Rhizomatische Netzwerke
Wie sehen die Netzwerke der lokalen, transnationalen und virtuellen Ladyfest-Szenen aus und wie können sie theoretisch erfasst werden? In der feministischen Bewegung nehmen Netzwerke eine zentrale Rolle ein (Schachtner/Winker 2005 (* 27 ), Wischermann 2003 (* 31 )). Vor allem VertreterInnen der gegenwärtigen Frauenbewegung – des „Third Wave Feminism“ (Heywood 2006 (* 13 ), Walker 2006 [1992] (* 30 )) – arbeiten in Netzwerken und mit dem Internet. Christine Schachtner, die die Bedeutung von virtuellen Frauennetzwerken untersuchte, definiert Netzwerke als „dynamische, relativ dauerhafte und doch offene soziale Gebilde, die sich durch horizontale Strukturen und durch Bündelung der Ressourcen derer auszeichnen, die Mitglied des Netzwerkes sind“ (Schachtner 2004: 27) (* 26 ). Die Bedeutung frauenpolitischer und feministischer Netzwerke liegt in der Bereitstellung und im Austausch von Informationen (über die in der Mainstreampresse nicht oder kaum berichtet wird), der Aneignung von Kompetenzen und Wissen, der Vernetzung, der Bildung von Bündnissen und der Zusammenarbeit bei politischen Aktionen.
Marion Leonard beschreibt in ihrem Buch „Gender in the Music Industry“ Ladyfeste als Fortsetzung der Riot-Grrrl-Bewegung und als Beispiel für ein selbstorganisiertes Netzwerk junger Frauen, die durch die DIY-Ästhetik der Punk- und Post-Punkszenen inspiriert werden. (Leonard 2007: 164) (* 19 ). Die Autorin verweist auf Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Verwendung der Metapher des Rhizoms, um die Riot-Grrrl-Bewegung und ihre Netzwerke zu fassen und sie als ein rhizomatisches Netzwerk zu beschreiben (Leonhard 2007: 145) (* 19 ). In „Tausend Plateaus” stellen Deleuze und Guattari (1992 [1980]) (* 8 ) dem dichotomen Baummodell, das sie aufgrund der hierarchischen und binären Ordnungsstruktur ablehnen, vielwurzelige, rhizomatische Pflanzenstrukturen gegenüber, ohne diese in einem Dualismus zu sehen. Das Charakteristikum eines Rhizoms liegt in der vielfachen, unterirdischen Verzweigung von verflochtenen Strukturen, die sich in verschiedene Richtungen ohne singulären oder zentralen Stamm verzweigen und immer weiter wuchern, sich verketten und verknüpfen können. Das Rhizom folgt laut Deleuze und Guattari sechs Prinzipien: den Prinzipien der Konnexion und Heterogenität, denn jeder Punkt kann (und muss) mit jedem anderen Punkt verbunden werden; diese Verbindungen können eigenständig und unabhängig voneinander bleiben und unterschiedliche Sachverhalte können miteinander in Verbindung treten; der Mannigfaltigkeit, indem sich alle Dimensionen gegenseitig verändern; der asignifikanten Brüche, indem es an jeder Stelle gebrochen oder zerstört werden kann und es entlang seiner eigenen oder anderer Linien weiterwuchert; der Kartographie und des Abziehbilds: anstelle von Kopien werden offene, modifizierbare Karten erstellt, die die Welt in ihrer Vielheit abbilden und vielfältige Zugangsmöglichkeiten bieten. (Deleuze/Guattari 1992 [1980]:16ff) (* 8 ).
Mit diesem Konzept des Rhizoms als dezentrale, nicht-hierarchische, vernetzte Strukturen haben Deleuze und Guattari bereits 1977 Entwicklungen beschrieben, die von Manuel Castells Mitte der 1990er Jahre als „Netzwerkgesellschaft” benannt werden. Das Internet könnte dabei als eines der aussagekräftigsten Beispiele für eine von einer Netzwerklogik geprägten Gesellschaft gelten. Castells konstatiert „einen Übergang von organisierten sozialen Bewegungen zu sozialen Bewegungen im Netz, und diese beruhen auf Bündnissen, die im Zusammenhang mit Werten und Projekten geschlossen werden“ (Castells 2001a: 43) (* 4 ). Für Castells bestehen Netzwerke „aus mehreren untereinander verbundenen Knoten“; Netzwerke sind „offene Strukturen und in der Lage, grenzenlos zu expandieren und dabei neue Knoten zu integrieren, solange diese innerhalb des Netzwerks zu kommunizieren vermögen, also solange sie die selben Kommunikationskodes besitzen – etwa Werte oder Leistungsziele“ (Castells 2001b: 528) (* 5 ). Neben Netzwerken, die den globalen ökonomischen Interessen dienen, gibt es solche der neuen sozialen Bewegungen, die diesen entgegengesetzt sind und auf solidarische Beziehungen aufbauen sowie dezentral organisiert sind. Er zählt zu diesen neuen sozialen Bewegungen die der UmweltaktivistInnen und die der FeministInnen.
Ich argumentiere in Weiterführung von Leonard und unter Bezugnahme auf die Rhizom-Metapher bei Deleuze/Guttari sowie auf Castells Netzwerkbegriff, dass Ladyfeste – ähnlich wie die Riot-Grrrl-Bewegung – als vielschichtiges, sich immer wieder änderndes, dezentralisiertes und nicht-hierarchisches rhizomatisches Netzwerk interpretiert werden können. Einige Aspekte dieses rhizomatischen Netzwerks werden im Folgenden anhand der lokalen, transnationalen und virtuellen Ladyfest-Szenen diskutiert.
Elke Zobl ( 2012): Zehn Jahre Ladyfest. Kulturelle Produktion und rhizomatische Netzwerke junger Frauen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 01 , https://www.p-art-icipate.net/zehn-jahre-ladyfest-kulturelle-produktion-und-rhizomatische-netzwerke-junger-frauen/