Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung

Die Würfelinstallation bestand aus 14 Stück 30x30x30cm großen Schaumstoffwürfeln, die wir mit Pinsel und Acrylfarbe sowie teilweise mithilfe von Schablonen bemalten. Für die inhaltliche Gestaltung wurde gemeinsam entschieden, auf eine Seite der Würfel in einzelnen Buchstaben das Wort „Zusammenleben“ zu schreiben. Zur Frage „Wie wollen wir zusammenleben?“ formulierten die Schüler_innen Begriffe als (vorwiegend) Verben, die die Art und Weise des Zusammenlebens aus ihrer Sicht am treffendsten charakterisierten: Verstehen, freuen, lieben, frei sein, stärken, vertrauen, respektieren, mitdenken, unterstützen, offen sein, mitbestimmen, wertschätzen, anerkennen, kritisch sein, gleichberechtigt, gewaltfrei und zuhören. Die Schüler_innen übersetzten die Verben in die verschiedenen im Klassenverband vorhandenen Sprachen: Albanisch, Persisch, Arabisch, Bosnisch, Englisch, Kroatisch, Russisch, Tagalog/Visayas, Tschetschenisch, Türkisch sowie Vietnamesisch. Ein Slogan, der in der Diskussion der Begriffe wiederholt von den Schüler_innen eingebracht wurde, hieß: „Wir sind alle anders!“. Gemeinsam beschlossen wir, diesen auf die letzte freie Seite der Würfel zu schreiben (s. Abbildung 3, 4). Und zu guter Letzt warfen wir immer wieder Fragen auf. Daher gestalteten wir einen Würfel mit den Fragewörtern Wie, Wer, Warum, Was, Wo.

Schüler und Schülerinnen mit selbst beschrifteten Schaumstoffwürfeln mit den Worten Mitbestimmen, respektieren, fragen, vergstehen, offen sein, mitdenken wertschätzen unterstützen zuhören anerkennen gleichberechtigung

Abbildung 3: Würfelinstallation. Foto: Pia Streicher

schülerinnen und schüler werfen schaumstoffwürfel mit buchstaben darauf in die luft

Abbildung 4: Würfelinstallation. Foto: Pia Streicher

 

Für das Gesten-ABC entwickelten die Schüler_innen mit der Künstlerin Moira Zoitl Gesten zu den Begriffen „Zuschreibung“, „Gleichberechtigung“, „Gleichstellung“, „Zusammenhalt“, „Anerkennung“, „Protest“, „Rassismus“, „Solidarität“, „Freundschaft“, „Zugehörigkeit“, „Sprache“. Die Künstlerin fotografierte die Gesten und wir brachten die Fotos zusammen mit den Begriffen auf der Vorderseite und Rückwand des Infowagens an. Das Gesten-ABC ist sozusagen eine visuelle und spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema „Zusammenleben“.

 

auf eine holzwand geklebte fotos mit gesten und worte sind zu sehen. solidarität, gleichberechtigung, zusammenhalt

Abbildung 5: Gesten ABC (Foto: Pia Streicher)

 

Die Slogans und Fragen zum Pflücken sowie die Buttons wurden als weitere Vermittlungs- und Interaktionstools entwickelt. Die Präsentation der Projektergebnisse in Form einer Intervention im öffentlichen Raum am letzten Projekttag startete am Schulvorplatz. Nach rund einer Stunde des Austausches mit anderen Schüler_innen klappten wir den Wagen zusammen und schoben ihn zur zweiten Station, der Stadtbibliothek Salzburg. Bei der Präsentation vor der Stadtbibliothek wurden insbesondere Prozesse der Aneignung und Selbstermächtigung sichtbar. Zwei Lehrerinnen waren mit ihren Klassen mit dem Bus gekommen, um die Intervention zu sehen. Als die anderen Schüler_innen ankamen, zeigte die Projektklasse begeistert die Vermittlungstools und erzählte in informellen Gesprächen vom Projekt.

Der Moment des Öffentlich-Machens und insbesondere des Aufsuchens einer Öffentlichkeit, die über jene unmittelbare Öffentlichkeit der Schule hinausging, führte bei den Schüler_innen zu einer konkreten Aneignung und Selbstermächtigung: Bei der Präsentation schlüpften die Schüler_innen in die Rolle der Vermittler_innen und beschrieben den Besucher_innen die Intervention und das Projekt: Sie erklärten, was sie gemacht hatten, warum, und was es bedeutete. Die Präsentation stellte insofern ein spezifisches Moment der Selbstermächtigung und der Aneignung dar, als der gemeinsame kritische Ausverhandlungsprozess und die spielerische Öffnung eines Raumes in dem Rollenwechsel von Lernenden zu handlungsmächtigen Akteur_innen, die sich selbst zu erklären wissen, verdichtet sichtbar gemacht wurde. Dabei war es wichtig, für die Präsentation eine Form des informellen Wissensaustausches herzustellen und eine hierarchische Präsentationssituation zu vermeiden. Zentral für die Projekttage – sowie das gesamte Projekt – war der offene Prozess. Dabei versuchten wir, Prozesse zu initiieren und Strukturen zu schaffen, die Diskurs- und Handlungsräume öffnen und eine Gemeinschaftsarbeit ermöglichen, an der alle teilhaben können. Der mobile Infowagen, die Würfelinstallation, die Slogans und Zitate zum Pflücken sowie das Gesten-ABC und die Buttons sind Vermittlungstools, mit denen wir mittels des Öffentlich-Machens und der Strategie der Intervention spielerisch experimentiert und ausgelotet haben, wie eine kritische Verhandlung von gesellschaftlicher Teilhabe bzw. die aktive Teilhabe an Entscheidungsprozessen aussehen kann.

 

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Der Begriff Spielregeln wird im Sinne Pierre Bourdieus verstanden, der soziale Felder bzw. Räume als „Spiel-Räume“ (Bourdieu 1985: 27, zit. n. Schwingel 1998: 78) definiert und als „autonome Sphären, in denen nach jeweils besonderen Regeln ‚gespielt‘ wird.“ (Bourdieu 1992: 187, zit. n. Schwingel 1998: 78)

Dieser (gekürzte) Beitrag wurde erstmals auf Englisch veröffentlicht in: Conjunctions Conjunctions. Transdisciplinary Journal of Cultural Participation. Vol.3, No. 1, 2016, S. 1-17. http://www.conjunctions-tjcp.com/. Wir danken Elke Smodics und Veronika Aqra für das konstruktive Feedback an dem Beitrag.

Elke Zobl, Laila Huber ( 2018): Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/was-tun-das-verhandeln-von-partizipation-und-das-spielerische-oeffnen-von-liminalen-raeumen-an-den-schnittstellen-von-intervenierender-kunst-kritischer-kunstvermittlung-und-forschung/