Pussy Riot: Das Punk-Gebet in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau am 21. Februar 2012
Pussy Riot ist eine feministische Punk-Band, die Aktionen an prominenten Plätzen wie dem Roten Platz in Moskau durchführt. Die jungen Frauen, die mit Sturmhauben ihr Gesicht verdecken, machen Musik und engagieren sich als Aktivistinnen. Manche von ihnen haben Kunst studiert. Ihre feministischen Aktionen stießen zunächst auf Skepsis in der Kunstszene. Ihre Aktivitäten fallen in eine Zeit, in der die russische Zivilgesellschaft, KünstlerInnen, AktivistInnen, Intellektuelle und viele andere sich gegen die Politik von Wladimir Putin aussprechen und sich für eine Demokratisierung der russischen Gesellschaft, u.a. durch zahlreiche Proteste und Aktionen im öffentlichen Raum, einsetzen.
Zu weltweiter Aufmerksamkeit gelangte die Band durch eine Aktion im zentralen Gotteshaus der russisch orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Sie betraten dabei den Ambo, den erhöhten Ort in der Kirche, der männlichen Priestern für die biblischen Lesungen, u.a. das Evangelium, vorbehalten ist und den Frauen nur zu seiner Reinigung betreten dürfen, und führten ihr Punk-Gebet auf. Darin sangen sie unter anderem „Gott erlöse uns von Putin, jag Putin fort“. In der Folge wurden drei Mitglieder der Band, Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Marija Aljochina, in Untersuchungshaft genommen und wegen grober Verletzung der öffentlichen Ordnung angeklagt. Samuzewitschs Haftstrafe wurde 2012 in eine Bewährungsstrafe umgewandelt; Aljochina und Tolokonnikowa wurden im Dezember 2013, im Rahmen eines vom russischen Parlament verabschiedeten Amnestiegesetzes, kurz vor Ende ihrer Haftstrafen, aus den Straflagern frei gelassen.
Der Clip „Pussy Riot – Punk Prayer‚Virgin Mary, Put Putin Away“ ist keine Dokumentation, sondern ein in verschiedenen Kirchen aufgenommener Video-Clip.
Ekatarina Degot, russische Kunsthistorikerin, Kuratorin und Lehrerin einiger Mitglieder von Pussy Riot, legte in ihrem Vortrag in Wien im Rahmen des Former West Symposiums am 20.4.2012 Multiple Faces of Feminist Art Against a neoconservative Backlash dar, welche Bedeutung der Einschreibung der Arbeiten von Pussy Riot in den Kunstzusammenhang zukommt, insbesondere im Kontext der spezifischen politischen Situation in Russland: Degot meint, dass aufgrund der brutalen Verfolgung der Künstlerinnen im Anschluss an das Punk-Gebet das Argument, dass es sich bei dieser Aktion um Kunst handle, verteidigt werden müsse. Dieses Argument schließt Aktivismus in den Kunstkontext ein. Kunst sieht Degot als ein Privileg, das KünstlerInnen an andere weitergeben. Das Qualitätsargument, das oft gegen Pussy Riot in Stellung gebracht wurde (ihr Arbeit sei keine Kunst, weil sie bestimmten Qualitätskriterien nicht entspräche), ist ihrer Meinung nach immer auch eines für Ein- und Ausschließung.
Das Punk-Gebet ist, anders als die beiden anderen Beispiele (von VALIE EXPORT und Sanja Iveković), räumlich und zeitlich nur insofern definiert, als der Videoclip eine Performance zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort suggeriert. In Wirklichkeit wurde der Clip in mehreren Kirchen zu unterschiedlichen Zeit gedreht. Der im Videoclip vorgestellte Live-Act erhöht zwar die Brisanz der Arbeit, hat aber nicht in dieser Form stattgefunden. Trotzdem überbietet diese Arbeit die anderen in diesem Artikel genannten Beispiele bei weitem an Drastik und Regelverletzung. Die Form des Gebets wird umgedeutet, in den Augen der Kirche verunglimpft. Diese Arbeit kann als künstlerische Intervention beschrieben werden, sieht man davon ab, dass die Arbeit eine Videoarbeit ist und nur fragmentarisch eine reale Live-Performance.
Hildegund Amanshauser ( 2014): Von VALIE EXPORT zu Pussy Riot. Konfliktlinien und weibliche Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/von-valie-export-zu-pussy-riot/