Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung
Partizipative Forschung im Kontext gesellschaftlichen Eingreifens
Wenn von partizipativer Forschung die Rede ist, steht zuallererst die Frage, wozu Forschung stattfindet. Zielt die Erforschung der sozialen Welt auf ihre Beschreibung und Reproduktion oder auf ihre Veränderung? Mit den Begriffen „partizipative Forschung“, „Aktionsforschung“, „Teamforschung“, „participatory action research“, „community-based participatory research“ etc. werden unterschiedliche Ansätze partizipativer Forschungspraxen benannt, denen allen gemeinsam der Anspruch des Eingreifens in gesellschaftliche Kontexte und deren Veränderung durch das gemeinsame Forschen ist (vgl. Reason/Bradbury 2001, (*27) Kindon/Pain/Kesby 2010). (*18) Sie alle stellen die Definitionsmacht der Forscher_in und der akademischen Institution in Frage und teilen den Wunsch, aus dem Elfenbeinturm herauszutreten. Partizipative Forschung in der Tradition der Aktionsforschung rückt den Begriff der Partizipation anstelle der Aktion stärker in den Mittelpunkt (vgl. von Unger 2014: 3). (*43) Hella von Unger versteht partizipative Forschung als Beispiel dafür, wie sich Grenzen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verschieben und neue Formen der Wissensproduktion entstehen (vgl. von Unger 2014: 6). (*43) Forschen wird hier als kollaborative Wissensproduktion verstanden. Durch den wiederkehrenden Zyklus von Aktion und Reflexion im Forschungsprozess wird situatives Wissen produziert, das als Erfahrung übertragbar ist und als Teil von Bildungs- und Politisierungsprozessen gesehen werden kann. Die partizipative Forschung setzt beim gemeinsamen Dekonstruieren und Hinterfragen von Machtverhältnissen an, darauf aufbauend werden Strategien der Intervention entwickelt, die auf Prozesse der Aneignung, Selbstermächtigung und Transformation zielen.
Innerhalb eines partizipativen Forschungsprozesses kann es unterschiedliche Ebenen und Phasen mit jeweils mehr oder weniger Beteiligung und Mitbestimmung der Co-Forscher_innen geben – je nach dem definierten Erkenntnisinteresse und Forschungsdesign (s. Wright 2010: 42). (*47)
Ansätze der partizipativen Forschung wurden ebenfalls im Feld der Kunstvermittlung aufgegriffen (Mörsch 2012; (*23) Landkammer 2012; (*19) Settele 2012). (*33) Partizipative Forschung ist dabei nicht nur Werkzeug zur Weiterentwicklung der kritischen Kunstvermittlung sondern konstitutiver Bestandteil eines Methodensets zur gesellschaftskritischen, partizipativen Bildungs- und Kulturarbeit.
Theoretischer Kontext: Liminale Räume
Vor dem Hintergrund dieser Ausgangspunkte präzisieren wir nun im theoretischen Kontext das spielerische Herstellen und Öffnen von Erfahrungs- und Handlungsräumen über den Begriff der Liminalität, der eine Bewegung und Reibung kennzeichnet. Es ist ein Raum, der als „third space of alternative enunciation“ (Soja 2009: 58) (*35) verstanden werden kann. Liminality und marginality sind Standpunkte an der sozial-räumlichen Peripherie, von denen aus eine spezifische Kritik aus dem Erfahrungswissen der Akteur_innen formuliert werden kann (hooks 1990; (*13) Soja 2009; (*35) Bhabha 1994). (*2) bell hooks spricht von Marginalität als einem Raum für radikale Offenheit (hooks 1990: 149; (*13) Soja 2009: 57). (*35) Diesen Raum möchten wir mit einem mikropolitischen Zwischenraum verbinden, der durch emanzipatorische Bildungsarbeit hergestellt und geöffnet wird, und als „liminalen Raum“ bezeichnen.
Die Intention im Projekt war, im sozialen Mikrokosmos der Schule Erfahrungs- und Handlungsräume zu öffnen, indem wir gemeinsam gesellschaftliche Teilhabe bzw. die aktive Teilhabe an Entscheidungsprozessen ausloten, verhandeln und mit verschiedenen Strategien (spielerisch und reflexiv) experimentieren. Im gemeinsamen Verhandeln von Partizipation werden Prozesse initiiert, die bis zu einem gewissen Grad unvorhersehbar sind. Dieses Öffnen eines uneindeutigen Raums, den sich die Handelnden erst durch das gemeinsame, spielerische Erproben und Erforschen aneignen können, definieren wir in Anlehnung an Victor Turners (1989a, (*40) b) (*41) Begriff der „Liminalität“.
Liminalität (von lat. limen – die Schwelle) beschreibt bei Turner einen Zustand der labilen Zwischenexistenz, der den Übergang und eine Neu-Definition von Identität markiert und somit kulturelle Spielräume für Experimente und Innovation eröffnet. Die liminale Erfahrung impliziert das In-Bewegung-Sein und die stetige Aktualisierung von sozialen Beziehungen und Strukturen und weist dabei auf ihre soziale Konstruktion und somit auf ihre Veränderbarkeit hin.
Diesen Aspekt des kontinuierlichen Verhandelns und Aktualisierens oder Veränderns sozialer Beziehungen und Machtverhältnisse, greift Paula M. Hildebrandt (2013) (*49) auf und verbindet ihn mit jenem der künstlerischen Intervention (zum Begriff der Liminalität im Kunstkontext s. auch Fischer-Lichte 2004). (*8) Dazu setzt Hildebrandt das Moment des Initiierens in den Vordergrund und fasst Intervention als eine Strategie bzw. Form von Partizipation – im Sinne der Ausverhandlung von Gemeinschaft/Zusammenleben – auf. Sie versteht Intervention als ein Moment des „Umbruchs und potentiellen Aufbruchs“ (Hildebrandt 2013: 147) (*49) und fragt: „Welche Möglichkeiten ergeben sich durch diese Potentialität eines kontinuierlichen Neubeginns für Artikulations- und Ausdrucksprozesse demokratischer Selbstbestimmung?“ (Hildebrandt 2013: 147). (*49) Die Intervention schafft einen Zwischenraum, um Fragen nach Ein- und Ausschlüssen zu stellen: „Die Intervention, das heißt der Einbruch in gewohnte Handlungsweisen und Routinen, beinhaltet dabei nicht nur die Chance zum Perspektivenwechsel und Neubeginn, also die Schwelle zu übertreten, sondern eröffnet zugleich einen Zwischenraum, um quasi auf der Schwelle grundlegende Fragen nach der Konstitution von Ordnungen, von Ein- und Ausschluss, anders zu perspektivieren.“ (Hildebrandt 2013: 148) (*49)
Ausgehend von Hildebrandts Überlegungen zum liminalen Charakter der Intervention und der darin bestehenden Möglichkeit für Artikulationsprozesse demokratischer Teilhabe, fragen wir im Folgenden danach, wie wir im Projektprozess Momente des Umbruchs und potentiellen Aufbruchs, oder der Dekonstruktion und Selbstermächtigung, gemeinsam verhandelt – und damit experimentiert – haben und wie wir liminale Räume spielerisch geöffnet haben.
Elke Zobl, Laila Huber ( 2018): Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/was-tun-das-verhandeln-von-partizipation-und-das-spielerische-oeffnen-von-liminalen-raeumen-an-den-schnittstellen-von-intervenierender-kunst-kritischer-kunstvermittlung-und-forschung/