Prozessorientiert # Transdisziplinär # Ergebnisoffen
Reflexionen zu einem Labor zwischen Kunst und Wissenschaft – Interviews mit den Laborteilnehmenden
„Das Labor war der Start der neuen Programmbereichsperiode[1] mit der Idee, dass es ein Format gibt, wo wir gemeinsam die Schnittstelle Wissenschaft und Kunst erkunden, also auch Formen der Zusammenarbeit zwischen Paris-Lodron-Universität Salzburg und Universität Mozarteum. Ich war positiv gestimmt, ging neugierig in diesen Prozess hinein und habe viele unserer Treffen sehr positiv in Erinnerung. Es wurde im Team vereinbart, dass sich Konstellationen finden oder auch allein etwas gemacht werden kann, dass man eine Versuchsanordnung anlegt, wo die anderen sich einbringen und die dabei gemachten Erfahrungen geteilt werden. Das war die erste Phase, in der es darum ging herauszufinden, wie wir über Disziplinengrenzen hinweg gut zusammenarbeiten können. Was interessiert uns am jeweils anderen Feld und wie können sich die Felder gut begegnen?“
Anita Moser
„Zum Labor gekommen bin ich sechs Monate, nachdem der Programmbereich gestartet ist, da hatte schon einiges an Aktivitäten stattgefunden und ich bin wirklich ins kalte Wasser gesprungen. Der erste Termin, an dem ich dabei war, war der Auftakt des Wohnen-Labors, wo wir uns in einer Trafik getroffen und verschiedene Rollen eingenommen haben. Glücksparlament Wohnen war da das Thema. Man konnte an einem Glücksspiel teilnehmen und der Hauptgewinn war am Glücksparlament Wohnen zu partizipieren. Wir haben in verschiedenen Rollen Menschen dazu aufgefordert mitzumachen oder sind mit ihnen in den Austausch gegangen mit verschiedenen Fragestellungen rund um Wohnen in Salzburg. Das war für mich sehr spannend, weil ich mich zwar vorher schon – aber sehr institutionell verankert – mit dem Thema Experiment, experimentieren in den Künsten und Wissenschaften und laborhaftem Arbeiten beschäftigt hatte. Das Rausgehen war mir aber völlig neu.“
Katharina Anzengruber
„Wir sind im Gespräch auf das Labor als Format gekommen, als einen Experimentierraum, der freier ist von Verpflichtungen, in dem man einfach Dinge ausprobieren kann. Unser Startpunkt war, einen Freiheitsort für den Programmbereich[2] zu schaffen, wo man experimentieren kann und wo das ernstgenommen wird, dass wir unterschiedliche Leute sind, von unterschiedlichen Universitäten und unterschiedlichen Backgrounds und gemeinsam etwas ausprobieren können. Es war klar, dass wir alle bestimmte Fokuspunkte haben, und wir haben uns Leute zusammengeholt, von denen wir gewusst haben, wir ticken in bestimmten Dingen ähnlich, aber sind doch anders. Die Fragen nach gesellschaftspolitischen Themen, prozessoffen, Finden von neuen Formen, Arbeiten mit Zivilgesellschaft, Menschen außerhalb der Universität sind Eckpfeiler. Unser erster Versuch, im Labor zu starten, war so: ‚Wir nehmen uns mit unserer Biografie alle ernst und schauen, dass wir alle etwas aus unseren Erfahrungen einbringen.‘ Das war unsere erste Laborphase, in der wir gesagt haben: ‚Erste Regel: wir gehen raus aus der Universität irgendwo anders hin und suchen uns neue Räume, schauen was passiert und bringen neue Forschungsformate mit.‘
Sonja Prlić
