Zehn Jahre Ladyfest

Kulturelle Produktion und rhizomatische Netzwerke junger Frauen

Bildet Rhizome und keine Wurzeln, pflanzt nichts an! Sät nichts aus, sondern nehmt Ableger! Seid weder eins noch multipel, seid Mannigfaltigkeiten! Zieht Linien, setzt nie einen Punkt! Geschwindigkeit macht den Punkt zur Linie! Seid schnell, auch im Stillstand! Glückslinie, Hüftlinie, Fluchtlinie. Lasst den General in euch aufkommen! Ihr braucht keine richtigen Ideen zu haben, nur habt eine Idee (Godard). Habt kurzlebige Ideen. Macht keine Photos oder Zeichnungen, sondern Karten. Seid der rosarote Panther und ihr werdet euch lieben wie Wespe und Orchidee, Katze und Pavian. (Deleuze/Guattari 1992: 41)star (* 8 )

Eine der interessantesten Transformationen in der Jugendkultur seit den 1990er Jahren ist die steigende Zahl an Jugendlichen, die als aktive kulturelle ProduzentInnen eine große Vielfalt an Filmen, Musik und Medien hervorbringen . Ein neues Phänomen in der weiblichen Jugendkultur ist das Wachstum von queer-feministischen Festivals, den so genannten Ladyfesten. Ladyfeste sind nicht-kommerzielle, kulturelle Festivals, die von und für junge Frauen organisiert werden, um ihren künstlerischen und politischen Arbeiten ein Forum zu bieten. Das „LaD.I.Y.fest Berlin“ beschreibt sich beispielsweise als „ein unkommerzielles ‘Do it yourself’ (D.I.Y.)-Festival, das von feministischen AktivistInnen, KünstlerInnen und MusikerInnen auf freiwilliger Basis organisiert wird. Es bietet diversen FeministInnen, die sich künstlerisch und politisch engagieren, einen Raum, im Rahmen von Konzerten, Kunstausstellungen, Filmvorführungen, Diskussionen und Workshops ihre Fähigkeiten und Talente zu zeigen. Es ist ein Mitmach- und ein Gemeinschaftsfestival!“ (LaD.I.Y.fest Berlin Webseite).

Ladyfeste stehen in der Tradition von frauenspezifischen und feministischen Festivals. Die Wurzeln der Ladyfeste liegen bei der in den USA zu Beginn der 1990er Jahre entstandenen Riot-Grrrl-Bewegung (Baldauf/Weingartner 1998star (* 2 ), Downes 2007star (* 9 ), Gottlieb/Wald 1994star (* 10 ), Leonard 2007star (* 19 ), Monem 2007star (* 20 )), einer feministischen Jugendkultur, die mit dem Slogan „Revolution Grrrl Style Now!“ selbstbestimmt ihren Platz in der männerdominierten Post-Punk-Szene einforderte. Die Riot-Grrrl-Bewegung bestand aus einem Netzwerk von nationalen Gruppen (so genannten Chapters), Musiklabels und eigenständigen Distributionsnetzwerken mit dem Ziel, Mädchen und junge Frauen als kulturelle Produzentinnen zu bestärken und Selbstermächtigung durch die Methode des Do-It-Yourself zu bewirken (Gottlieb/Wald 1994)star (* 10 ). Vor allem aufgrund der medialen Verzerrung und kommerziellen Aneignung von „Girl Power“ verlor die Bewegung in den USA Mitte der 1990er Jahre an Impetus.

