Unboxing – Walk in Process

About

In der Laborarbeit entstand die Konzeption „Das Kollaborativ – gemeinsames Handeln und Verhandeln“. Diese Konzeption wurde im Studienjahr 2021/2022 intensiv in Elisabeth Schmirls Lehrtätigkeit mit den Studierenden im Bereich Kunstpraxis der Bildnerischen Erziehung an der Universität Mozarteum, Standort Innsbruck, integriert und weiterverfolgt.

Im Verlauf des Projekts, das sich als äußerst umfangreich und komplex erwies, fanden kontinuierliche Reflexionen, Rückkopplungen und Berichte im Labor statt. Die Begleitforschung wurde während der Präsentationen und Projekte im Rahmen des „Walk in Process“, dem Höhepunkt des Studienjahres, durchgeführt und konzentrierte sich auf die Rückmeldungen von Lehrenden, Studierenden und der Öffentlichkeit. Diese Forschungsarbeit wurde von Anita Moser und Ulrike Hatzer begleitet.

Der vorliegende Journalbeitrag basiert hauptsächlich auf visuellen Elementen und versucht, die Möglichkeiten und Notwendigkeiten eines solchen Projekts zu erkunden und zu interpretieren.

Initiatorin des Projekts: Elisabeth Schmirl – Umsetzung mit dem Team der Bildnerischen Innsbruck, Universität Mozarteum Begleitforschung: Anita Moser, Ulrike Hatzer, unterstützt von Anna Szepes und Jonas Baur (Studierende Applied Theatre, Universität Mozarteum)

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Publishing im Kollaborativ

Link zu den Plakaten: https://www.walkinprocess.art/process

Walk in Process

 

Gemeinsames Wandeln

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Kollaborationen

Erfahrungen machen

Plakate im öffentlichen Raum in Kollaboration mit der Heimatwerbung Tirol

 

Intervention im Volkskundemuseum

Öffentlicher Raum

 

 

 

 

Sidewalks – Mikroprojekte

 

 

 

Interview mit Marie Schipflinger

Reflect

Message in a Box – Observism

Box 1 – Students Voices

 

Box 2 – Professors Voices

 

Box 3 – Public Voices

Interview mit Marie Schipflinger, geführt von Anita Moser

Ein Ausstellungspaziergang als Begegnungs- und Reflexionsraum

Zur Eröffnung der Sommerausstellung 2022 der Studierenden der ‚Bildnerischen Innsbruck‘ (Universität Mozarteum, Department 12, Bildende Künste und Gestaltung) fand am 1. Juni 2022 der WALK IN PROCESS statt. Der gemeinsame Spaziergang durch den öffentlichen Raum Innsbrucks war gesäumt von Stationen mit unterschiedlichen Aktivitäten sowie von im Stadtraum gezeigten künstlerischen Plakaten. Teilnehmer:innen hatten außerdem die Möglichkeit, sich über ihre Handys digitale Kunsträume zu erschließen.
Sowohl in den künstlerischen Arbeiten der Studierenden als auch im Ausstellungsspaziergang standen die Interaktion, das Miteinander-Ins-Gespräch-Kommen und das Zusammen-Agieren im Vordergrund: Das dabei entstehende Wir „formiert sich als temporäre Gruppe, […] ist heterogen, besteht aus Künstler*innen, Besucher*innen, Freund*innen, Familie, Unbekannten, vielleicht auch Passant*innen, die sich zufällig anschließen. […] Wir erobern uns das Format Spaziergang zurück. Wir marschieren nicht: keine Demo, kein Protest, keine Parade und auch keine Prozession. Vielmehr ein Prozess. Wir flanieren, wir schlendern und verweilen, weil das Gehen schon immer eine künstlerische Aktion war.“ *1 *(1)
Teil dieses temporären Wirs waren Marie Schipflinger als aktiv an dem Projekt beteiligte Kunststudentin und ich als interessierte Beobachterin und Forscherin. Mein Blick auf das Ereignis war dabei von Überlegungen geprägt, die im Rahmen des am Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion durchgeführten Labors WANDELN zentral waren: Wie sehen Fragestellungen, Methoden und Wissensräume transdisziplinären Forschens aus? Wie kann ein über die Hochschulen hinaus wirksamer Wissenstransfer entstehen? Von besonderem Interesse war für mich die Frage nach dem Wir: Wie offen ist dieses Wir? Was macht es zusammen? Wie kommen Begegnungen und Interaktionen zwischen den Spaziergänger:innen und Citizens zustande und was entsteht dabei?
Ein Fokusgruppengespräch mit vier am Walk beteiligten Kunststudent:innen sollte Antworten geben, indem diese über ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen und Perspektiven in Bezug auf den WALK IN PROCESS miteinander in einen Austausch treten. Semesterende und mangelnde Zeitressourcen von Seiten der Studierenden ließen die angefragte Gruppe jedoch stark schrumpfen. Dankenswerterweise war aber Marie Schipflinger bereit, ihre Eindrücke und Überlegungen im folgenden Interview *2 *(2) zu teilen:

