„It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“

Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke

Einleitung

Im Rahmen meines musikwissenschaftlichen Dissertationsprojekts ‚Das Syrian Expat Philharmonic Orchestra: Über einige Perspektiven‘ untersuche ich musikalische Aktivitäten im Kontext gegenwärtiger Phänomene der Fluchtmigration. Mein besonderes Interesse gilt dabei dem seit 2015 bestehenden Syrian Expat Philharmonic Orchestra, das ich hinsichtlich seines Potenzials, gesellschaftliche Transformationen von Teilsystemen anzustoßen, analysiere. Im Zentrum stehen Fragen nach den Zielsetzungen der Orchester-AkteurInnen, nach der Zusammenarbeit mit anderen AkteurInnen sowie nach der öffentlichen Rezeption.

Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Syrian Expat Philharmonic Orchestra erscheint auf den ersten Blick kaum experimentell zu sein. Wird der Begriff „Experiment“ in seiner etymologischen Bedeutung als „Versuch“ bzw. „Probe“ verstanden (vgl. DWDS 2017),star (*2) können jedoch im weiteren Sinne durchaus experimentelle Aspekte angedeutet werden – und zwar in zweifacher Hinsicht. Einerseits ist das Syrian Expat Philharmonic Orchestra selbst ein (neuartiger) Versuch, insofern als die spezielle Form eines syrischen Exilorchesters*1 *(1) meines Wissens bislang ein Novum darstellt. Der Orchestergründer Raed Jazbeh betritt also  unbekanntes Terrain und setzt dadurch einen Prozess in Gang, der oftmals durch Ausprobieren, (Ver-) Suchen und Entdecken gekennzeichnet ist.*2 *(2)

Andererseits begebe auch ich mich in ein neues Forschungsfeld, da eine (musik-) wissenschaftliche Verknüpfung von Musik- und Migrationsphänomenen bis dato selten ist.*3 *(3) Daher kann mein Forschungsprojekt ebenso als Versuch begriffen werden, Neues zu entdecken und zu erforschen. Dies trifft vor allem insofern zu, als es bisher keine Vergleichsstudien zu dem syrischen Exilorchester gibt. Deshalb habe ich das Forschungsdesign erst gegenstandsbezogen (neu) entwickelt und durch mehrmaliges (Ver-)Suchen ausprobiert. Im Folgenden gebe ich einen ersten Einblick in meinen Forschungsprozess, wobei ein besonderes Augenmerk auf dem Interview mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh und dessen Auswertung liegt.

Zugang zu einem neuen Forschungsfeld

Das Syrian Expat Philharmonic Orchestra (kurz: SEPO) wurde 2015 vom syrischen Kontrabassisten Raed Jazbeh gegründet. Das Eröffnungskonzert des Orchesters fand am 22. September 2015 im Bremer Sendesaal statt und war laut Medienberichten bereits im Vorfeld ausverkauft. Es traten etwa 30 syrische MusikerInnen gemeinsam mit Mitgliedern des Jugend-Symphonie-Orchesters Bremen unter der Leitung von Martin Lentz auf. Das Orchester wurde bei diesem Projekt vom Bremer Rat für Integration unterstützt. Ein Folgekonzert am 3. Oktober 2015 in Hitzacker bei Lüneburg wurde zwar medial angekündigt, eingehende Recherchen ergaben jedoch diesbezüglich keine genaueren Informationen. (Vgl. u.a. Amri 2015)star (*1) Es blieb der Eindruck eines einmaligen Projekts, weshalb die fortwährende Existenz des Orchesters unsicher schien.

Aus diesem Grund gestalteten sich die Kontaktaufnahme mit dem SEPO und damit der Zugang zum (Forschungs-)Feld anfangs schwierig. Im Zuge der Arbeit an meiner Dissertation – ebenfalls ab Herbst 2015 – begann ich, mich für den weiteren Werdegang des Orchesters zu interessieren und versuchte, Kontakt aufzunehmen. Ich kontaktierte sowohl den Bremer Rat für Integration als auch den Orchestergründer Raed Jazbeh – vorerst aber ohne Erfolg. Erst nach einigen Wochen erhielt ich vom Bremer Rat für Integration eine Nachricht mit dem Hinweis, dass dieser für das SEPO nicht mehr zuständig sei. Aufgrund erneuter Recherche wurde ich schließlich auf eine offenbar gerade im Aufbau befindliche Homepage des Orchesters aufmerksam.*4 *(4) Dieser konnte ich entnehmen, dass neben Raed Jazbeh als künstlerischem Leiter nun ein Sänger namens Falko Hönisch für das Management des Orchesters verantwortlich zeichnete. Ich unternahm daher einen weiteren Versuch, Kontakt herzustellen – diesmal mit Erfolg. Ich führte ein längeres Gespräch mit Hönisch und wurde zu den nächsten Konzerten des SEPO im September 2016 eingeladen.