Kristen Schilt (2005)star (* 28 ) beschreibt Riot Grrrl als eine Musikszene und kommt – basierend auf der Auswertung von Interviews mit Riot-Grrrl-AktivistInnen – zu dem Schluss, dass Riot Grrrl einen nachhaltigen Einfluss auf die involvierten Frauen hatte. Schilt deutet die Auflösung der Riot-Grrrl-Szene nicht als Zeichen für ihr gänzliches Verschwinden, sondern als Beweis dafür, dass Frauen neue Wege gefunden haben, ihre Gedanken, Emotionen und Erfahrungen auszudrücken, ihre kulturellen Produktionen sichtbar zu machen und sich lokal, transnational und virtuell auszutauschen, unter anderem in der Organisation von Ladyfesten (Schilt 2005: 128)star (* 28 ). Ausgehend vom ersten Ladyfest 2000 in den USA (Olympia, Washington) hat sich die Ladyfest-Szene in den letzten zehn Jahren weltweit verbreitet. Während die Ladyfest-Szenen von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein können, verbindet sie nicht nur der gemeinsame Name, sondern auch ein Bekenntnis zu (queer-)feministischem Aktivismus und vielfältigen Netzwerken kultureller Produktion.

Andy Bennett und Richard A. Peterson argumentieren in „Music Scenes“ (2004)star (* 3 ), dass jede Szene einzigartig ist, aber generell drei Typen an Szenen definiert werden können: Erstens die lokale Szene mit einem spezifisch geografischen Fokus. Die translokale Szene zweitens bezieht sich auf weit verstreute lokale Szenen, die regelmäßig miteinander kommunizieren. Und drittens, in der relativ neuen virtuelle Szene tauschen sich Menschen über physische Räume hinweg im Internet aus (Bennett/Peterson 2004: 6–7)star (* 3 ). Im Sinne von Bennett und Peterson verstehe ich Ladyfeste als Ausformungen von lokalen, transnationalen und virtuellen queer-feministischen Szenen, die sehr stark untereinander vernetzt sind und sich wechselseitig bedingen und befruchten, aber als einzelneunabhängig voneinander bestehen können. In diesem Rahmen interessiert mich die Frage: Unter welchen Bedingungen entstehen lokale, translokale und virtuelle Ladyfest-Szenen und wie verändern sie sich? Welchen Einfluss haben neue Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Entstehung und den Bestand dieser Szene? Im Folgenden argumentiere ich, dass die lokalen, transnationalen und virtuellen Ladyfest-Szenen einen fruchtbaren Ausgangspunkt bieten, um Einblick in die rhizomatischen Netzwerke kultureller Produktion von jungen Frauen zu gewinnen. Nach einer Netzwerk-Begriffsklärung und einer kurzen Beschreibung der Entwicklung der Ladyfeste analysiere ich diese Netzwerke und weise zum Schluss auf offene Fragen hin.

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Aragon, Janni (2008): The ‘Lady’ revolution in the age of technology. In: International Journal of Media and Cultural Politics. 4(1), S. 71–85.

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Baldauf, Anette/ Weingartner, Katharina (Hg.) (1998): Lips, Tits, Hits, Power? Popkultur und Feminismus. Wien/ Bozen: Folio.

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Bennett, Andy/ Peterson, Richard A. (Hg.) (2004): Music Scenes: Local, Translocal, and Virtual. Nashville: Vanderbilt University Press.

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Castells, Manuel (2001a): Internet, Netzgesellschaft – Das World Wide Web als neues technisch-soziales Paradigma. In: Lettre International. Berlin, Nr. 54, S. 38–44.

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Castells, Manuel (2001b): Das Informationszeitalter: Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur. Teil 1: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Opladen: Leske + Budrich

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Castells, Manuel (1997): The power of identity. Vol. II. Oxford und Malden, MA (USA): Blackwell Publishing.

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Carstensen, Tanja (2009): Gender Trouble in Web 2.0. Gender perspectives on social network sites, wikis and weblogs, Online Proceeding of the 5th European Symposium on Gender & ICT. University of Bremen. http://www.informatik.uni-bremen.de/soteg/gict2009/proceedings/GICT2009_Carstensen.pdf (Einsicht 29.06.2010).

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Deleuze, Gilles/ Guattari, Felix (1992 [1980]): Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve.