Anita Moser (AM): Im Labor WANDELN beschäftigen wir uns mit Fragen des transdisziplinären Zusammenarbeitens und auch damit, wie Transfers und Verbindungen über den Hochschulkontext hinaus zu verschiedenen Teilen der Gesellschaft hergestellt werden können. Das interessiert mich auch in Bezug auf euer Projekt. Im Begleittext ist davon die Rede, dass durch den WALK IN PROGRESS ein neues Wir entsteht. Wie hast du das wahrgenommen? Welches Wir ist entstanden, wer war Teil davon, wer war vielleicht nicht Teil davon?

Marie Schipflinger (MS): Es war sehr spannend. Wir sind in den öffentlichen Raum gegangen, was etwas ganz anderes war, als das, was wir vorher gemacht haben, als wir ‚klassische‘ Ausstellungen umgesetzt haben und wo wahrscheinlich großteils nur Kunst- und Kulturinteressierte beziehungsweise Freunde, Familie vorbeigeschaut und sich das angesehen haben. Im öffentlichen Raum haben viel mehr Leute die Arbeiten gesehen, Leute, die diese im normalen Alltag eher nicht sehen, also zum Beispiel nicht ins Museum gehen würden.

„Wir zeigen jetzt auch, dass Kunst nicht immer high class sein muss …“

Dadurch, dass wir als Gruppe von Kunststudentinnen in diesen öffentlichen Raum gegangen sind und unsere Poster dabeihatten, die auf Plakatständern angebracht waren, ist ein ganz einzigartiges Gefühl entstanden … Ich würde es so beschreiben: Wir zeigen jetzt auch, dass Kunst nicht immer high class sein muss und nicht nur die sehr Gebildeten mit vielen Abschlüssen sich diese anschauen dürfen, sondern dass Kunst für jeden zugänglich ist. Ich glaube, das war das Gefühl, das uns alle die ganze Zeit begleitet und miteinander verbunden hat, als wir unsere Kunst so öffentlich präsentieren.

AM: Dieses Wir des Walks selbst wart großteils ihr als Gruppe der Studierenden? Oder haben sich da auch von auswärts Personen angeschlossen?

MS: Es waren nicht nur wir als Student:innen oder als Lehrpersonen dabei, sondern ganz viel Familie und Freunde, die auch vom Anfang bis zum Ende geblieben sind. Was ich auch spannend fand, war, dass zwei, drei dabei waren, die sich bewerben wollen oder beworben haben und im nächsten Semester bei uns studieren werden. Sie sind auch von Anfang an mitgegangen. Außenstehende Personen sind dann erst im Laufe des Walks dazugestoßen.

AM: Hast du den Eindruck, dass viele auf den Walk aufmerksam geworden sind und dass es Interaktionen zwischen dieser Gruppe und den Stadtbewohner:innen, zufälligen Passant:innen gab?

MS: Ich glaube, es wäre richtig viel Potenzial dafür da gewesen, dass Leute mit uns interagieren. Was für uns – meiner Meinung nach und das haben mir auch viele andere gesagt – ein großes Problem war, war, dass an dem Tag das Wetter echt miserabel war.
Zum Beispiel haben wir Station am Platz beim Landestheater gemacht. Dort waren wir ungefähr zwei Stunden, es gab Musik und zwei Projekte. Es war ein großes Malprojekt aufgebaut, wo sich Leute beteiligen konnten. Wir haben auch unsere Plakate ausgestellt und unsere Risographien aufgelegt. Es sind viele Leute vorbeigekommen und haben gefragt, wer wir sind und was wir da genau machen, viele hatten Interesse an einzelnen Postern. Die Interaktion wäre aber viel größer gewesen, wenn wir schönes Wetter gehabt hätten und noch mehr Menschen unterwegs gewesen wären.
Wir hatten in dem Projekt auch eine Virtual-Reality-Ebene. Es gab sehr viele Interessierte, die mit den Handys herumgegangen sind und sich diese anschauten. Ich glaube also schon, dass es uns gelungen ist, Interaktion zu schaffen mit Leuten, die nichts mit uns persönlich oder mit Kunst an sich zu tun haben.

AM: Was denkst du, war es, was die Menschen zu dem Platz hingezogen hat oder dazu motiviert hat, in Interaktion zu treten? Der Raum, das Setting, die einzelnen Arbeiten?

