Das AntikultiAtelier

Wir gestalten zusammen neue Interessen.

Was wir im AntikultiAtelier tun, ist nicht nur Kultur zu konsumieren, sondern wir machen uns unsere Kultur.

Wenn Vermittlung daran arbeitet, Nutzungen von Museen und Kulturinstitutionen zu unterstützen und zu erweitern, heißt das anzuerkennen, dass möglicherweise die Kultur, die ein Museum/ein Ausstellungsraum aktuell repräsentiert, nicht die ist, die alle für sich nutzen können und wollen. Wie die Kunstvermittlerin, Kuratorin und Theoretikerin Nora Sternfeld schreibt: „Verstehen wir Kunstinstitutionen als öffentliche Räume, die nicht bloß für alle offen, sondern Orte von allen sein wollen, dann geht es um die Frage nach der Möglichkeit einer Veränderung“ (Sternfeld 2010: 31).star (* 5 )

Ein Museum oder eine Kunstinstitution für die eigenen Interessen und Bildungsprozesse zu nutzen, kann so nicht nur Kulturkonsum heißen, sondern auch „Kultur machen“. Vermittlungsprojekte können auch als Räume geplant werden, in denen nicht nur kulturelle Produktion an unterschiedliche Öffentlichkeiten vermittelt wird, sondern die selbst Räume der Kulturproduktion sind.

Das Selbstverständnis einer Vermittlung, in der nicht nur die Inhalte und das Wissen des Museums weitergegeben und verhandelt werden, sondern auch neues Wissen in die Institution eingeht, hat Carmen Mörsch mit dem Konzept einer transformativen Funktion für Kulturinstitutionen gefasst: „Ausstellungsorte und Museen werden in diesem [transformativen] Diskurs als veränderbare Institutionen begriffen, bei denen es weniger darum geht, Gruppen an sie heranzuführen, als dass sie selbst – aufgrund ihrer durch lange Isolation und Selbstreferenzialität entstandenen Defizite – an die sie umgebende Welt – z.B. an ihr lokales Umfeld – herangeführt werden müssen“ (Mörsch 2009: 10).star (* 3 )

Das heißt auch, Kritik an den herrschenden Lebensrealitäten zu üben.

„Vermittlung“ deutet in vielen Begriffsverwendungen auf eine neutrale Position hin: Vermittelt wird zwischen unterschiedlichen Positionen, um etwa Konflikte beizulegen (Vermittlung im politischen Sinn) oder Beziehungen erst herzustellen (z.B. Partnervermittlung). Die Vorstellung von Neutralität für KunstvermittlerInnen – wenn, wie ich mit Nora Sternfeld vorgeschlagen habe, ein Museum „von allen“ anvisiert wird – drängt sich gerade in der Schweiz, meinem aktuellen Arbeitskontext, auf und ist attraktiv. Der Text des AntikultiAteliers spricht von allgegenwärtiger rassistischer Ausgrenzung: In von Rassismus und Ungleichheit durchzogenen gesellschaftlichen Verhältnissen sich in einem Museum in eine neutrale Position zu wünschen, hieße diese Verhältnisse zu bestätigen. Wie ist es möglich, das als VermittlerIn nicht zu tun? Parteiisch zu sein, Allianzen zu bilden?

Wir lassen uns nicht in Kategorien pressen oder als „interessante Thematik“ missbrauchen, die, sobald sie nicht mehr aktuell ist, fallen gelassen wird. Bei jedem Projekt diskutieren wir gemeinsam, mit wem und in welcher Form wir zusammenarbeiten wollen.

Das AntikultiAtelier entstand aus einem Projekt, das versuchte, Vermittlung als Kooperation zwischen unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu realisieren: zwischen einem Museum und einer Gruppe von Flüchtlingen, die an den Deutschkursen der Autonomen Schule teilnahmen. Ein wesentliches Thema in den Diskussionen in der AntikultiAteliergruppe sind die Machtverhältnisse, die eine Zusammenarbeit zwischen der Gruppe und Kulturinstitutionen durchziehen: zwischen Institution und Selbstorganisation, zwischen Menschen mit und ohne Papiere, zwischen solchen, die in der hegemonialen Sprache Deutsch gewandt sind, und solchen, die sie sich gerade aneignen, und nicht zuletzt zwischen denen, die die Codes des hiesigen Kulturbetriebs beherrschen, und denen, die sich vor dem Hintergrund anderer Wissenssysteme damit auseinandersetzen. Diese Machtverhältnisse führen dazu, bei jeder Anfrage von Kulturschaffenden an die Gruppe, bei jeder Möglichkeit der Teilnahme im Kunstbetrieb zu fragen: Wer nimmt hier welche Rolle ein?

Was heißt das für die Position als Vermittlerin in einer Kulturinstitution, die an einer Zusammenarbeit mit anderen Öffentlichkeiten trotz und entgegen der genannten oder ähnlicher Machtkonstellationen interessiert ist? Was heißt Arbeiten gegen die Machtverhältnisse in kollaborativen Vermittlungsprojekten?