Bei diesem ersten Forschungsaufenthalt verfolgte ich die Probenprozesse des Orchesters und besuchte zwei Konzerte in Berlin/Deutschland und Malmö/Schweden. Da ich – wie bereits erwähnt – im Vorfeld nur wenige Informationen zum Orchester hatte ausfindig machen können, war es zunächst ungewiss, was mich vor Ort erwarten würde. Daher reiste ich mit einer gewissen Unruhe und Nervosität, aber auch mit großer Neugier sowie einem Aufnahmegerät und einigen Interview-Fragen im Gepäck nach Berlin. Vor Ort wurde ich sehr herzlich empfangen, verspürte aber auch seitens der Orchester-AkteurInnen eine gewisse Unsicherheit bezüglich meiner Rolle ihnen gegenüber. Von Beginn an befand ich mich in einem Feld zwischen wissenschaftlicher Forschung und sozialem Engagement und war gefordert, meine Rolle als (europäische) Wissenschaftlerin stetig zu hinterfragen und neu zu artikulieren. Es zeigte sich beispielsweise in informellen Gesprächen mit einigen MusikerInnen, dass für diese meine Rolle im sozialen Gesamtgefüge trotz mehrmaliger Erläuterungen häufig diffus blieb. So schwankten ihre Reaktionen zwischen der Faszination über mein Interesse an ihrem Orchester und dem Unbehagen, zu ‚Objekten‘ einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht zu werden; zwischen der Hoffnung, tatkräftige (organisatorische) Unterstützung zu erhalten und der Enttäuschung, in mir kein neues Orchestermitglied gefunden zu haben. Dementsprechend wurde ich auch von Jazbeh zunächst primär als unterstützende Organisatorin wahrgenommen, weshalb das Zustandekommen eines Interviews mehrere Anläufe benötigte.

Raed Jazbeh im Gespräch: erste Lesarten

Das Interview mit Raed Jazbeh*5 *(5) fand am 9. September 2016 im Rahmen der Orchesterproben für die zwei bereits genannten Konzerte in Berlin statt. Da Jazbeh mit der Organisation der Proben sowie der Konzerte sehr beschäftigt war, wurde ich sogleich zur Mithilfe eingeteilt und vorerst kaum in meiner Rolle als Wissenschaftlerin registriert. Das Interview kam erst zustande, nachdem ich Jazbeh mehrmals höflich um ein Gespräch bat. Für das Interview selbst nahm er sich jedoch relativ viel Zeit (knapp 40 Minuten) und war sehr aufgeschlossen, was unter anderem in seinen ausführlichen Erzählungen deutlich wird. Da das Interview im selben Gebäude wie die Proben, nur einen Stock tiefer, stattfand, war im Hintergrund oftmals Musik zu hören. Das Interview wurde zudem einmal unterbrochen, als zwei Musiker Jazbeh in arabischer Sprache etwas fragten.

MM: Okay, so, my first question: How did you come up with the idea of founding a symphony orchestra of Syrian refugees?

RJ: It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra. Expat that means all the Syrians in Europe and diaspora if they are refugees like me – I’m a refugee – or if they are not refugees, for example, they are teachers or students or musicians in some symphony orchestras. So, this to invite the Syrian musicians – professional and academic – to be together, have meetings, rehearsals and concerts to perform the Syrian symphonic music. Also, we can play the classical music, no problem, because we studied all the classical music. But now we focus about the Syrian symphonic music. And how I started this idea: When I arrived at Germany in 2013 I noted that many, many Syrian musicians live in Europe – not just Germany, in Europe in general. And every day more and more musicians, so our number bigger and bigger. So I say: We can  maybe start this project, so this… I mean, Syrian symphony orchestra in Europe. And this was the first thing. The second thing: I noted that the media, the TV and radio journalists, every day say news about Syria. But all these news are about the war, about the fighting, destruction. And they don’t know the […] other face of Syria like culture, music, arts. I say: Okay, we are musicians. We cannot help the situation in Syria, we cannot stop the war, we cannot stop the fighting, we cannot do anything. This is a very very big thing for us. But we can do something for Syria: Then when we do a symphony orchestra for the Syrian musicians and introduce our Syrian symphonic music then the world understands that we are not just war. We are also for the life, for the peace, for the love, for the culture and arts and music. So, many reasons with many messages. They say: ‘Raed, you have to start this project! It’s very important for us as Syrian musicians and to give hope for the people and to send a message for the world: That we can do something important and not just the war!’ I hope this message is arriving …