MS: Ich glaube zunächst mal, dass Leute hingegangen sind, weil das, was an dem Platz passierte, total ungewöhnlich war. Es sind dort teilweise Konzerte oder manchmal gibt es auch eine spezielle Gastronomie, die im Sommer aufgebaut ist. An sich ist der Raum relativ frei von bildender Kunst. Wenn, dann sind es eben Musik und Theater, was man dort antrifft. Dass an dem Platz so viele Plakattafeln standen, war sehr ungewöhnlich, auch dass viele junge Leute, also wir Student:innen, da waren. Ich glaube, das war der erste Anziehungspunkt.
Interesse wurde auch dadurch geweckt, dass unsere Plakate mit den Risographien eine ganz eigene Optik haben und so viele unterschiedliche Arbeiten zu sehen waren, dass vielleicht jede:r für sich etwas gefunden hat, was sie:ihn interessiert, was sie:er spannend gefunden hat, wo sie:er die Farben toll gefunden hat und so weiter.

„… das war für mich persönlich schon eine sehr krasse Interaktion.“

AM: Von dir gab es in der Bahnunterführung in der Nähe eures Departments eine künstlerische Arbeit … Graffiti kann man es nicht nennen …

MS: Eine Wandmalerei.

AM: Genau. Wie gestaltete sich die Arbeit an dieser Malerei? Gab es dabei auch Interaktionen mit Personen aus dem Stadtraum?

MS: Ich muss sagen, vor allem bei der Malerei habe ich die Interaktionen sogar sehr intensiv erlebt. Zunächst einmal begann es damit, dass ich das alte Graffiti, das da war, übermalt habe, weiß natürlich. Da gab es schon die ersten Interaktionen, indem sehr viele Leute auf mich zugekommen sind. Teilweise auch negativ, indem sie sagten: „Was fällt dir ein, dass du das da übermalst?“ Andere waren sehr interessiert: „Was machst du denn da?“
Am nächsten Tag haben wir als Gruppe gearbeitet, weil die Fläche so groß ist, dass ich das allein nicht hätte realisieren können. In der Phase war zu beobachten, dass die Leute ein bisschen interessiert vorbeigehen oder ganz kurz mal stehen bleiben. Als man erkennen konnte, was das Ganze wird, sind wirklich viele, viele Leute hingekommen, die gefragt haben: „Was malt ihr da, woher kommt ihr, was ist die Idee hinter dem Ganzen?“ Viele, die dann auch gesagt haben: „Ah, mal was ganz anderes, total schön, dass du – ihr – mal von diesem klassischen Graffiti abgeht und eine ganz andere Form in diesen Raum bringt.“ Also da war das Interesse sehr massiv.

Wandmalerei von Marie Schipflinger (© Marie Schipflinger, Foto: Anita Moser)

Es gab dann auch noch eine ganz direkte Interaktion, indem die Arbeit fünf Tage später komplett übersprayt worden ist. Jemand hat also sozusagen mit meinem Gemälde direkt interagiert, und das war für mich persönlich schon eine sehr krasse Interaktion. Wir haben dann darauf reagiert und das Übermalte wieder komplett übermalt. Zuerst wurden die Stellen mit Weiß ausgebessert und anschließend die Figuren nachgemalt. Insgesamt würde ich da also sagen, war die Interaktion mit den Personen im öffentlichen Raum recht groß.

AM: Was wurde über deine Malerei gemalt oder gesprayt?

MS: Teilweise sind die Gesichter komplett mit Lila und Blau übermalt worden, mit traurigen Smileys. Es wurde „geh pumpen“ drauf gesprüht und „Freiheit für alle“, aber mit Doppel a, also „aalle“, auch viele Sterne und teilweise einfach nur ganze lila Blöcke, mit denen die Beine der Figuren komplett übermalt worden sind und so weiter. Also, für mich war es massiv übersprayt, Elisabeth [Schmirl] hat gesagt, es hätte schlimmer sein können. Seit damals ist nichts mehr übersprayt worden.

Spazieren oder demonstrieren?

AM: Noch einmal zurück zum WALK IN PROCESS: Ihr habt angekündigt, dass es keine Demonstration ist. Was denkst du, wie dieses Gehen mit den Plakaten im Stadtraum wahrgenommen worden ist?

MS: Unser Punkt war zwar, dass es keine Demonstration hätte sein sollen, wir haben dann aber doch dieses für Demonstrationen klassische Medium der Plakatständer benutzt. Natürlich haben wir keine Poster mit irgendwelchen Forderungen oder Sprüchen gehabt, sondern eben Kunst. Aber bei den meisten Leuten war wahrscheinlich schon die Assoziation „das wird irgendeine Demo sein“ da. Ich glaube, an der Form hätten wir noch ein bisschen arbeiten müssen, also schauen, wie man sie für sich dann nutzen kann, ohne dass sie als Demonstration rüberkommt. Uns selbst ist es vor allem, als wir losgegangen sind, aufgefallen.

