Von Wissenssystemen und Experimentierräumen

Erweiterte Reflexionsräume und Experiment!

Im Anschluss an die öffentliche Ringvorlesung, die auch die Basis mehrerer Beiträge der Doktorandinnen in diesem eJournal bildet, greifen wir die Idee eines offenen Raumes für die vorliegende Ausgabe von p/art/icipate auf: Ausgabe Nummer 8, herausgegeben vom Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion des Schwerpunkts Wissenschaft und Kunst in Kooperation mit dem Doktoratskolleg, bietet eine Plattform für Beiträge, die sich schwerpunktmäßig mit teils nicht konventionalisierten und (im Sinne des Doktoratskollegs) experimentellen Repräsentationsweisen und Erkenntnismethoden auseinandersetzen. Damit ist die Bezeichnung der Rubrik Open Space durchaus wörtlich als offener Raum zu verstehen: Sie steht unterschiedlichen Perspektiven, Zugängen und kunst- bzw. forschungspraktischen Herangehensweisen offen und soll nicht nur die Vielfalt, sondern auch die Offenheit der Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst veranschaulichen, an denen Vermischungen, Verschiebungen und Überlappungen produktiv werden können.

Ein Wissensbegriff, der doxa (das Meinen und Glauben), phronesis (praktische Kenntnisse und private Einsichten) sowie aisthesis (reine Sinnenswahrnehmung) ausgrenzt (vgl. Vogl 2011: 51),star (*3) wird im Doktoratskolleg also einer kontinuierlichen Reflexion unterzogen. Aus dieser Perspektive ist auch der Titel der achten Ausgabe von p/art/icipate zu verstehen: Experiment! meint weniger die konventionalisierte Methode der Naturwissenschaften (‚Experiment‘ als Nomen), sondern verweist vielmehr auf die Tätigkeit des Experimentierens und enthält zugleich auch die Aufforderung dazu (‚experiment‘ als englisches Verb). Experiment! stellt damit die gedankliche Klammer für die verschiedenen Vorgangsweisen und die Prozesshaftigkeit von Erkenntnisgewinn und Wissensproduktion dar. In dieser Bedeutung möchte das vorliegende eJournal Experimentierräume als Open Space ermöglichen.

So be- und hinterfragt Wolfgang Gratzer in seinem Beitrag das Konzept der ‚experimentellen Kunst‘: Unter Rückgriff auf die Etymologie des Begriffs ‚Experiment‘ und seiner Bedeutung als wissenschaftlichen Praxis skizziert er dessen Diffusion in das Feld künstlerischer Praxis und diskutiert anschließend vier Thesen, die in die begriffliche Alternative der ‚uncertainty based arts‘ münden.

Dass experimentelle Kunst, genauer: experimentelle Musik auch vermittelt werden muss und dabei adäquate Formate verlangt, ist das Thema von Katharina Anzengrubers Beitrag. Sie resümiert erste Erkenntnisse aus ihrer Unterrichtspraxis, in der sie für den Musikunterricht eine Vielfalt an Methoden und teils unkonventionellen Zugängen entwickelt, die – weitab vom Format des Frontalunterrichts – ergebnisoffenes Arbeiten und eigenständiges Sammeln von musikalischen Erfahrungen durch die SchülerInnen erlauben.

Auch Magdalena Marschütz widmet sich musikalischen Aktivitäten und stellt diese in den Kontext aktueller Phänomene der Fluchtmigration, wobei sie Zugänge der Musik- und Migrationswissenschaft verknüpft. Sie entwickelt in ihrem Beitrag Lesarten eines Interviews mit einem syrischen Musiker zu gesellschaftlichen Zuschreibungen wie ‚refugee‘ oder dem transformatorischen Potenzial von Musik.

Zuschreibungen beschäftigen auch Bettina Egger und Johanna Öttl: Ihrem Beitrag liegt die Frage zugrunde, wie neue Kunst- und Kulturprodukte in bestehende Nomenklaturen eingeordnet werden. Für die Graphic Novel diskutieren sie, welche Klassifikationskriterien für diese neue Gattung herangezogen werden – beispielsweise Kriterien der Materialität oder Zuschreibungen wie ‚high‘ und ‚low‘.

Die folgenden Beiträge verknüpfen Begriffsdiskussionen mit räumlichen Erfahrungen und Strukturen sowie verschiedenen Prozessen der Herstellung von Öffentlichkeiten: Zunächst widmet sich Xenia Kopf dem Raum-Begriff und der Frage, wie er aus kulturwissenschaftlicher Sicht verstanden werden kann. Anhand der Kulturgeschichte und der gegenwärtigen künstlerischen Nutzungen des KunstQuartiers Salzburg erkundet sie die Rolle von Kunst und Kultur in der Produktion und Gestaltung städtischer Räume.

Romana Hagyo untersucht anschließend, wie die Trennung privater und öffentlicher Räume diskursiv und räumlich (re-)produziert wird. Sie schlägt vor, künstlerische Praxis als eine Möglichkeit der Intervention in diese Zuschreibungen zu verstehen und diskutiert anhand ihrer eigenen künstlerischen Projekte deren Chancen und Grenzen. Brigitte Kovacs lädt die LeserInnen schließlich zur Erkundung des noch kaum definierten und sich stetig in Bewegung befindlichen Feldes der Walking Art ein: Sie gibt Einblicke in ihre künstlerische Forschungspraxis, die sich dem Gehen als Gegenstand und Ausdrucksform von Kunst widmet, und reflektiert dabei auch ihre performative Annäherung an das Feld der Walking Art, das sie nicht nur beschreibt, sondern zugleich auch mitgestaltet.

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Borges, Jorge Luis (1966): Die analytische Sprache John Wilkins. In: Ders. (1966): Das Eine und die Vielen. Essays zur Literatur, München: Hanser, S. 212. Zit. n. Foucault 1974, S. 17.

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Foucault, Michel (1974): Die Ordnung der Dinge. Frankfurt: Suhrkamp.

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Vogl, Joseph (2011): Poetologie des Wissens. In Maye, Harun/Scholz, Leander (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaften. München: Fink, S. 49–71.

Xenia Kopf, Anita Moser, Johanna Öttl ( 2017): Von Wissenssystemen und Experimentierräumen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/von-wissenssystemen-und-experimentierraumen/