Zunächst einmal Transparenz: Als AkteurIn innerhalb der Institution Auskunft darüber zu geben, was die Rahmenbedingungen eines Projekts sind (räumlich, zeitlich, finanziell) und welche Interessen es daran gibt (welche Interessen hat die Institution an der Zusammenarbeit? Welche die VermittlerIn selbst? Welche eventuelle Fördergeber oder andere Beteiligte?) gibt anderen erst die Basis für die Diskussion über Kooperationsmöglichkeiten.

Die zweite Ebene betrifft die Entscheidungsprozesse im geplanten gemeinsamen Projekt: Welchen inhaltlichen Spielraum bietet das Projekt für die Interessen der KooperationspartnerInnen? Wer entscheidet über Inhalte? Wer entscheidet über die Verwendung von eventuellen finanziellen Ressourcen?

Gemeinsam entwickeln wir eine politische Kunstpraxis, die uns ermöglicht, mit unseren unterschiedlichen Geschichten eine neue Position zu finden.

Diese Position könnte ich nicht finden, nicht denken ohne die KollegInnen im AntikultiAtelier. Eine dritte Ebene führt damit wieder zurück zur oben angesprochenen Kritik an der Vorstellung einer neutralen Position als Vermittlerin. Warum möchte ich mit einer Gruppe zusammenarbeiten? Vermittlung als kollaborative Wissensproduktion zu denken, heißt auch als Vermittlerin vom eigenen Lernen und Verlernen auszugehen, und die eigene Dringlichkeit in einem kollektiven Prozess zu formulieren.

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Erdede, Niştiman/Ateliergruppe (2012): Kunst gegen die Fremdmacherei. In: Settele, Bernadett/Mörsch, Carmen et al.: Kunstvermittlung in Transformation. Perspektiven und Ergebnisse eines Forschungsprojektes. Zürich: Scheidegger & Spiess.

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Landkammer, Nora / Polania, Felipe (2012): Atelier. Ein Dialog über die Zusammenarbeit. In: Settele, Bernadett/Mörsch, Carmen et al.: Kunstvermittlung in Transformation. Perspektiven und Ergebnisse eines Forschungsprojektes. Zürich: Scheidegger & Spiess.

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Mörsch, Carmen (2009): Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation. In: Ebds. und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Zürich/Berlin: diaphanes.

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Settele, Bernadett/Mörsch, Carmen et al.(2012): Kunstvermittlung in Transformation. Perspektiven und Ergebnisse eines Forschungsprojektes. Zürich: Scheidegger & Spiess.

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Sternfeld, Nora (2010): Das gewisse savoir/pouvoir. Möglichkeitsfeld Kunstvermittlung. In: Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine ADKV (Hg.), COLLABORATION. Vermittlung.Kunst.Verein. Köln: Salon Verlag.

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Stöger, Gabriele (2002): Wer schon Platz genommen hat, muss nicht zum Hinsetzen aufgefordert werden. In: Rollig, Stella/Sturm, Eva (Hg.): Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum, Wien: Turia und Kant.

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Wieczorek, Wanda/ Güleç, Ayşe/Mörsch, Carmen (2012): Von Kassel lernen. Überlegungen zur Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung am Beispiel des documenta 12 Beirat. Art Education Research No.6, online unter: http://iae-journal.zhdk.ch/files/2012/05/AER-no5-wieczorek_guelec_moersch.pdf

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Ahmad, Zuher Kara/Askar, Saleban Abdi/Ekator, Katy/Farzad, Tagharrobi/González, Fabiana/Haydari, Ibrahim/Hassan, Aras Hemn/Jafari Benjamin/Kengmoe, Marguerite /Khider, Karim/ Landkammer, Nora/Motina/ Njuguna, John Mwangi/ Polania, Felipe/Rose/ Shawkat, Nareeman/ Weibel, Marco (2010): Bleibeführer Zürich, Zürich: Institute for Art Education/ Bildung für Alle/Museum für Gestaltung Zürich. Online unter: http://antikultiatelier.blogspot.ch/p/blog-page.html

Forschungs- und Entwicklungsprojekt in Zusammenarbeit zwischen 4 Hochschulen und 6 Museen in der Schweiz, 2009-2011, gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds. Vgl. die Publikation zum Projekt Settele/
Mörsch 2012, zur Arbeit des Ateliers insbesondere die Beiträge Landkammer/Polania und Erdede/Ateliergruppe.

An der Autonomen Schule Zürich finden Deutschkurse sowie Kurse in Informatik und im Kulturbereich statt, die mehrheitlich von Flüchtlingen – mit oder ohne Papiere – besucht werden. http://www.bildung-fuer-alle.ch/ (15.04.2012)

Skype-Gespräch und Videobeitrag zum Vortrag „Chewing the Borders, oder Kauen um wach zu bleiben, oder Widerstand im Widerspruch“ von Rubia Salgado, Chewing the Scenery, 54. Biennale di Venezia, 8.9.2011.

AntikultiAtelier ( 2013): Das AntikultiAtelier. Wir gestalten zusammen neue Interessen.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/wir-gestalten-zusammen-neue-interessen-das-antikultiatelier/