„Losstarten kann man immer. Ich sage das, weil ich oft höre, man kann etwas nicht machen, weil der Rahmen nicht passt; ich finde, man kann immer schauen, wieweit man den Rahmen ausloten kann und doch etwas machen kann. Es bräuchte ein Aufbrechen der strukturellen Rahmenbedingungen, disziplinärer, zeitlicher und räumlicher. Es bräuchte Kooperationen, die langfristig angelegt sind. Es könnte noch viel mehr inter- und transdisziplinär gearbeitet werden. Man sollte auch Menschen, die an der Universität arbeiten, dafür sensibilisieren, wie interdisziplinäres Arbeiten wirkt. Es muss raus aus der Universität.“
Katharina Anzengruber
„Einerseits möchte ein Labor keine Organisationsstruktur und gleichzeitig bräuchtest du eine Meta-Position. Man kommt in die gleiche Bredouille wie jedes andere Kollektiv, das mit gemeinsamem Interesse arbeitet, aber unterschiedliche Alltage hat. Im Labor sind nicht nur die privaten Alltage, sondern auch die beruflichen unterschiedlich. Wie viel offene Struktur kann in solchen hoch anspruchsvollen Gefügen überhaupt stattfinden? Mit welcher Widerstandskraft muss man agieren? Es war ein großes Bedürfnis, nicht wieder einen klassischen Antrag zu stellen. Wir waren glücklich zu sagen: 'Wir gehen mit etwas ins Rennen, das eine Struktur befragt.’ Allerdings hat die Struktur dann uns befragt, unsere verschiedenen Begriffe, Arbeitsmodalitäten und Normalitäten. Ich würde jetzt nicht davon sprechen, dass das Labor erfolgreich war oder gescheitert ist. Diese klassischen Ergebniskategorien passen nicht zu den dynamischen Prozessen, die passiert sind während unserer vierjährigen gemeinsamen Labor-Reise. Aus meiner Sicht tauchen wir sozusagen aus einer Tiefenbohrung auf, gehen zuerst in die Druckluftschleuse und balancieren die Parameter, mit denen beschrieben und ausgetauscht werden kann aus, öffnen dann die Tür und formulieren, was anstrengend war, was schön, was anspruchsvoll, was Erwartungen übertroffen oder unterlaufen hat. Nach allem dreißig Meter über der Erde stehend stellen sich Fragen neu: Wozu ist laborhaftes Arbeiten überhaupt gut, warum Transdisziplinarität, warum vordefinierte Parameter von künstlerischem, wissenschaftlichen Arbeiten neu befragen, warum genau in diesem Erdreich Universitäten, Bildung, Institutionen, Aufträge.“
Ulrike Hatzer
„Für mich ist Labor eine sehr offene Situation, wo ich die Dinge laufen lassen kann, und das war auch ein Struggle für die unterschiedlichen Disziplinen, aus denen die Leute kommen. Die waren teilweise noch gar nicht so bewandert, weil sie das noch nie erlebt haben, diese Art des Produzierens und Tuns, weil es das in dem System nicht gab, weil man in der bildenden Kunst zum Beispiel strukturiert auf Dinge hinarbeitet und das Konzept durchzieht.“
Elisabeth Schmirl
„Wir haben uns bei der Entwicklung dieses Labors, dieser Idee, viel ausgetauscht. Ich hatte keine konkrete Vorstellung, was es impliziert, als Labor zu arbeiten. Ich hatte eher eine Vorstellung, wie ich arbeiten möchte und dann dachte ich: 'Dann wird es halt unter dem Begriff des Labors passieren.’ Ich interessiere mich sehr für eine prozessoffene Auseinandersetzung mit Fragen, sozialen Herausforderungen, wie wir uns in der Welt positionieren, wie wir mit kulturellen Mitteln diese Positionierung ausloten können, und es ist für mich ein Interesse, das gemeinsam mit anderen anzugehen. Als ich gestartet bin, war meine Idee, dass alle von uns Beobachtungen oder Situationen oder gesellschaftliche Herausforderungen einbringen und dann gemeinsam schauen, was man da tun kann. Wie könnte man darauf reagieren, wie könnte man das aufnehmen?“