A: Hattet ihr Ideen, in welche Richtung das gehen könnte?

MS: Das Schwierige war eben, wie man den Walk macht. Wir hatten anfangs die Idee, dass wir zum Beispiel von einer Musikkapelle begleitet werden könnten, haben sie aber sofort wieder aufgegeben, weil bei den meisten Demonstration die Leute mit einer Trommel motiviert werden. Jemanden zu haben, der uns sozusagen den Marsch vorgibt, wäre in die falsche Richtung gegangen. Vielleicht hätten wir einfach von diesen massiven Plakatständern weggehen und eine andere Form finden sollen, wie man seine Kunst im öffentlichen Raum präsentieren kann, schon auch mit diesem Spazierengehen-Konzept, aber ohne, dass man ein Plakat in der Hand hält.

„… es war ein wahnsinnig guter Lernprozess.“

AM: Was fandest du bei dem Projekt besonders wichtig?

MS: Ich würde das Projekt an sich schon als recht gelungen bewerten und glaube, es war ein wahnsinnig guter Lernprozess. Wir haben uns das letzte Semester nur mit dieser Risographie-Edition beschäftigt und wie man diesen Walk macht – und haben auch gesehen: Wir müssen extrem dazulernen, falls wir nochmal so in den öffentlichen Raum gehen. Was macht man, wenn zum Beispiel vor meiner Wandmalerei jemand steht: Bleibt man als Gruppe auch stehen, spielt man laut Musik, geht auf die Person zu und erklärt etwas oder geht man gleich vorbei? Solche Fragen müssten wir noch intensiv besprechen, weil das Ganze für uns so ungewohnt war.
Wir kennen das traditionelle Ausstellungssetting, wo man am Anfang zwei Personen hinstellt, die die Leute begrüßen. Dann geht man durch die Ausstellung und falls es Fragen gibt, beantwortet sie jemand. Das war dieses Mal was komplett anderes. Aber ich glaube, es hat uns allen echt viel Spaß gemacht. Es war toll, die eigenen Plakate im öffentlichen Raum zu sehen. Sie wurden nach dem Walk am Hofgarten und vor dem Rennweg angebracht und waren drei Wochen danach sichtbar für alle.
Und ich glaube, dass es für uns als angehende Lehrpersonen auch eine tolle Möglichkeit war zu zeigen, dass Kunst für alle zugänglich sein kann. Dass man dafür nicht ins Museum gehen muss und dass man keinen Anzug tragen muss, um sich Kunst anzuschauen.

AM: Von deiner Arbeit bleibt sehr deutlich etwas zurück im öffentlichen Raum. Denkst du, dass von dem Walk Spuren zurückbleiben?

MS: Ich glaube, dass von dem Walk fast nichts mehr bleibt. Die Poster sind jetzt abgebaut worden. Derzeit ist tatsächlich nur meine Wandmalerei – sozusagen als letztes Relikt – sichtbar. Da könnte man überlegen, ob wir das für die Menschen vielleicht länger sichtbar machen wollen. Aber das ist fürs Mozarteum eine Preisfrage. Es kostet viel, wenn die Poster das ganze Semester oder über den Sommer im öffentlichen Raum bleiben. Da könnte man überlegen, ob es andere Möglichkeit gibt, damit wir im öffentlichen Raum sichtbarer sind.

Marie Schipflinger, geb. 2001, studiert seit 2019 Bildnerische Erziehung am Mozarteum, Standort Innsbruck. Ausstellungstätigkeit seit 2020, Kunst im öffentlichen Raum: 2022 (Unterführung PEMA 1). Abschluss Bachelorstudium Lehramt Deutsch und Bildnerische Erziehung: 2023. Ihre künstlerische Praxis basiert auf Druckgrafik (Siebdruck) und Acryl- oder Ölmalerei. Inhaltlich setzt sie sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinander, indem sie Normvorstellungen des weiblichen Körpers hinterfragt und in eine abstrakte Bildsprache übersetzt.

Anita Moser ist Senior Scientist am Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion der IE Wissenschaft und Kunst. Mehr Info

Link zum Mural Projekt von Marie Schipflinger

 

Das Gespräch fand am 11. Juli 2022 online statt.

Elisabeth Schmirl, Anita Moser, Ulrike Hatzer ( 2023): Unboxing – Walk in Process. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 14 , https://www.p-art-icipate.net/unboxing-walk-in-process/