„Wir müssen lernen, die ungehörten Stimmen zu hören“

Aslı Kışlal im Gespräch mit Dilan Sengül

Was aus deiner Arbeit bringst du bei D/Arts – Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog ein? Was ist deiner Meinung nach bei dem Projekt bisher besonders gut gelaufen und wo siehst du Herausforderungen, die D/Arts bevorstehen?

Ich war Teil der Policy Group, welche sich einige Male getroffen hat, um Gedanken dazu zu sammeln, welche Expertisen vorhanden und notwendig sind, um das Leitungsteam gut zu begleiten und das Profil zu schärfen. Die Idee, ein Diversitätsbüro zu installieren, war von Anfang an da und die Notwendigkeit wird uns in den Diskussionen rund um D/Arts auch immer stärker bewusst. Der Prozess, ein D/Netzwerk zu bilden, ist besonders gut gelaufen und birgt noch viel spannendes Potenzial in sich. Es ist notwendig, sich zu vernetzen und zusammenzuschließen. Die neue Qualität der aktivistischen Kunst ist, sich nicht als Konkurrenz, sondern komplementär zu verstehen. Eine der positiven Entwicklungen in den letzten Jahren ist, dass man sich gegenseitig stärkt und eine Stimme bildet, weil es so mühsam ist, in der eigenen Arbeit und in der eigenen Bubble mit seinen eigenen Kämpfen die Massen zu erreichen. Das an D/Arts Projektbüro auslagern zu können, finde ich sehr schön. Ich habe das Gefühl, dass, wenn D/Arts als Projektbüro wirklich umgesetzt wird, ich mehr Raum zum Aufatmen haben werde, weil es dann eine Stelle dafür gibt und ich mich mehr auf meine Kunst konzentrieren können werde.

Was soll denn D/Arts im Idealfall für den Kunst- und Kulturbereich bewirken?

Eine Veränderung im institutionellen Bereich. Da sind wir bereits zu spät dran. Die Gesellschaft hat sich verändert, aber die Institutionen noch nicht. Es wird Zeit, dass sie sich integrieren in die neue Gesellschaft und D/Arts muss die Kraft haben, eine Umsetzungsmacht zu erlangen, damit diese Bewegungen vorangetrieben werden. All die Maßnahmen, die wir auch von anderen Ländern kennen, um die Diversität unserer Gesellschaft mehr abbilden zu können, sollten auch bei uns ankommen. D/Arts muss sich etablieren, damit strukturelle Veränderungen vorangetrieben werden können.

Und bezogen auf das gesellschaftliche Zusammenleben, inwiefern kann D/Arts hier Veränderung bewirken?

Eine positive Veränderung, die sich schon beobachten lässt, ist, dass es langsam einen Gesichtswechsel in der Szene gibt, dass es eine neue Generation gibt, die sehr politisch und künstlerisch agiert, die das gesammelte Wissen von uns Älteren mitnimmt und weiterführt. Ich freue mich über dieses Handeln und weiß, dass ich davon viel lernen werde. Die Vielfalt ist im Vergleich zu früher unglaublich groß, denn viel mehr Communitys haben sich mittlerweile den Raum genommen. Der Jugoslawienkrieg hat in den 1990er Jahren viele Intellektuelle und Künstler:innen nach Österreich gebracht. Diese haben aber nicht die Chance gehabt ihren Job, ihre Profession auszuüben. Wir haben also im Grunde eine verlorene Generation von Intellektuellen, Künstler:innen, Macher:innen, die sich hier ganz anderen Gegebenheiten unterordnen mussten. Heutzutage ist es möglich, schneller in die unterschiedlichen Netzwerke reinzukommen. Es gibt viele Aktionen, Aktivitäten, Gruppierungen und Vereine, die diese neue Kraft, die nach Österreich kommt, schneller versucht in die Kunstszene zu integrieren. Natürlich finden nicht alle den Zugang in diese Netzwerke, aber mittlerweile gibt es mehr Chancen für Menschen, die neu ankommen.

Ich verstehe dich, betrachte es aber kritischer. Nach 2015 gab es einige Produktionen, in welchen geflüchtete Künstler:innen mitgewirkt haben. Thema war meistens Flucht und die eigene Fluchtbiografie. Einerseits wird dadurch ein Zugang zur Bühne geschaffen und somit eine Sichtbarkeit für die Künstler:innen, die sie brauchen, um ihre Arbeit fortzusetzen. Andererseits werden sie auf ihre Fluchtbiografie reduziert und nicht als Künstler:innen wahrgenommen, bedienen und reproduzieren somit auch Stereotype. Es sind tatsächlich immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund auf den Bühnen zu sehen, doch welche Rollen werden ihnen angeboten?

Aslı Kışlal, Dilan Sengül ( 2022): „Wir müssen lernen, die ungehörten Stimmen zu hören“. Aslı Kışlal im Gespräch mit Dilan Sengül. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/wir-muessen-lernen-die-ungehoerten-stimmen-zu-hoeren/