Marcel Bleuler
„Ich fände es schön, wenn man laborhaftes Arbeiten als Praxis für Arbeitsgruppen etabliert, weil die Heterogenität solcher Gruppen in einem Labor bewusst so sein darf, damit Spielregeln gemeinsam definiert werden. Ich würde mir öfter die Gelegenheit wünschen, mit anderen Menschen in diesem Kontext zu denken und weiterzuarbeiten. Das ist wie ein Turbo Boost für die eigene Praxis, zu der man dann zurückkehrt. Und ich finde es schade, wenn es nur punktuell ist, wenn es nicht als notwendige Praxis angesehen werden würde. So nach dem Motto: das ist jetzt en vogue, deshalb machen wir das jetzt. Es ist eine Praxis, die man in alles integrieren kann, aber das braucht Übung.“
Elisabeth Schmirl
„Labor ist ein schwieriger Begriff. Er wird vorwiegend mit naturwissenschaftlichen Laboren und geplanten Versuchsreihen assoziiert, aber seit ein paar Jahren auch im Kunst- und Kulturbetrieb oft gebraucht. Die Grundidee des offenen Experimentierraums unterschreibe ich hundertprozentig. Diese braucht es, weil sich die Kapitalisierung und Neoliberalisierung unserer Gesellschaft, aber auch der Universitäten, so stark auf unsere Verhaltensweisen und gedanklichen Strukturen auswirken und wir die Möglichkeit eines offenen Denkens gar nicht mehr für möglich halten. Zu fragen: Was ist überhaupt noch möglich? Kann ich mich auf etwas einlassen, ohne zu wissen, was rauskommt? Es besteht oftmals eine Loslösung von persönlichen Zugängen oder Interessen. Was ist für mich gerade wichtig? Da versuchen wir anzuknüpfen. Es braucht gerade diese offenen Experimentierräume, sei es im Museum, in der Schule, bei uns, überall, damit überhaupt eine gemeinsame Form des Austauschs entstehen kann. Ich glaube, dass es mehr solche Räume braucht.“
Elke Zobl
„Die Absichtslosigkeit, um die Potenziale von Laborhaftem zu untersuchen und zu versuchen, zu einem anderen Begriff zu kommen, was so ein Labor in Zusammenhang sein kann, ist das eine. Zurückzufragen, bei dem was war, was die Potenziale sein könnten, ist nicht mehr ganz so absichtslos, wenn auch nicht in der Absicht der einzelnen. Ich traue dem erstmal viel zu, aber ich bin da noch nicht ganz durch. Ich finde, es hat was damit zu tun, dass wir alle in unserem künstlerisch-kulturellen Schaffen innerhalb und außerhalb der Universitäten sowieso an Schnittstellen sind, auch mit unserer Auffassung. Da müssen wir überprüfen, ob wir das immer noch sind und ob wir in der Lage sind, so einen inklusiven Gestus im Kopf zu haben, in den Räumen und in allem. Wieviel bin ich Repräsentantin der Sache oder der Universität oder des Theaters oder meiner Auffassung von 'Directing'? Produktive Misstrauensanträge gegen sich selbst und die Funktion, die man hat und die Gestik, die man trägt, brauchen meiner Ansicht nach Druckluftkammern, wo man erstmal gar nicht in die Repetition kommt, weil da andere Dichteverhältnisse sind, weil alles ein bisschen anders ist und ich sozusagen die ganze Zeit in der Übersetzung meiner selbst zu anderen bin. Ich würde immer sagen, das lohnt sich, das auszuprobieren und das weiterzuverfolgen.“
Ulrike Hatzer
