Von VALIE EXPORT zu Pussy Riot

Konfliktlinien und weibliche Sichtbarkeit im öffentlichen Raum

Sanja Iveković, Lady Rosa of Luxembourg, 2001

In der Arbeit Lady Rosa of Luxembourg spielt nicht die Künstlerin selbst die Hauptrolle, sondern eine – auf den ersten Blick – klassische Skulptur. Diese Skulptur macht jedoch, ebenso wie die anderen hier besprochenen Arbeiten, gesellschaftliche Konfliktlinien im öffentlichen Raum sichtbar und thematisiert die Frage weiblicher Sichtbarkeit.

Ausgangspunkt für dieses Projekt war das Nationaldenkmal Gëlle Fra (Goldene Frau), das in den 1920er Jahren zur Erinnerung an die Opfer des Ersten Weltkriegs in Luxemburg errichtet wurde. Während der deutschen Besatzung durch die Nationalsozialisten wurde das Denkmal von ArbeiterInnen an einem sicheren Ort versteckt und erst 1985 auf einem hohen Obelisken wieder aufgestellt. Die Inschriften verweisen nun auf die gefallenen Soldaten beider Weltkriege.

Es handelt sich bei dem Denkmal um eine Allegorie des Siegs – ein Monument, das ausschließlich männlichen Heroen gewidmet ist, dessen symbolische Kraft jedoch in der schönen, idealisierten Frauengestalt liegt. Die Gëlle Fra steht in der Tradition allegorischer Frauengestalten, die seit der Französischen Revolution den Frieden, die Republik oder die Nation repräsentieren. Sie wird als ein kraftvolles Symbol für die Freiheit und den Widerstand der LuxemburgerInnen verstanden.

Sanja Iveković stellte diesem Denkmal eine Replik gegenüber, die nicht nur im Material differierte (goldenes Polyester, Holz und Eisen für den Obelisken), sondern auch in drei bedeutenden Details: Die Frauenfigur ist deutlich schwanger; sie ist der Revolutionärin Rosa Luxemburg gewidmet und die Inschriften sind andere:

„LA RÉSISTANCE, LA JUSTICE, LA LIBERTÉ, L’INDÉPENDENCE,
KITSCH, KULTUR, KAPITAL, KUNST,
WHORE, BITCH, MADONNA, VIRGIN“.

Die französischen Begriffe beziehen sich auf die Bedeutungsgenealogien weiblicher Allegorien, die englischen auf die Rollen, die starken Frauen in der patriarchalen Gesellschaft häufig zugewiesen werden (wie etwa Rosa Luxemburg oder den Frauen, die in der Französischen Revolution eine große Rolle spielten), während die deutschen Worte auf den Denkmalcharakter Bezug nehmen.

Die Skulptur Lady Rosa, die Teil einer Ausstellung unter dem Titel Luxembourg et les Luxembourgois war, löste einen heftigen öffentlichen Disput in Tageszeitungen und Massenmedien aus, der zum Teil nationalistische Facetten trug. Auslöser der Kritik war weniger die Schwangerschaft der Figur als die Inschriften auf dem Sockel. Sicherlich tat auch die Widmung an eine marxistische Revolutionärin Rosa Luxemburg das Ihre zur Ablehnung.

Bojana Pejić schreibt über die Skulptur Lady Rosa, dass sie ein Phänomen erzeuge, das „public as sculpture“ genannt werden könnte: einen kulturellen Raum, in dem die BenutzerInnen dieses Raums ihre Stimme erheben können. Sie führt weiters aus: „Briefly put, the scandal aroused over the public artwork in Luxembourg, proved that the public sphere could be activated as a space pregnant with contradictions. This space is not meant for their suppression, but as Rosalyn Deutsche holds, for their exposition: ‘conflict, far from the ruins of democratic public space, is the condition of its existence’.“ (Pejić, 2011)star (*8)

Lady Rosa dient uns hier als ein Beispiel einer künstlerischen Invention, die demonstriert, wie eine auf den ersten Blick scheinbar skulpturale Arbeit eine enorme Öffentlichkeit erzeugt, in der die Konfliktlinien und der Umgang der Öffentlichkeit bzw. verschiedener Öffentlichkeiten mit diesem Konflikt sichtbar und erlebbar werden.

Das „Publikum“ – die ZuschauerInnen, AnwohnerInnen – stellen durch ihren Dissens und ihre Bedeutungszuschreibungen und Interpretationen das Kunstwerk erst her.

„Public as sculpture“ entsteht also dann, wenn Interventionen im öffentlichen Raum heftige Konflikte hervorrufen, in die eine große Öffentlichkeit/viele Öffentlichkeiten involviert sind.

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VALIE EXPORT: Tapp- und Tastkino. Online unter http://www.medienkunstnetz.de/werke/tapp-und-tastkino/

Dieser Text beruht auf dem Vortrag, den ich im Rahmen des Symposiums Künstlerische Interventionen, Kollaborative und selbstorganisierte Praxen am 25. Oktober 2013 mit einer Reihe von Beispielen (VALIE EXPORT, Adrian Piper, Mierle Laderman Ukeles, Sanja Iveković, Pussy Riot) gehalten habe. Der vorliegende Artikel fokussiert auf drei Beispiele.

Leider sind in den PDF-Versionen einige Sonderzeichen nicht richtig umgewandelt. Wir entschuldigen uns dafür!

Hildegund Amanshauser ( 2014): Von VALIE EXPORT zu Pussy Riot. Konfliktlinien und weibliche Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/von-valie-export-zu-pussy-riot/