„Zuerst müssen wir uns die Frage stellen: Von welcher Kultur sprechen wir denn hier?“

Thomas Philipp im Gespräch mit Anita Moser über Herausforderungen und Maßnahmen für ländliche Räume

Den engen Kulturbegriff durchlöchern

Was wären die drei wichtigsten Maßnahmen, um eine breitere kulturelle Teilhabe in ländlichen Regionen zu ermöglichen?

Als Erstes wäre es wichtig, verstärkt solche Maßnahmen, Projekte und Initiativen zu organisieren, die auf sehr kleinräumiger Ebene arbeiten und die den engen Kulturbegriff durchlöchern. Da geht es auch darum, Bildungsinitiativen, Sozialinitiativen und auch kreativwirtschaftliche Player mitreinzuholen und trotzdem kulturelle Projekte umzusetzen. Querbeet ist ein gutes Beispiel dafür.

Nummer Zwei ist eine Stärkung von dem, was in Richtung kultureller Bildung im allerengsten Sinn geht. In diesem Doppelbegriff verschwimmt unglaublich viel, in einem engen Sinn betrifft er das klassische Bildungssystem, vor allem das Schulsystem. Da hat es einen Rückschritt gegeben und es muss sich wieder gravierend etwas ändern. Ich denke zum Beispiel an die Aktion Kultur in Schulen. Da ist in den letzten Jahren aus verschiedensten Gründen einiges verloren gegangen. Es gibt Ansätze dazu, dass Künstler_innen, Kulturarbeiter_innen tatsächlich in kleinen Projekten mit den Schulen zusammenarbeiten, wo es unglaublich engagierte Lehrkräfte gibt. Dort werden Projekte an den und aus den Schulen heraus initiiert. Damit meine ich keine Projekte, wo es nur darum geht, dass Schulklassen in das Literatur- oder Schauspielhaus oder in das Landestheater fahren und es einen Reisekostenzuschuss oder einen Schulbus gibt. Das hat es immer gegeben, früher zumindest, als es noch finanziert war. Das ist zwar nett und schön und hat auch mit kultureller Teilhabe und Ermöglichung von kultureller Teilhabe zu tun, aber eigentlich geht es vielmehr um direktes Arbeiten vor Ort mit den Schülerinnen und Schülern.

Als Drittes würde ich alles, was im Bereich interkultureller Initiativen passiert, ansprechen. Ich würde dort reingehen und selbstorganisierten migrantischen Initiativen Geld in die Hand geben, damit sie Initiator_innen von interkulturellen Initiativen sein können. Das passiert oft aus einer etwas paternalistischen Haltung heraus. Im Sinne einer Selbstermächtigung müsste man nicht einfach nur Geld geben, sondern auch gemeinsam einen Rahmen abstecken. Aber so könnte man Projekte starten. Das war jetzt fast alles projektiv, aber ich glaube, dass man mit diesen drei Punkten sehr viel machen kann.

Gibt es im ländlichen Raum von Salzburg selbstorganisierte Migrantinnen- und Migrantenorganisationen?

Im ländlichen Raum ist das gar nicht so einfach, aber türkische Communities und Communities aus dem ehemaligen Jugoslawien gibt es. Wahrscheinlich gibt es irgendwo mittlerweile auch kleine Ansätze von – was immer man unter dem Community-Begriff versteht – syrischen oder afghanischen Communities. Zur Black Community würde mir auch in größeren Städten wie Hallein oder Zell am See jetzt nichts einfallen.

Man muss ohnehin doppelt und dreifach hinschauen, denn nur weil es eine selbstorganisierte migrantische Community gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie kompatibel mit einem progressiven Ansatz ist, den man mit kultureller Teilhabe verbindet. Man will ja nicht mit irgendwelchen super folkloristischen, nationalistischen, türkischen oder ex-jugoslawischen Vereinen zusammenarbeiten. Genauso wenig Sinn macht es, mit den Schützen ein kulturelles Teilhabeprojekt aufzuziehen. Da sind die eigenen Ressourcen woanders besser aufgehoben. Erzwingen braucht und kann man es sowieso nicht.

Anita Moser, Thomas Philipp ( 2019): „Zuerst müssen wir uns die Frage stellen: Von welcher Kultur sprechen wir denn hier?“. Thomas Philipp im Gespräch mit Anita Moser über Herausforderungen und Maßnahmen für ländliche Räume. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/zuerst-muessen-wir-uns-die-frage-stellen/