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Gottlieb, Joanne/ Wald, Gayle (1994): Smells Like Teen Spirit: Riot Grrrls, Revolution and Women in Independent Rock. In: Ross, Andrew/ Rose, Tricia (Hg.): Microphone Friends. Youth Music and Youth Culture. New York and London: Routledge, S. 250–274

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Groß, Melanie (2006): ’Das Internet als Plattform politischer Interventionen: Ladyfeste im Netz’. kommunikation@gesellschaft 7, 4. http://www.soz.uni-frankfurt.de/K.G/B4_2006_Gross.pdf (Einsicht 29.06.2010)

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Monem, Nadine (Hg.) (2007): Riot grrrl: revolution girl style now! London: Black Dog Publishing.

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Mooshammer, Benins/ Trimmel, Eva-Maria (2005): Ladyspace. Feministische Raumpraktiken am Beispiel Ladyfest. Diplomarbeit, Technische Universität Wien.

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Ommert, Alek (2008): “Feminists we’re calling you. Please report to the front desk …” Ladyfeste als queer-feministische Praxis. In: Feministische Studien, Nr. 2, S. 230–238.

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Reitsamer, Rosa (2008) These islands where we came from: Notes on Gender and Generation in the Viennese lesbian-queer subculture. In: Gržinić, Marina/ Reitsamer, Rosa (Hg.). New Feminism. Worlds of Feminism, Queer and Networking Conditions. Wien: Löcker, S. 215–229.

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Schachtner, Christine (2004): Gegenwind im Netz. Genderpolitische Reflexionen über virtuelle Frauen-Räume. www.wu.ac.at/gender/forschung/abgeschlp/2004/gendersen/6gegenwind1.pdf (Einsicht 29.06.2010).

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Schachtner, Christine/ Winker, Gabriele (Hg.) (2005): Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frauennetze im Internet. Frankfurt und New York: Campus.

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Schilt, Kristen (2005): ‘“The Punk White Privilege Scene’: Riot Grrrl, White Privilege, and Zines”. In: Reger, Jo (Hg.): Different Wavelengths: Studies of the Contemporary Women’s Movement. New York and London: Routledge, S. 39–56.

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Taube, Wolfgang/ Winker, Gabriele (2005): Virtuelle Nachbarschaften zur Unterstützung subalterner Gegenöffentlichkeiten. In: Schachtner, Christine/ Winker, Gabriele (Hg.) Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frankfurt/ New York: Campus, S. 107–124

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Walker, Rebecca (2006 [1992]). Becoming the Third Wave. In: Ms. Magazine. 39, 1992. Nachdruck in: Heywood, Leslie (Hg.) (2006): The Women’s Movement Today. An Enyclopedia of Third-Wave Feminism. Westport, CT (USA): Greenwood Press, S. 3–5.

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Wischermann, Ulla (2003): Frauenbewegung und Öffentlichkeit um 1900. Netzwerke-Gegenöffentlichkeit-Protestinszenierung. Königstein/ Taunus: Ulrike Helmer Verlag.

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Ladyfest Berlin 2005: www.workstation-berlin.org

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Ladyfest Olympia: www.ladyfest.org

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Webseiten (Einsicht alle 29.06.2010)

Ladyfest Wien: www.ladyfestwien.org

Ladyfest Olympia: www.ladyfest.org

Ladyfest Wien 2004: www.kwml.net/output/?e=86&page=ladygroups&a=web&b=Herstory&c=yes&d=8349c0d6

Ladyfeste Europe MySpace-Seite: www.myspace.com/ladyfesteurope

Ladyfest Archive Project: www.grassrootsfeminism.net, http://www.myspace.com/ladyfestarchiveproject,

Facebook Gruppe „I am/was a Ladyfest organizer“: http://www.facebook.com/home.php?#!/group.php?gid=13553024689