„Ich habe den Begriff Labor vorher primär mit Naturwissenschaften in Verbindung gebracht, verkürzt gesagt mit Menschen in weißen Kitteln und Reagenzgläsern. Bei uns ist der Experimentiercharakter stark betont worden, das Labor als Raum, der grundsätzlich offen und in dem alles möglich sein sollte, ohne vorgeschriebene Regeln und ohne ein konkretes Ziel, auf das man hinarbeitet. Sich mit großer Offenheit auf so ein Setting einzulassen, ist unentbehrlich. Im Laufe der Arbeit habe ich gemerkt, dass für mich auch Ergebnisse wichtig sind. Zu große Offenheit in späteren Prozessphasen finde ich schwierig. Für mich braucht es eine Form der Übersetzbarkeit, sodass man das, was entsteht, kommunizieren kann. Dazu gibt es viel Diskussion in der künstlerischen Forschung. Das Ergebnis kann meines Erachtens vielfältig sein, im besten Fall ist es etwas, was man in welcher Form auch immer weitergeben kann, auf das andere aufbauen oder an dem sie sich abarbeiten können.“
Anita Moser
„Wenn wir uns neoliberalen Zwängen unterwerfen und versuchen, verwertbares Wissen zu produzieren, kann es nur eine bestimmte gleichförmige Art von Wissensproduktion sein. Alles, was darüber hinaus noch möglich wäre, kann sich nur entwickeln, wenn es einen Austausch und eine Möglichkeit des Scheiterns gibt. Wo man sich Dinge überlegt zu erforschen, es aber einfach nicht möglich ist. Dieses Scheitern hat auch großes Potenzial und ich glaube, dieses offene Angehen und Überlegen, was aus verschiedenen Perspektiven dazu beigetragen werden kann – Perspektiven, die durch die persönliche Situiertheit eingebracht werden. Das kostet zwar viel Zeit und braucht diesen Raum, aber es ermöglicht auch erst, dass gesellschaftskritisches Wissen generiert werden kann oder zumindest angedacht und wieder verworfen werden kann. Dieses dialogorientierte, prozessorientierte, nicht in Bezug auf eine bestimmte Verwertung orientierte Arbeiten braucht neue Räume. Gerade an Universitäten ist es wichtig, dass solche Räume entstehen, weil die Entwicklung ja eher in eine andere Richtung geht. Ich finde dieses Labor gut, weil es für mich möglich war, jenseits von solchen Forschungszwängen zu arbeiten.“
Ricarda Drüeke
Doris Posch: „Woher kommt das Bedürfnis, dem Offenen einen Raum zu geben?“
„Das ist das Interesse an dem Nicht-Wissen. Das Nicht-Wissen ist die größte Quelle von wirklich qualitativen Fragen. Du kommst über deinen eigenen Horizont raus, du wächst über dich selbst hinaus, Arbeitsgruppen wachsen über sich selbst hinaus, indem man ein Vergnügen im Nicht-Wissen findet. Das ist nicht gleichbedeutend mit dem Entwerten von Wissen. Da ist das Wissen, es ist wertvoll und gut archiviert und jetzt findet etwas anderes statt, wo ich mich nicht drauf berufe, um alle Sinne ganz aufzukriegen. Wie entkommt man sich und seinen eigenen Kategorien selbst, ohne das Wissen von anderen im Gespräch selbst zu sortieren? Ich kann mich dem Wissen und der Erfahrung von anderen annähern und was ich erstmal noch nicht so gut schaffe, ist, meine Sortiersysteme, wie ich Dinge auffasse, gleichzeitig zu befragen. Wahrscheinlich geht das gleichzeitig auch gar nicht und deshalb sind offene Räume so wichtig, ich unterstelle denen eine transformatorische Kraft. Diese offenen Räume schmelzen diese Sortiersysteme und ich kann Erfahrungen und Erzählungen anders begegnen. Was es bringt, ist eine Vergleichbarkeit zu dem, wie ich Dinge in meinem Alltag lesen würde und wie ich sie ohne das mitnehmen kann. Ich traue dem Nicht-Wissen und diesem Herstellen von echtem Staunen – damit meine ich das philosophische Staunen, das ganz naive – ziemlich viel zu. Diese Zustände bekommt man nicht frei Haus, die muss man herstellen.“
