berlin: Argon, S. 60–71.

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Vergo, Peter (1989): The Reticent Object, in: Vergo, Peter (Hg.): The new museology. London: Reaktion Books, S. 41–59.

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Wright, Philip (1989): The Quality of Visitors’ Experiences in Art Museums. In: Vergo, Peter (Hg.): The new museology. London: Reaktion Books, S. 119–148.

Luise Reitstätter ( 2013): Verstehen Sie Kunst?. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/verstehen-sie-kunst/