„We don’t have to invent diversity, because diversity just is”

Stimmen und Perspektiven für mehr Diversität und Diskriminierungskritik im Kulturbetrieb

Für einen differenzierten und reflektierten Zugang in der Auseinandersetzung mit Diversität plädiert die Mitgründerin und Künstlerische Leiterin der Brunnenpassage Anne Wiederhold-Daryanavard, die – gemeinsam mit Stephan Pauly, dem Intendanten des Wiener Musikvereins – von Elisabeth Bernroitner interviewt wurde („Sind wir institutionell für diverses Handeln richtig aufgestellt?“). In der Wiener Brunnenpassage wird demnach häufig über einen „diversitätskritischen Ansatz“ gesprochen, „das heißt, wir versuchen sehr wachsam damit umzugehen“, sagt sie im Interview. Wichtig sei dabei, nicht nur Migration zu fokussieren, sondern Diversität intersektional in den Blick zu nehmen und verschiedene weitere Kategorien – wie „Sprache, Geschlecht, Religion, Klasse, Bildungshintergrund, aber natürlich auch persönliche Vorlieben, körperliche Verfassung, Alter“ – zu berücksichtigen.

Ein derart breiter Zugang zu Diversität sowie eine intersektionale Perspektive auf verschiedene sich überschneidende Diskriminierungsdimensionen ist für viele der Befragten wesentlich. Einige legen dabei den Fokus auf bestimmte Diskriminierungsaspekte, wie zum Beispiel jenen der (zugeschriebenen) Herkunft. Im Gespräch „Wir müssen lernen, die ungehörten Stimmen zu hören“ mit Dilan Sengül erzählt die Regisseurin Aslı Kıslal: „Mein Verständnis von Diversität ist geprägt durch einen postmigrantischen Zugang und das postmigrantische Konzept, in welchem nicht von einem ‚Wir und die Anderen‘ ausgegangen wird, sondern von einem ‚Wir‘ als gesamtgesellschaftliches Konzept.“

Die Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin Amalia Barboza bezieht sich im Interview mit Anita Moser „Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“ unter anderem auf die Idee der Radikalen Demokratie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Diese sprechen „von einer Artikulation, wo Intersektionalität mitgedacht wird, aber nicht statisch zuschreibend, sondern dynamisch, transformativ“, sagt sie. Ihr sei die so perspektivierte Analyse von Diversität wichtig und „gleichzeitig auch transformative Prozesse in Gang zu bringen, damit die Menschen sehen, dass trotz aller Unterschiede alles im Wandel zu betrachten ist, es Gemeinsamkeiten oder Kooperationsmöglichkeiten gibt und dass sich vieles vielleicht noch verhandeln lässt“.

Zuzana Ernst, eine der Kuratorinnen von D/Arts – Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog, verweist im gemeinsamen Interview mit Sheri Avraham und Ivana Pilić, das Anita Moser und Gwendolin Lehnerer mit ihnen führten, Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen, ebenfalls auf die intersektionale Charakteristik in Zusammenhang mit einem diskriminierungskritischen Verständnis des Begriffs Diversität. „Ich glaube, das wichtige Stichwort hier ist intersektional und dass der oder unser Diversitätsbegriff komplex ist – und dass wir als einzelne Personen diesbezüglich nicht alles wissen, nicht alle Sensibilitäten und tools haben.“ Darum sei es wichtig, über die – von D/Arts online eingerichtete – Expert:innen-Plattform aufzuzeigen, welches Wissen es in der Szene gibt.

Sheri Avraham, Künstlerin und Co-Kuratorin von D/Arts, betont den prozessualen Charakter der Dimension Diversität und die Notwendigkeit, die eigenen Position im Kulturbetrieb zu reflektieren: „Was ich unter Diversität verstehe, ist eine Übersetzung von Intersektionalität, ein Raum oder ein Gedankenraum, in dem wir Themen wieder und wieder reflektieren können, wie beispielsweise die Frage, was mein Geschlecht ist, wie ich spreche, mit wem ich wie über was spreche, was meine Privilegien sind, was der ökonomische Hintergrund ist, in dem ich mich befinde oder aus dem ich komme.”

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Micossé-Aikins, Sandrine/Sharifi, Bahareh (2019): Kulturinstitutionen ohne Grenzen? Annäherung an einen diskriminierungskritischen Kulturbereich. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE:
https://www.kubi-online.de/artikel/kulturinstitutionen-ohne-grenzen-annaeherung-einen-diskriminierungskritischen-kulturbereich (11.09.2022)

Ar/ctivist ist eine Begriffsmelange aus Artivist und Activist und betont Gin Müllers Aktivismus in Bezug auf Kunst, aber auch in anderen gesellschaftlichen Feldern.

Elisabeth Bernroitner, Anita Moser, Ivana Pilić ( 2022): „We don’t have to invent diversity, because diversity just is”. Stimmen und Perspektiven für mehr Diversität und Diskriminierungskritik im Kulturbetrieb. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/we-dont-have-to-invent-diversity/