Ulrike Hatzer
„Eine Frage, die sich immer wieder stellt: ‚Wen wollen wir adressieren? Wen will ich adressieren?‘ Für mich ist es beim Produktiv-Werden wichtig, von Anfang an zu überlegen, an wen sich das, was ich tue, richtet. Das kann die Labor-Gruppe sein, es kann aber auch jemand anderes, vielleicht auch völlig externes, sein.“
Marcel Bleuler
„Das Format Labor hat gewisse Setzungen. Wenn man ein laborhaftes Setting, egal in welchem Kontext, schafft, nimmt man automatisch Setzungen vor, auch wenn dieser Raum noch so prozesshaft und offen ist bzw. sein soll. Der Kontext bestimmt den Inhalt und da stößt transdisziplinäres Arbeiten, das versucht Räume zu öffnen, an seine Grenzen. An seine Grenzen stößt es auch, wenn man Zugänge wählt, mit denen Menschen nichts anfangen können. Im Projekt 'Räume kultureller Demokratie' gab es eine riesige Enttäuschung für mich: Ich hatte mir monatelang etwas überlegt, um auf dem Markt in Seekirchen einen Weg des Austauschs zum Thema Nachhaltigkeit zu finden, und das hat überhaupt nicht funktioniert. Wir sind dort gestanden und es hat ausgeschaut, als wären wir ein Info-Stand ohne Informationen und das haben uns die Menschen dann auch gesagt. Wir wollten offen mit den Menschen ins Gespräch kommen und nicht irgendwelche Themen vorgeben und setzen und gleichzeitig war das aber die Erwartungshaltung aufgrund des Settings, das wir kreiert hatten. Da muss man sich bewusst sein, dass Menschen unterschiedliche Erwartungen haben, und darin besteht eine Herausforderung, wenn man transdisziplinär arbeiten möchte.“
Katharina Anzengruber
Doris Posch: „Welche Potenziale oder Unvereinbarkeiten gibt es in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich oder sozial akuten Themen mittels kultureller/künstlerischer Praxen?“
„Mir fällt auf, dass es in einer Gruppe wertvolle Prozesse geben kann, die für die Involvierten sinnvoll und spannend erscheinen, sich nach außen aber nur schwer kommunizieren lassen. Gerade wenn man unter dem Stichwort ‚Kunst‘ arbeitet, können Prozesse und Produktionen schnell auch eine Ratlosigkeit hervorbringen, weil sie sich nicht einfügen lassen in das, was strukturell unter Kunst verstanden wird. Das finde ich einerseits eine große Herausforderung. Andererseits kann man auch sagen, dass diese Ratlosigkeit den Ball zurückspielt an die Kunstwelt. Die Erwartungen an Kunst, die sie festigt, werden brüskiert und dass kann auch produktiv sein.“
Marcel Bleuler
„Zeit ist wichtig, vor allem wenn man eine große Gruppe ist. Es braucht ein hohes Maß an Selbstreflexion und die Bereitschaft dazu sowie Offenheit dem gegenüber, was passiert. Wenn es Uneinigkeiten oder schwierige Situationen gibt, sollte man sich Zeit nehmen, um diese zu klären. Es wurde bei uns viel von Offenheit gesprochen, aber eine Offenheit im Umgang miteinander und ein Abrücken von festgefahrenen Positionen war nicht immer einfach. Vielleicht wäre auch eine Moderation gut? Es könnte in so einem Prozess manchmal hilfreich sein, wenn es eine Person gibt, die ihn neutral begleitet und ein bisschen lenkt. Natürlich wirkt sich die Output-Orientierung von Universitäten, wo es um Studierendenzahlen, Drittmittelprojekte, der Dokumentation von Forschungsleistungen in Datenbanken geht, auf laborhaftes Arbeiten aus. Wir haben alle gelernt, diese Aspekte mitzudenken, und es verursacht manchmal Unsicherheit, an etwas zu arbeiten, das sich schwer einordnen lässt. Ich glaube, es ist auch einfacher in einer kleineren Konstellation zu arbeiten. Wenn alle da waren, waren wir zehn Leute, das ist viel. Natürlich entstehen in so einer Gruppe eigene Dynamiken. Es geht immer auch darum, sich zu zeigen. Es geht immer auch um Anerkennung. Gruppendynamiken spielen eine Rolle.“
