3.2 Die Botschaft: Verstörende Zuversicht
Ich freute mich und war gleichzeitig verwirrt …
Was geschah hier mit dem „Lernziel“, eine künstlerische Intervention anzuregen, welche – laut v. Borries (2012) (*11) oder Mouffe (2008), (*4) s. o. – das kritische Aufdecken von festgefahrenen Ordnungen, Machtverhältnissen und deren Veränderung zum Anliegen hat? Was geschah mit der Ausgangshypothese, dass die vorhandene Ungleichheit der ökonomischen und sozialen Verhältnisse sowie der Geschlechterverhältnisse eine gesellschaftskritische Intervention erzeugen würde?
Oder war dies genau die „kritische Konfrontation“? Eine saturierte, über die wirtschaftlichen Entwicklungen unzufriedene Gesellschaft – zu der auch ich mich zähle – wird konfrontiert mit Zuversicht und Eigenverantwortung? Hat der offene Rahmen genau das ermöglicht dass sichtbar werden konnte, was in dieser Gruppe als Potential vorhanden ist?
In politischen Analysen über die neuen Protestbewegungen in arabischen Ländern, in der ehemaligen Sowjetunion bis hin zu Formen von zivilem Widerstand in China, oder über die neue Gewerkschaftsbewegung in Indien wurde immer wieder die Beobachtung formuliert, dass die Kraft zu wirklicher Veränderung eines oft menschenverachtenden globalen Wirtschaftssystems nicht aus Mitteleuropa oder USA kommen werde. Ist hier etwas von dieser Kraft spürbar geworden?
Dies sind interessante Interpretationsmöglichkeiten.
Genauso zulässig wären folgende Reflexionen über die Auswirkungen des konkreten Bildungskontexts:
– dass sich die Teilnehmerinnen von women`s space unsicher fühlten, sich in eine kritische Konfrontation zu begeben – um die Workshopleiterinnen und Gastgeberinnen nicht zu verärgern?
– dass sie in der Rolle „guter Schülerinnen“ geblieben sind, welche sich im Sinne des oben erwähnten „falschen Selbst“ als „positive thinking people“ verhalten wollten?
Denkbar sind auch weiterführende Annahmen, die in unserer Vorausrecherche/Analyse nicht erwogen wurden:
– dass sie eine Auswahl darstellen aus einer Personengruppe, welche auch im Herkunftsland privilegiert ist und die Erfahrung des „Machen Könnens“ aus ihrer Familie kennt?
– dass sie in einer Lebensphase sind, welche naturgemäß zuversichtlich und voller Energie auf die eigenen Möglichkeiten ist, noch nicht gebrochen von allzu vielen Enttäuschungen? Und dass ihnen die Bewusstwerdung der Falle „ Gleichstellungsverheißung versus tatsächliche Ungleichheitserfahrung“, wie sie Zobl (s.o.) formuliert hat, noch bevorsteht?
Auch diese Interpretationsmöglichkeiten stehen im Raum und sind ohne Nachbesprechung mit allen Teilnehmerinnen nicht überprüfbar. Für die positiv verstörende Konfrontation mit Mut, Zuversicht und Eigenverantwortung spricht jedoch der weitere Verlauf:
Aus den beiden Gruppenbotschaften destillierte sich in einer leidenschaftlich geführten Gesamtgruppendiskussion heraus, dass jede Gruppe eine Botschaft formulieren könne, wenn Vor und Rückseite der T- Shirts verwendet werden:
Alle elf Anwesenden konnten diese Botschaften mit Einzelbuchstaben bzw. Buchstabengruppen auf den T-Shirts in Form einer Gruppenskulptur gemeinsam bilden.
Die Botschaft: „Dream Big!!!“ hatte schnell den Konsens aller. Heftig wurde noch diskutiert, ob es „Make a Change“ oder „Live to Change“ heißen sollte. Dabei siegten folgende Argumente: „Live to Change“ als die stärkere Botschaft, und als lebenslange Herausforderung.
Christine Tschötschel-Gänger ( 2014): Verstörende Zuversicht. Eine künstlerische Intervention im Bildungskontext. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 05 , https://www.p-art-icipate.net/verstorende-zuversicht/