Wozu das Ganze?
Absichten, Zwecke und Wirkungen sozietärer künstlerischer Partizipationsprojekte
Kontroversen lancieren, Emanzipierungsprozesse anstoßen: Frank Bölters Arbeit in und für Sachsenberg
Frank Bölter traf mit seiner partizipatorischen künstlerischen Praxis in Sachsenberg auf ungleich schwierigere Voraussetzungen, weshalb seine Arbeit hier diskutiert werden soll. Sein Projekt wurde 2013 im hessischen Örtchen Sachsenberg ‑ wie die Arbeit der Reinigungsgesellschaft ‑ im Rahmen des Projektes „Kunst fürs Dorf. Dörfer für Kunst“ realisiert (Deutsche Stiftung Kulturlandschaft 2014: 36-45). (*2) Der Projektverlauf war geprägt von divergierenden Interessen der beauftragenden Stiftung, der kooperierenden Gemeinde respektive ihrer Vertreter und des Künstlers. Den unterschiedlichen Vorstellungen vom Zweck des künstlerischen Arbeitens vor Ort – einzelne Gemeindevertreter formulierten die Zielstellung, dass ein dekoratives Kunstwerk in Sachsenberg verbleiben möge – entsprechen die verschiedenen Bewertungen der Wirkung(en) von Bölters Tun.
Die Herausforderung für den Künstler bestand zunächst darin, dass die Gemeindevertreter ihn eingeladen hatten, ohne die BewohnerInnen in die Entwicklung des Projektes einzubeziehen. Ohne Bereitschaft, sich auf partizipative Prozesse einzulassen, verfolgten sie vielmehr über die Interessen der SachsenberInnen hinweg ihre eigene Agenda, als Konsequenz daraus operierten sie weitgehend ohne deren Rückhalt. In dieser mikropolitisch schwierigen Lage und ausgestattet mit dem Auftrag der Stiftung, etwas „für die Gemeinde“ zu tun, sah Bölter das größte Potenzial darin, den SachsenbergerInnen anzubieten, das Projekt „Kunst für ihr Dorf“ selbst in die Hand zu nehmen.
So verteilte er parallel zu verschiedenen Gemeinschaftsaktivitäten ein polemisches Flugblatt an alle Haushalte, in dem er neun Ideen für „ein Kunstwerk für Sachsenberg“ vorschlug, mit der Bitte den favorisierten Vorschlag zu markieren. Basisdemokratisch sollte dann die Idee mit den meisten Stimmen realisiert werden. Sämtliche Vorschläge sind in unterschiedlichen Graden absurd, zum Beispiel schlug der Künstler vor, den lokalen Uferpark „Vordere Wasche“ in „Frank-Bölter-Park“ umzubenennen. Unter Punkt 10: „Ich finde alles Scheiße, ich mache lieber selber was!“ rief Bölter schließlich dazu auf, selbst Vorschläge für künstlerische Arbeiten zu entwickeln.
Er verzeichnete einen Rücklauf von 48 Flugblättern. Neben dem Vorschlag, einen „Frank-Bölter-Park“ in Timbuktu einzurichten oder den Künstler aufgrund seiner Vorschläge zu „teeren und zu federn“ fand sich hierunter eine Beschwerde über eine derartige Ver(sch)wendung von Steuergeldern. Mit 32 Stimmen wünschte sich die überwiegende Zahl der TeilnehmerInnen die Realisierung von Bölters Vorschlag Nr. 6: Das alte, 1889 abgebrannte Rathaus sollte en miniature als Vogelhäuschen wieder aufgebaut werden.
Im Rahmen des jährlichen Hofstadtplatzfest machte kurz danach eine Handvoll SachsenbergerInnen vor Publikum und aus Protest gegen die Einfälle des Künstlers sechs Gegenvorschläge. Bernd Saalfranks Idee, in einer kollektiven Aktion ein Sachsenberger Tor unter Verwendung von im Dorf zahlreich vorhandenen Ziegelsteinen einer insolvent gegangen lokalen Ziegelsteinfabrik zu errichten, wurde von den Beteiligten und dem Künstler zur Realisierung bestimmt. Nach zähen Querelen über den Aufstellungsort sowie über die Verwendung einer großen, anonym gespendeten Betonplatte wurde die Idee außerhalb der Gemeindegrenze realisiert – mit stetig wachsender Beteiligung und Identifikation der SachsenbergerInnen, die schließlich feststellen, vom Tor aus habe man den schönsten Blick auf Sachsenberg, oder eigentlich: Durch das Tor habe man die Schönheit des Ortes überhaupt erst realisiert.
Unmittelbar vor dem feierlichen Projektabschluss wurde das Sachsenberger Tor mit der Betonplatte versperrt und damit die Frage des Künstlers an die TeilnehmerInnen des Abschlussfestes provoziert: „Wollt Ihr die freie Sicht auf Sachsenberg und frisches Denken hinter seine schöne Fachwerkfassade bringen, oder soll alles bleiben, wie es ist?“ Daraufhin wurde das Tor von mehreren Anwesenden gewaltsam wieder geöffnet. Im Anschluss wurde die das Sachsenberger Tor versperrende Betonplatte auf dem Marktplatz als Stein des Anstoßes aufgestellt (Deutsche Stiftung Kulturlandschaft 2014: 42). (*2)
Nach Projektende gründete sich um Bernd Saalfrank ein basisdemokratisch aufgestellter Verein, der seitdem die Geschicke des Dorfes leitet. Die konfliktreichen Aushandlungsprozesse zwischen dem Künstler, den SachsenbergerInnen und ihren Gemeindevertretern auf der einen sowie zwischen dem Künstler und der Deutschen Stiftung Kulturlandschaft auf der anderen Seite um divergierende Kunstbegriffe sowie um diametrale Vorstellung von gesellschaftlicher Mitgestaltung (ein paternalistisches Top-down versus ein Bottom-up emanzipierter mündiger BürgerInnen) mündeten in eine politische Sensibilisierung und Aktivierung aller Beteiligten. Die Wirkung von Frank Bölters Arbeit, also der von der Stiftung beauftragten partizipativen Kunst im öffentlichen Raum, ist damit zuallererst eine politische: Seine künstlerische Arbeitpraxis, „unterschiedlichste Öffentlichkeiten in Kommunikationsprozesse mit offenem Ausgang“ (Bölter 2015) zu verwickeln, resultierte in eine Mobilisierung der SachsenbergerInnen, die in der Konsequenz zu einer grundlegenden Neuordnung des politischen Gefüges im Dorf führte.
Silke Feldhoff ( 2016): Wozu das Ganze?. Absichten, Zwecke und Wirkungen sozietärer künstlerischer Partizipationsprojekte. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/wozu-das-ganze/