Anita Moser
„Das tatsächlich Offene kennt kein Format und da werden wir alle nervös und das ist interessant zu beobachten, was das für eine Halbwertszeit hat. Ich glaube, es braucht die ganz dringend und gleichzeitig auch dieses Wissen um die Halbwertszeit: ab wann wir es nicht aushalten, noch lange bevor man danach fragt, was die Institution oder der Geldgeber möchte, weil dann dieses Interesse an der Sinnhaftigkeit kommt und weil die ganzen gelernten Arbeitsreflexe dann zuschlagen. Ganz offene Räume brauchen nicht nur einen frei tektonischen Raum, die brauchen ein Zeitgefüge. Das ist eine Lehre, die ich aus der Sache gezogen habe. Menschen sind individuell verschieden, was man aushält. Ich glaube trotzdem, dass die spannenderen Momente da stattgefunden haben, wo wir nicht genau gewusst haben, zu was wir uns eigentlich selbst bitten und wo auch die interessanteren Gespräche waren – Gespräche, die anhand der Such-Bewegung stattgefunden haben, die anhand des Aushaltens von einem fehlenden Auftrag stattgefunden haben, wo man sich die Frage gestellt hat: Was ist jetzt eigentlich ein Labor? Für wen und warum ist das? Warum gehen wir mit so einem Vokabular um, können wir das nicht einfach Open Space nennen? Ist es dieses Chemielabor, wo es um das Experimentieren mit bekannten Parametern, wenn auch in ihre kleinesten Einheiten zerlegt, geht? Oder ist es das, was wir immer schon probieren wollten? Oder ist es dieses Labor, das als Platzhalter fungiert, weil irgendwas muss man ja sagen, um einen echten Freiraum zu schaffen, wo man einfach nur gucken kann, was passiert und wie lange halten wir es aus? Oder ist es ein Reallabor, das schon über eine künstlerische Definition verfügt?“
Ulrike Hatzer
„Labor bedeutet, eigenes Know-how oder eigene Erfahrungen sein zu lassen und sich zu öffnen für andere Dinge. Die Sachen im Labor sollen funktionieren, wie man sie sonst vielleicht nicht macht. Natürlich bringt man Erfahrungen mit, aber im Labor öffne ich mich nochmal anderen Dingen. Das ist eine zentrale Schlüsselfunktion, die ich wichtig finde. Dieses Transdisziplinäre heißt, sich einzulassen auf die anderen und zu überlegen, was heißt das, wenn ich mich reibe an den Erfahrungen der anderen, oder wenn sozialwissenschaftliche Forschung sich reibt an künstlerischer Praxis. Dieses Aneinanderreiben und vom Eigenen etwas loslassen und vom anderen etwas mitnehmen ist ein Schlüsselelement im Labor.“
Sonja Prlić
„Meine Beweggründe für das Labor waren zuallererst, weil es mir wirklich Spaß gemacht hat, meine eigenen Denkweisen zu reflektieren, Anstöße zu bekommen und 'out of the box' zu denken. Das passiert im normalen Alltag viel zu wenig. Es hat mich inspiriert, auf eine Sache an sich den Fokus zu legen anstatt in den üblichen Zeitverwertungsprozessen, die sonst an der Universität vorherrschen, zu denken. Das fand ich super, dass es innerhalb der Universität ein Angebot an solchen Räumen gibt.“
