„Zuerst müssen wir uns die Frage stellen: Von welcher Kultur sprechen wir denn hier?“

Thomas Philipp im Gespräch mit Anita Moser über Herausforderungen und Maßnahmen für ländliche Räume

Wo würdest du eine Grenze setzen?

Die Grenze ist sicher Nationalismus, Rassismus. Das ist ganz bewusst nicht auf die Religion bezogen, die sehr oft mit hineinspielt. Aber ich würde nicht einen Begriff wie islamistisch verwenden, sondern nationalistisch, rassistisch, antisemitisch. Die Initiativen können konservativ sein oder vielleicht sogar leicht in das Reaktionäre gehen – mit dem muss man dann arbeiten können. Da wäre ich ziemlich offen.

Es kann sicher interessant sein, egal mit welcher gesellschaftlichen Gruppe man arbeitet, sich im Rahmen von kultureller Teilhabe über ästhetische Fragen oder den ästhetischen Raum zu unterhalten. Auf der anderen Seite ist es nicht nur spannender, sondern haut einen selbst vom hohen Ross herunter, wenn es plötzlich um ethnologischen Fragen oder um traditionelle Entwicklungen von Kultur geht.

Auf meine Frage nach einem offenen, Teilhabe ermöglichenden Kulturprojekt in Salzburg nannte simon INOU die Rodelweltmeisterschaften, eine für und mit Afrikaner_innen jährlich durchgeführte Veranstaltung. Das fand ich interessant, da dabei von einem anderen Kulturbegriff ausgegangen wird als jenem, mit dem wir üblicherweise arbeiten.

Der Begriff der kulturellen Teilhabe ist, so wie er in den Diskursen, in denen wir verfangen sind, schon ein sehr hochleveliger Begriff und wir haben ein hochleveliges Verständnis davon. Das ist schwierig, oder? Für mich ist es viel naheliegender, von Interkultur zu sprechen. Dann gibt es noch Inklusion als Begriff mit einem neuen Verhältnis zum Sozialbereich oder einen alten Begriff, mit dem wir alle nicht mehr glücklich sind: Integration. Da denke ich als Erstes an Sportprojekte, an Sport als Integrationsmittel und nicht unbedingt an Kultur.

Kultur schafft gerade durch Begrifflichkeiten wie kulturelle Teilhabe, kulturelle Partizipation und kulturelle Bildung, aber vor allem aufgrund dessen, dass wir immer mit Kunst konfrontiert sind, die im Zentrum irgendwie herumschwirrt, sehr schnell eine Stufe, die unglaublich schwierig zu übersteigen ist. Das gilt für viele Leute, die man eigentlich aktivieren will, mit denen man sich austauschen und von denen man etwas lernen will. Man glaubt selbst, man kann irgendetwas darbieten und gegenseitige Lernprozesse starten. Sport oder andere Felder sind da vielleicht besser geeignet, auch Do-it-yourself-Kreativsachen.

Je weiter man in den engeren Kulturbereich geht, desto größer wird das Unbehagen bei Leuten, die mit kultureller Teilhabe zu tun haben. Wenn es dann zum Beispiel um Esskultur geht, sitzt man zu Hause und kocht miteinander und isst. Dieser Esskulturbegriff banalisiert alles, was mit Kultur sonst in Verbindung steht. Natürlich kocht und isst man gerne – aber als Kulturprojekt?

 

Schauen, wo es nicht funktioniert: „Was ist super abgehoben, elitär oder exklusiv?“

Du hast viele Kulturentwicklungsprozesse begleitet und dich mit dem Format auch theoretisch intensiv auseinandergesetzt. Gibt es einen Prozess oder dabei gesetzte Maßnahmen bzw. Aktivitäten, die gut für Salzburg wären? Was könnte man als Impuls denken oder als Good-Practice-Beispiel?

Aus diesen kulturellen Entwicklungsplanprozessen heraus ist kulturelle Teilhabe ein Punkt bzw. ein Thema, das behandelt werden muss, das fast überall behandelt wird, manchmal ernsthaft, manchmal weniger ernsthaft. Wenn es um eine solche Art von Prozessen geht, ist man in Salzburg mit dem Kulturentwicklungsplan gut beraten und gut unterwegs.

Es gibt kaum Interkulturpläne. Auf Stadtviertelebene hat Hamburg so etwas einmal gemacht, was aber in die Richtung Stadtentwicklung geht. Regionalentwicklungsprozesse finde ich auch spannend, wie es mit Agenda 21 und ähnlichen passiert ist, aber das ist nur ein Teil von mehreren. Es gibt zum Beispiel fast keine Kinderkulturpläne. Die Entwicklung einer Kinderkultur wäre ein wichtiger Teil. Es wäre auch wünschenswert, dass es etwas zum Thema Intergeneration gäbe, um also auch die älteren und alten Menschen dazu zu bewegen, die kulturelle Teilhabe nicht zu verlieren.

Anita Moser, Thomas Philipp ( 2019): „Zuerst müssen wir uns die Frage stellen: Von welcher Kultur sprechen wir denn hier?“. Thomas Philipp im Gespräch mit Anita Moser über Herausforderungen und Maßnahmen für ländliche Räume. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/zuerst-muessen-wir-uns-die-frage-stellen/