„Wir müssen lernen, die ungehörten Stimmen zu hören“

Aslı Kışlal im Gespräch mit Dilan Sengül

Es war eine Lücke, die die großen Institutionen gefunden haben, um sich die postmigrantische Fahne umzuhängen. Das ist noch nicht überwunden, was wir merken, wenn wir uns genau ansehen, welche Stücke auf den Bühnen gespielt werden, und hinterfragen, wer wieso welche Rolle spielt. Die freie Szene ist oft ein Experimentierfeld, von dem die Staatstheater und großen Institutionen das, was sich lohnt, in das Programm übernehmen.

Wir als diverCITYLAB werden uns in den nächsten vier Jahren noch einmal intensiv damit beschäftigen, wer wieso welche Rolle spielt, welche Rollenbilder auf der Bühne gezeigt werden und welche Bilder somit reproduziert werden. Das ist unser inhaltlicher Fokus und deshalb ‚killen‘ wir die diverCITYLAB-Akademie. Als wir vor acht Jahren mit unserer Arbeit begonnen haben, war es unsere Zukunftsvision, uns selbst abzuschaffen, da es quasi zu einer Norm geworden sein wird, dass sich die diversen Schauspielschulen öffnen. Das ist zum Teil passiert. Die Schulen haben von uns erfahren und auch Studierende abgeworben. Das heißt, diese Lücken wurden erkannt, gesellschaftsabbildend sind solche Entwicklungen aber noch nicht.

diverCITYLAB Produktion 2021: Love Me Tinder © Selen Heinz

diverCITYLAB Produktion 2021: Love Me Tinder © Selen Heinz

Menschen, die bei uns die Ausbildung mit einem Diplom abgeschlossen haben, haben in der Szene weiterhin zu kämpfen. Obwohl alle dieselbe Ausbildung genossen haben, ist es auch Fakt, dass die Menschen mit weniger „Migrationsmerkmalen“ – sei es der Name oder das Aussehen – schneller einen Job bekommen, und die anderen nur angefragt werden, wenn es um bestimmte Themen geht. Das bedeutet, dass ich so viele Menschen wie möglich ausbilden kann, aber so lange sich bei den entscheidenden Gremien, den Autor:innen, den Dramaturg:innen, den Regisseur:innen und Institutionen nicht das Verständnis von Diversität ändert, sich die Rollenaufteilung nicht ändern wird. Deshalb haben wir die bewusste Entscheidung getroffen, nicht noch mehr Leute auszubilden, sondern die Fragen nach Rollen und Rollenbildern, wie wir damit umgehen und unsere eigenen Projekte inszenieren, ins Zentrum zu stellen.

Wie nimmst du den Kulturstandort Salzburg in Bezug auf Diversität wahr? Was fällt dir zum Kunst-und Kulturbetrieb ein?

Um ehrlich zu sein, die Salzburger Festspiele und nicht viel mehr. Ich habe aber auch noch eine andere Verbindung zu Salzburg, denn als in den 1990er Jahren die Breakdancer aus meiner Theatergruppe ein eigenes Stück machen wollten, haben wir mehrere Male in Wien um Förderungen angesucht, wurden aber nie akzeptiert, weil Breakdance nicht als Kunst, sondern als Straßenkunst angesehen wurde. Aus Salzburg hat sich ein privater Mäzen bereit erklärt, Geld zur Verfügung zu stellen, und die Breakdance-Ausbilder sind von Wien nach Salzburg gegangen. Theater und große Salzburger Institutionen haben dann ihre Räume für Hip-Hop geöffnet haben und einer der wichtigsten Choreographen, Valentin Alfery, hat sich dort etabliert. Wien hat damals einen Fehler gemacht, wodurch die Breakdance-Szene hier geschwächt wurde, weil die Besten weggegangen sind.

Aslı Kışlal, Dilan Sengül ( 2022): „Wir müssen lernen, die ungehörten Stimmen zu hören“. Aslı Kışlal im Gespräch mit Dilan Sengül. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/wir-muessen-lernen-die-ungehoerten-stimmen-zu-hoeren/