Ricarda Drüeke
„Die grundlagenforschende Frage: ‚Was wäre ein Labor in einem kulturellen, künstlerisch-sozialen Setting? Was braucht es da?‘, die fand ich sehr attraktiv zusammen mit Menschen zu stellen, die von ihrer beruflichen Herkunft her andere Assoziationen bringen, denen ich nichts schuldig bin und sie mir auch nicht, wo es keine Verantwortlichkeiten gibt. Damit einherging, dass wir uns erstmal darauf verständigt haben, dass wir uns wirklich Zeit lassen und dass wir versuchen wollen, die Offenheit auszuhalten. Das ist uns irgendwann nicht mehr ganz gelungen. Das hat etwas mit den Fragen zu tun: ‚Was hat man vorprägend mitgebracht als Idee von Labor?‘, und ist ein bisschen präokkupiert. ‚Was denkt man, dass man dem Gefüge Universität schuldig ist?‘ Das war ein interessanter Moment, es war auch ernüchternd, er hatte etwas von einer Bruchstelle. Aber was aus dieser Ernüchterung ist eigentlich produktiv? Wo liegt das Potenzial eines konkreten Labors mit konkreten Menschen?“
Ulrike Hatzer
„Der erste Impuls, den ich ins laborhafte Arbeiten gebracht habe, war meine private Situation. Ich habe die Frage aufgeworfen, inwiefern Dringlichkeiten, die sich einem im persönlichen Leben stellen, ein Motor für kulturelle Produktion sein und inwiefern sie fürs wissenschaftliche Arbeiten relevant gemacht werden könnte.“
Marcel Bleuler
„Laborhaftes Arbeiten ist für mich ein Ins-Tun-Kommen. Die Verbindung von Reflexion und Aktion, das Experimentieren, also etwas ausprobieren und sich erlauben, dass etwas schiefgeht. Formen zu finden, um darüber zu reden, was schiefgegangen ist, was nicht einfach ist, weil man ja selbst in Frage gestellt wird. Ich selbst kann nicht an Themen arbeiten, die mir nicht wichtig sind, oder die nicht gesellschaftlich wichtig sind. Die Form des laborhaften Arbeitens ohne diesen Anspruch, der auch bei den Cultural Studies so zentral ist, ist nichts für mich. Laborhaftes Arbeiten ist für mich auch, dass Leute mit unterschiedlichen Perspektiven dabei sind.“
Elke Zobl
„Ich kann den Begriff laborhaftes Arbeiten für jene Projekte von mir annehmen, für die ich mich mit einer Gruppe in eine bestimmte Situation und einen intensiven Prozess der Auseinandersetzung begeben habe. Bei solchen Projekten ist es für mich offen, ob sich der Outcome schließlich weiterverwenden lässt. Es gehört dann genau zu dem Laborhaften, dass man etwas erprobt, ohne zuvor absehen zu können, was dabei herauskommen wird. Zugleich merke ich: Der Begriff ist sehr besetzt. In Salzburg fand ich Elke Zobls Zugang, der vom Real-Labor kommt und vom Teilhabe-Gedanken geprägt ist, überzeugend, weil er etwas Öffnendes hat. Man schafft eine einladende Situation, die zum gemeinsamen Denken und Handeln einlädt. Im Zusammenhang mit Artistic Research und z.B. dem namhaften Sensory Ethnography Lab bin ich inzwischen aber auch mit anderen Verständnissen in Kontakt gekommen. Zugespitzt gesagt meint Labor hier eher einen sehr spezialisierten, fast schon hermetischen Raum, wo ‚Nerds‘ zusammenarbeiten. Mit dieser Idee kann ich im Zusammenhang mit Kunst und Kulturproduktion eher wenig anfangen. Darum glaube ich auch nicht, dass ich den Begriff des laborhaften Arbeitens weiterverwenden werde. Er scheint mir einfach übermäßig besetzt und bringt viele Bilder und Theorien mit sich, die ich eher einschränkend finde.“
Marcel Bleuler