„We don’t have to invent diversity, because diversity just is”

Stimmen und Perspektiven für mehr Diversität und Diskriminierungskritik im Kulturbetrieb

Komplexer und intersektionaler Diversitätsbegriff

Der Hype um Diversität in Kunst und Kultur zeigt sich gegenwärtig oftmals als New Management Tool. Nicht selten wird – etwa in betriebswirtschaftlichen Managementkontexten – mit einem marktwirtschaftlich und auf Effizienzsteigerung ausgerichteten Verständnis des Begriffs Diversität argumentiert, um neue zahlende Publika zu erschließen. Und oft wird diese marktorientierte Begriffsdefinition auf politischer Ebene auch in Zusammenhang mit dem Ruf nach Integration gebracht, wobei die geforderte Anpassungsleistung von den zu Integrierenden erbracht werden soll. So beschreibt die Expertin im Bereich Queer DisAbility (Studies) Elisabeth Magdlener im Interview mit Ielizaveta Oliinyk „Behinderung ist kein fixes Konstrukt, sondern wird in unserer Gesellschaftsstruktur gemacht“, dass ihrer Erfahrung nach Diversität oft mit einem Integrationsgedanken verwechselt werde, „bei dem sich alle anpassen müssen, in dem alle demjenigen entsprechen müssen, was als Norm angesehen wird. Diese Umsetzung ist problematisch, denn Vielfalt, Diversität und Inklusion bedeuten eben nicht Anpassung.“

Theatermacher* und Ar/ctivist**1 *(1) Gin Müller weist im Gespräch mit Elisabeth Bernroitner Es braucht Quoten, weil sich sonst nichts ändern wird zudem darauf hin, dass „das Schlagwort Diversity oder Diversität, heutzutage bis in die höchsten Ebenen der Politik“ vorkommt und „absolut den Weg in den Mainstream“ gefunden habe. Begriffe wie Diversität, aber auch Gender und Class seien „leider zu Labels geworden […], die ‚schnell mal draufgepackt‘ werden“. Es passiere „viel Diversity Washing, weil Diversity heutzutage wichtig ist und überall vorkommen muss. Oft steckt aber extrem wenig dahinter […].“

Viele der Interviewten machen darauf aufmerksam, dass im Kontext von Diversität der Fokus auf Diskriminierungen zu richten sei, wobei unter anderem die Reflexion eigener Diskriminierungserfahrungen thematisiert wird. So spricht der Filmemacher und Historiker Djordje Čenić, der seinen praxisbezogenen Zugang zu Diversität betont, im Interview mit Anita Moser Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage über oft schmerzhafte Diskriminierungen. „Aber solche Erfahrungen haben mich zu dem gemacht, der ich bin, der sieht, dass es diese Diversität in der Gesellschaft gibt, aber dass man für ihre Anerkennung kämpfen muss, dass man alles dafür tun muss, andere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen mitzunehmen und gerechte Bedingungen zu schaffen.”

Diversität mit Antidiskriminierungsarbeit zu verbinden, ist wesentlich für tiefer greifende Veränderungen im Kunst- und Kulturbetrieb. Denn häufig geht es bei Diversität bzw. Diversity oder Konzepten wie Interkultur, interkulturelle Öffnung, (kulturelle) Integration um „Begegnung“, „Austausch“, „Lernen über andere Kulturen“. „Wenn diese Formate jedoch nicht mit einer fundierten und professionell begleiteten Diskriminierungsanalyse und -kritik einhergehen, wird das Kernproblem weiterhin aufrechterhalten: die strukturelle und institutionelle Benachteiligung von Individuen und Gruppen […].“ (Micossé-Aikins/Sharifi 2019: o.S.)star (*1)

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Micossé-Aikins, Sandrine/Sharifi, Bahareh (2019): Kulturinstitutionen ohne Grenzen? Annäherung an einen diskriminierungskritischen Kulturbereich. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE:
https://www.kubi-online.de/artikel/kulturinstitutionen-ohne-grenzen-annaeherung-einen-diskriminierungskritischen-kulturbereich (11.09.2022)

Ar/ctivist ist eine Begriffsmelange aus Artivist und Activist und betont Gin Müllers Aktivismus in Bezug auf Kunst, aber auch in anderen gesellschaftlichen Feldern.

Elisabeth Bernroitner, Anita Moser, Ivana Pilić ( 2022): „We don’t have to invent diversity, because diversity just is”. Stimmen und Perspektiven für mehr Diversität und Diskriminierungskritik im Kulturbetrieb. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/we-dont-have-to-invent-diversity/