Ladyfest World Domination: http://www.myspace.com/ladyfestworlddomination

Dieser Artikel erschien unter dem Titel „Zehn Jahre Ladyfest: Rhizomatische Netzwerke einer lokalen, transnationalen und virtuellen queer-feministischen Szene“ erstmals in: Rosa Reitsamer,  Wolfgang Fichna (Hg.): »THEY SAY I’M DIFFERENT …« Popularmusik, Szenen und ihre AkteurInnen. Wien: Löcker Verlag, 2011, S. 208-227. Mit herzlichem Dank an Rosa Reitsamer für die Abdruckgenehmigung! Der Artikel wurde im Rahmen des Forschungsprojektes von Elke Zobl “Young women as creators of new cultural spaces” (gefördert vom Fonds für wissenschaftliche Forschung Österreich, 2007–2011) verfasst. Das Projekt nimmt transnationale Ladyfeste als Beispiel und Ausgangspunkt, um die kulturellen Praktiken junger Frauen zu untersuchen (s. www.grassrootsfeminism.net). Ich danke Anita Hammer für die Hilfe bei der Datenerhebung sowie Stefanie Grünangerl und Rosa Reitsamer für konstruktives Feedback an diesem Artikel.

Empirische Studien gehen davon aus, dass diese Zunahme an kultureller Produktion von weiblichen Jugendlichen verschiedenen sozialen, politischen und technologischen Transformationen zuzuschreiben ist, wie der größeren Zugänglichkeit zu Medientechnologien, der Explosion von Medienvermittlungsinitiativen und der Einbindung von Produktionspraktiken in Medienerziehungscurricula (Kearney 2003, Buckingham 2003). Zusätzlich hing dieser Zuwachs mit dem Auftreten der Riot-Grrrl-Bewegung und seiner Propagierung von ‚Girl Power’ zusammen (vgl. Kearney 2003: 32). Es ist auch argumentiert worden, dass die heterogenen kulturellen Räume, die Mädchen und junge Frauen schaffen, gekennzeichnet sind durch Prozesse aktiver kultureller Produktion und Partizipation; folglich könnten sie als die erste Voraussetzung einer partizipativen Demokratie und aktiver jugendlicher Bürgerschaft (Harris 2004) gesehen werden.

Weitere derartige Festivals sind: Clitfest (Frankreich, Neuseeland, USA), Mamagathering (USA), das Girls Rock Camp (USA, Deutschland, Österreich), Rampenfiber (Österreich), die Queer-Feministischen Tage (Deutschland, Österreich), Breaking the Waves (England), Love Kills (Rumänien) oder das Girl Power Fest (Kroatien).

Schon in der Riot Grrrl-Bewegung bestand dieses Problem: Hauptgrund für die Umbenennung von „Riot Grrrl“ in „Ladyfest“ war die mediale Verzerrung und kommerzielle und massenmediale Aneignung der Begriffe „grrrl  und „grrrl power“ in „girlie“ und das “angry women in rock” Phänomen. Andererseits – positiv betrachtet – hat  die Riot Grrrl-Bewegung dadurch Bekanntheit erlangt (Kearney 2006).

Dieser Titel könnte ein Verweis auf Lee Edelman’s Buch “No Future: Queer Theory and the Deat Drive  (2004)  sein. Danke an Rosa Reitsamer für diesen Hinweis.

Alle zitierten Interviewpassagen basieren auf den Recherchen der Autorin zu Ladyfesten.

Radical cheerleading entstand in den USA und basiert auf einer ironischen Aneignung der Ästhetik des „cheerleading“, indem z.B. die Sprechchöre geändert werden, um sich für feministische und (linke) politische Agenden einzusetzen. Radical cheerleaders treten oft bei Demonstrationen und feministischen Festivals auf.

“Eine virtuelle Nachbarschaft ist ein eigenständiger Ort im WWW, an dem Websites und Personen gebündelt werden, die einen gemeinsamen inhaltlichen Bezug haben.” (Taube & Winker, 2005: 111)

Dieses wurde im Zuge des Forschungsprojektes der Autorin aufgebaut und ist unter www.grassrootsfeminism.net abrufbar.

Elke Zobl ( 2012): Zehn Jahre Ladyfest. Kulturelle Produktion und rhizomatische Netzwerke junger Frauen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 01 , https://www.p-art-icipate.net/zehn-jahre-ladyfest-kulturelle-produktion-und-rhizomatische-netzwerke-junger-frauen/