Auf meine Einstiegsfrage, wie die Idee zur Gründung eines Symphonieorchesters für aus Syrien geflüchtete Menschen entstand, erläutert Raed Jazbeh nicht sogleich die Entstehungsgeschichte. Stattdessen korrigiert er zunächst die von mir eingangs gewählte Bezeichnung des Orchesters. Ihm zufolge handelt es sich nicht um ein Flüchtlingsorchester, sondern um das Syrian Expat Philharmonic Orchestra: „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra.“ (B2, Z.3)star (*7) Diese Namensgebung scheint bedeutend und wohl durchdacht zu sein. Einerseits wird sie durch Jazbeh selbst mehrmals im Interview zur Sprache gebracht. Andererseits betont er das Wort ‚Expat‘ und erläutert direkt daran anschließend, dass er darunter alle in Europa lebenden SyrerInnen versteht, unabhängig davon, ob diese ‚Flüchtlinge‘ sind.

Expat that means all the Syrians in Europe […] if they are refugees like me – I’m a refugee – or if they are not refugees […]. (B2, Z.3-5)star (*7)

In einer späteren Passage erklärt er sein Begriffsverständnis von ‚Expat‘ ex negativo, das heißt in der Bedeutung, nicht im Heimatland zu leben: „Expat that means you don’t live in your country.“ (B2, Z.140)star (*7) Auffallend ist, dass beide Deutungen auf nationalen Kategorien (Europa, Heimatland) gründen und derart in einem interessanten Spannungsverhältnis zu Jazbehs Kulturbegriff stehen, wie ich noch zeigen werde.

Bereits in diesem ersten Interviewabschnitt sowie im weiteren Gesprächsverlauf wird deutlich, dass Jazbeh den Begriff ‚Flüchtling‘ nicht per se für problematisch hält. Im Gegenteil, er positioniert sich diskursiv selbst als ‚refugee‘: „I’m a refugee“ (B2, Z.4).star (*7) Jazbehs zumindest neutrales, wenn nicht sogar positiv konnotiertes Begriffsverständnis wird an späterer Stelle noch deutlicher, als er seine Selbstpositionierung mit einem Gefühl von Stolz in Verbindung bringt: „I’m proud I’m a refugee, I’m proud.“ (B2, Z.157)star (*7)

MM:    […] It’s very interesting that you said at the very beginning that it’s not a refugees’ orchestra, it’s the Syrian Expat Philharmonic Orchestra.

RJ:      Expat that means you don’t live in your country.

MM:    Yeah, I know.

RJ:      So, some of them are refugees, like me, I’m a refugee. Some of them are not refugees, maybe students or teachers or musicians in some symphonic orchestras.

[…]

MM:    So, do you perceive yourself as a refugee or don’t you like to be termed a refugee?

RJ:      I’m proud I’m a refugee (MM: really?), I’m proud.

MM:    Because…?

RJ:      Because there is no difference between any human to any human, if I have a German ID or I’m a refugee or I’m Syrian or Indian, so it’s not any different.

MM:    Yes, that’s true, but I mean, you’re also …

RJ:      So, if they, I don’t know, say that we are refugees, okay, and I have my right to find a safer place to live, to save my life, to try to save the lives of my family. It is my right.

MM:    Yes, of course!

RJ:      Anyone in the world has rights to find a safer place to continue his life or her life. So if they would like to say that I’m a refugee, yes, I’m a refugee and I’m proud, no problem!

MM:    Okay, so, it’s not a problem for you (RJ: no), this term ‘refugee’ …

RJ:      No, why?

MM:    … because you’re also a musician and (RJ: no, no) you have, I don’t know …

RJ:      No, not any problem. I’m proud because people – I see what they do in their life. I don’t care if they are refugees or not refugees, if they are Germans or Syrians etcetera. I care about what they can do in their life. Good things, good aims, noble aims or bad things. So, I care about this.

Es geht ihm einerseits darum, richtig zu stellen, dass nicht alle MusikerInnen erst aufgrund des Krieges, sondern einige von ihnen bereits zuvor nach Europa kamen. Andererseits zeigen einige Folgeaussagen von Jazbeh, so möchte ich argumentieren, die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion des Begriffs ‚Flüchtling‘, der oftmals zu einer einseitigen Festschreibung von Menschen führt. So drückte er beispielsweise seinen Ärger darüber aus, dass JournalistInnen häufig den Fluchtaspekt vorrangig thematisierten, wodurch die einzelnen MusikerInnen sowie deren Musik in den Hintergrund rückten.

[…] I don’t have a problem as a refugee. […] But the media they care about you not because you’re a musician or because you do a great music or a great job. They care about you because you are a refugee. And okay, no problem, care about me because I’m a refugee, but also see my music! (B2, Z.240-246)star (*7)

MM:    That’s a good point because the first concert it was sold out and there was extensive media coverage as you already told. The press wrote a lot of things. How did you feel about the media coverage, the praise and the criticism?

