Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung
Transdisziplinäre Ausgangspunkte
Die drei transdisziplinären Ausgangspunkte dieses Beitrages (und auch des Projektes), die wir im Folgenden erläutern wollen, sind: Partizipative Kunst, kritische Kunstvermittlung und partizipative Forschung.
Partizipation und Intervention im Kontext kritischer künstlerischer Praxen
Künstler_innen setzen sich vor allem seit den 1960er und 70er Jahren mit vielfältigen künstlerischen Strategien der Partizipation (Bishop 2012; (*3) Feldhoff 2011; (*7) Hildebrandt 2013; Milevska 2006/ (*20)2015; (*21) Rollig/Sturm 2002) (*29) und der Intervention (Besand 2012; (*1) von Borries et al. 2012; (*42) Höller 1995; (*12) Mouffe 2008, (*24) 2014; (*25) Thuswald 2010; (*41) Wege 2001) (*44) auseinander. Diese Strategien sind Teil der Genealogie eines erweiterten Kunstbegriffs, der die Grenzen zwischen Kunst und Leben stetig neu verhandelt (vgl. Wege 2014). (*45) Für die 1990er Jahre wird ein „participatory turn“ in der Kunst konstatiert (Ziese 2010: 72), (*48) der in einer Vielzahl von sozial engagierten Praktiken und relationalen Kunstpraxen (z.B. new genre public art, community art) sichtbar wird und neue Wege der Kommunikation und der Kollaboration aufzeigt.
In diesen neuen Formen der Zusammenarbeit im Kunstfeld bewegen sich die beteiligten Akteur_innen oft in ambivalenten Widersprüchlichkeiten. Partizipation und Intervention sind zu Modeworten – oder auch zu „konzeptionellen Fetischen“ (Graham/Vass 2014) (*11) – in der zeitgenössischen Kunst geworden, ohne das „Versprechen von Demokratisierung und Emanzipation“ (Milevska 2015 (*21)) tatsächlich einzulösen. Wenn wir partizipative und interventionistische künstlerische Praxen als Strategien für eine Demokratisierung der Gesellschaft ansehen (Milevska 2015), (*21) dann müssen wir die Frage stellen, welche Möglichkeiten und Grenzen solche Praxen im Kontext unserer gegenwärtigen neoliberalen Gesellschaften haben. Mit Paula Hildebrandt (2013) (*49) fragen wir danach, unter welchen Bedingungen partizipative und intervenierende künstlerische Praxen als Lernorte für demokratische Teilhabe fungieren können.
Die Hauptaufgabe kritischer künstlerischer Praktiken („critical art“) im Kontext gegenhegemonialer Interventionen sieht Chantal Mouffe (2014) (*25) darin, „Menschen auf der affektiven Ebene anzusprechen“ (ebd. 148). (*25) Durch diese Interventionen können Prozesse der Aneignung angestoßen werden, mit dem Ziel der Transformation und politischen Handlungsmacht. Gerade im Kontext kritischer Bildungsarbeit kommt dieser Funktion von Kunst eine wichtige Rolle zu, indem wir neue Erfahrungen und Bezüge zu einem kritischen Verhandeln gesellschaftlicher Sachverhalte herstellen können und sich uns ungewohnte Perspektiven und Handlungsräume eröffnen.
Dekonstruktion und Verlernen im Kontext kritischer Kunstvermittlung
Mit dem Ziel, kulturelle Teilhabe für möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu ermöglichen, wurden in der Kunst- und Kulturvermittlung zahlreiche strategische und methodische Instrumente entwickelt. In der kritischen Kunstvermittlung (vgl. u.a. Institute for Art Education 2013; (*17) Settele/Mörsch 2012; (*34) Schnittpunkt 2013; (*31) Sturm 2011) (*38) werden wichtige Fragen zum Lernen in Bezug auf die Wechselbeziehungen von Lernen und hegemonialen Verhältnissen sowie in Bezug auf das Erschüttern von angelernter Praxis und gängigem Wissen diskutiert, um Räume für Dissens und Möglichkeiten des Unerwarteten zu öffnen (Sternfeld 2014). (*37)
Seit dem „educational turn in curating“ (Rogoff [2008] 2013) sowie dem „educational turn in education“ (Jaschke/Sternfeld 2012a: 18) (*16) tritt die Entwicklung von Kunstvermittlung als kritische Praxis unter Bezugnahme auf kritische und radikale Bildungsansätze in den Vordergrund. Es geht um das Anerkennen einer Gleichwertigkeit unterschiedlicher Wissensformen, wie jener des Erfahrungswissens und des akademischen Wissens, sowie um die Thematisierung ungleicher Machtverhältnisse und einen bewussten Umgang mit ebendiesen der beteiligten Akteur_innen (vgl. Landkammer 2012). (*19)
Als wichtige Diskurse der kritischen Kunstvermittlung sind der dekonstruktivistische und der transformative zu nennen, die laut Carmen Mörsch in der institutionellen Kunstvermittlung neben den affirmativen und reproduktiven Diskursen entwickelt wurden und von einem selbstreflexiven Bildungsverständnis geprägt sind (vgl. Mörsch 2009: 13f.). (*22)
Die Strategie der Dekonstruktion greift das im Kontext von postkolonialer Theorienbildung und Kritik verankerte Konzept des „Unlearning“ von Gayatri Spivak (1990) (*36) auf. Bei diesem geht es darum, Machtverhältnisse bewusst zu verlernen und die strukturelle Dimension von Ausschlussmechanismen zu erkennen sowie „gegenhegemoniale Prozesse zu formieren“ (Sternfeld 2014: 16ff.). (*37) Ein wichtiger Aspekt des Unlearning ist laut Nora Sternfeld im Performativen angesiedelt. Machtverhältnisse stehen mit Lernprozessen in Beziehung, sie werden tagtäglich gelernt und aufgeführt und somit reproduziert oder auch subvertiert. Gängiges und mächtiges Wissen kann somit in der pädagogischen oder künstlerischen Vermittlungstätigkeit dekonstruiert werden und offene Räume für alternative Wissensproduktionen können geschaffen werden.
Elke Zobl, Laila Huber ( 2018): Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/was-tun-das-verhandeln-von-partizipation-und-das-spielerische-oeffnen-von-liminalen-raeumen-an-den-schnittstellen-von-intervenierender-kunst-kritischer-kunstvermittlung-und-forschung/