Wenn Städte befragt und Passanten vertont werden

Ein Streifzug durch die Welt der partizipativen Kunst

Zur Einführung: Aktuelle Debatten

In der Lehrveranstaltung wurde einführend ein Überblick zur Entwicklung sozial eingreifender Kunstpraxen gegeben. Wir lernten den Partizipationsbegriff auf Grundlage von ausgewählten wissenschaftlichen Texten und der damit verbundenen Debatte kennen, was es uns erleichterte, das Forschungsfeld näher zu definieren.

Die Kunstkritikerin Astrid Wege sieht, ausgehend von Marcel Duchamp, zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Anfänge der Partizipationskunst in den gesellschaftlichen Umbrüchen der späten sechziger Jahre begründet. In diesem Kontext ist Partizipation als eine „politisch motivierte Vorstellung von Produktions- und Distributionsstrukturen“ (Wege 2006: 236)star (*10) zu verstehen, welche künstlerische Arbeiten einem breiteren Publikum zugänglich machen wollte. Kunst soll nicht mehr als Hochkultur verstanden werden, die lediglich einer elitären Schicht vorbehalten ist. Unter politikwissenschaftlicher Perspektive bezeichnet Partizipation die „Teilhabe […] an Entscheidungsprozessen oder Handlungsabläufen in übergeordneten Strukturen“ (Ebd.: 236).star (*10) Diese politisch-gesellschaftliche Dimension ist besonders seit den späten Achtziger Jahren vordergründig für die Partizipationskunst relevant. Die RezipientInnen von Kunst sollen hierbei nicht nur aktiv in die künstlerische Arbeit eingebunden werden, die Kunst soll und kann auch  starke Emotionen und Dynamik auslösen. (Ebd., S. 236-238)star (*10)

Die KünstlerInnen haben das übergeordnete Ziel, die Distanz zwischen ihnen als ProduzentInnen und den BetrachterInnen zu minimieren, kommunikative Prozesse auszulösen sowie nachhaltige Situationen zu schaffen. Die Kunsthistorikerin Claire Bishop bezieht sich in ihrer Charakterisierung der partizipatorischen Kunst auf die „relationale Kunst“ (Bourriaud 1998: 160)star (*2) von Nicolas Bourriaud, in der sich Kunst auf die menschliche Interaktion und ihr soziales Umfeld fokussiert. (Ebd.: 168)star (*2)

Eine so simple Auslegung von Partizipationskunst wird jedoch beispielsweise von dem Kunsthistoriker Hal Foster scharf kritisiert, da er eine Tendenz befürchtet, in der Kunst generell aus dem Zusammenhang gerissen wird. Das ausschließliche Zusammenkommen, bei dem Menschen auf Menschen treffen, die lediglich miteinander interagieren, reicht nicht aus. Er befürchtet, dass durch eine Eventisierung der künstlerische Kontext in den Hintergrund rückt und das kritische Potential ausbleibt, welches jedoch den wesentlichen Kernaspekt der Partizipationskunst bildet. (Vgl. Foster 2004 : 193-195)star (*3)

Exakt dieses kritische Potential sieht die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe als Essenz von Partizipation an: Sie definiert den öffentlichen als einen konfliktgeladenen Raum, in dem verschiedene Machtverhältnisse herrschen. Diese werden laufend verhandelt, können aber schlussendlich nie endgültig aufgelöst werden. Kunst hat zudem  überwiegend eine politische Relevanz. Ausgehend von diesen Überlegungen beschäftigt sie sich in ihrem Demokratiemodell mit dem „agonistischen Pluralismus“ (Mouffe 2014: 12),star (*5) in dem die demokratische Politik und Institutionen “die Möglichkeit eröffnen, dass Konflikte eine agonistische Form annehmen, bei der die Opponenten nicht Gegner sind, sondern Kontrahenten, zwischen denen ein konflikthafter Konsens besteht“ (Ebd.).star (*5) Dass es zahlreiche divergente und konfliktreiche Meinungen in der Gesellschaft gibt, ist positiv zu bewerten, denn dies schafft das Potential zwischen alternativen Ansichten wählen zu können und sich nicht einer machtvollen Öffentlichkeit unterwerfen zu müssen. Kritische Kunst- und Kulturproduktionen können hierbei Räume schaffen, nicht im Sinne von architektonischen, sondern im Sinne von kommunikativen Räumen, in denen aktiv miteinander neue Perspektiven verhandelt werden können. (Ebd.: 138-142)star (*5)

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Bishop, Claire (2006): Introduction. Viewers as Producers. In: Claire Bishop (Hg.): Participation (Documents of contemporary art), London 2006, S. 10-17.

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Bourriaud, Nicolas (1998): Relational Aesthetics, In: Claire Bishop (Hg.): Participation (Documents of contemporary art), London 2006, S. 160-171.

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Foster, Hal (2004): Chat Rooms. In: In: Claire Bishop (Hg.): Participation (Documents of contemporary art), London 2006, S. 190-195.

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Geertz, Clifford (1973): Dichte Beschreibung: Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, In: Clifford Geertz, Brigitte Luchesi, Rolf Bindemann (Übers.), Frankfurt am Main 1994, 7-20.

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Mouffe, Chantal (2014): Agonistische Politik und künstlerische Praxis. In: Agonistik: Die Welt politisch denken, Berlin 2014. 11-160.

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Ohne Verfasser: https://askyourtown.wordpress.com/ (Zugriffsdatum: 24.02.15)

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Peters, Sibylle (2013): Das Forschen aller. Artistic Research als Wissensproduktion zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft, Bielefeld 2013.

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Wege, Astrid (2006): Partizipation. In: Butin, Hubertus (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, S. 236-240.

Lilia Ubert, Maria Köchler ( 2015): Wenn Städte befragt und Passanten vertont werden. Ein Streifzug durch die Welt der partizipativen Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , https://www.p-art-icipate.net/wenn-stadte-befragt-und-passanten-vertont-werden/