RJ:      You know, it’s very important, the media so people know you. So, all of us say ‘Thank you very much for the media, for the press!’ But we have one problem: Most of them they would like to write about us what they want and not what we are. For example, some newspapers, they say ‘refugees’ orchestra’. What?! Why do you say ‘refugees’ orchestra’ if you know that not all of us are refugees?! But they need a title, their brilliant title to read, you know. So, and some of them, if they would like to do an interview with you he or she – I mean the journalist – doesn’t care if you are a musician or not. If you are a refugee and if you have a story …

MM:    Yes, that was the reason why I asked you if you have a problem to be termed a refugee because …

RJ:      No, I don’t have a problem as a refugee.

MM:    Yeah, but the journalists …

RJ:      But the media they care about you not because you’re a musician or because you do a great music or a great job. They care about you because you are a refugee. And okay, no problem, care about me because I’m a refugee, but also see my music! So they care about your story, how you came, arrived in Germany, they would like to find the story: ‘Oh, you came by sea? By Turkey to Greece blabla…’ Okay, and talk a little bit about my concert, talk about my music, talk about the music and the soloists!

Die (europäische) mediale Berichterstattung über Syrien war für Raed Jazbeh ein Grund, das SEPO ins Leben zu rufen. Er möchte mit dem Orchester den medialen Syrien-Bildern von Krieg, Zerstörung und Flucht ein ‚anderes Gesicht von Syrien’ entgegensetzen. Eines, das seiner Meinung nach hierzulande (weitgehend) unbekannt ist und das er mit den Begriffen Kunst, Kultur, Musik, aber auch mit Leben, Frieden und Liebe beschreibt.

I noted that the media, the TV and radio journalists, every day say news about Syria. But all these news are about the war, about the fighting, destruction. And they don’t know […] our other face of Syria like culture, music, arts. (B2, Z.12-15)star (*7)

Auffallend ist eine an dieser Stelle veränderte Intonation, wodurch der Klang der Wörter „our other face of Syria“ weicher sowie etwas leiser ausfällt und möglicherweise Jazbehs emotionale Betroffenheit zum Ausdruck bringt. Wichtig scheint es ihm in diesem Zusammenhang zu sein, speziell die syrische Kultur und Musik einem europäischen Publikum näher zu bringen, was unter anderem in seiner häufigen Verwendung des Adjektivs ‚syrisch‘ deutlich wird.

Then when we do a symphonic orchestra for the Syrian musicians and introduce our Syrian symphonic music then the world understands that we are not just war. We are also for the life, for the peace, for the love, for the culture and arts and music. (B2, Z.17-19)star (*7)

Dieser Bezug des ‚Syrischen‘ zur syrischen Kultur wird in einem späteren Textabschnitt von Jazbeh explizit hergestellt. Er argumentiert das Adjektiv ‚syrisch‘ zunächst ex negativo, insofern es ihm zufolge weder eine syrische Nationalität noch syrische (Landes-) Grenzen bezeichne. Vielmehr rekurriere er damit auf die bereits mehr als 7000 Jahre alte syrische Kultur.

[…] when I say Syrian musicians or Syrian music or Syrian orchestra I don’t mean Syrian nationality and I don’t mean Syrian borders – I mean Syrian culture! (B2, Z.92-94)star (*7)

Dadurch deutet Jazbeh sein Kulturverständnis implizit an, das jedoch insoweit vage bleibt, als dass es wiederum ex negativo anklingt. Es ist ihm zufolge nicht in Verbindung mit Nationalität, Grenzen und – wie er später hinzufügt – Ländern, Visa und Religion zu deuten. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Jazbeh – wie bereits dargelegt – den Begriff ‚(Syrian) Expat‘ hingegen gerade mit national-eingrenzenden Kategorien (Europa, Heimatland) argumentiert und dadurch einen Widerspruch zu dem hier von primär nationalen Kategorien abgegrenzten Kulturbegriff aufwirft. Jazbehs Kulturbegriff bedarf daher einer weiteren Untersuchung.

RJ:      […] You know, now we have many different ideologies in politics and the religions. And we would like to unite all the Syrians. So we put the war out, the fighting out and start to unite together. We focus about the culture, about the music. So, this project I think is the first project for all the Syrians, so Syrians are welcome in this project. So, I don’t say: ‘Okay, if you are … if you have the same ideology you are welcome, if we are against each other you are not with us!’ No! (3) It’s open for all! It’s not important if we are friends. It’s not important if we have the same ideologies. So, it is very important to (tabs with his fingers on the table) unite and it is very important to start a first step for the peace because if we don’t unite we’ll fight forever.

MM:    Yeah, that’s sure. So, and what about the cooperation with other musicians in Europe?

RJ:      Exactly. So sometimes we have an invitation from some orchestras, so like, for the second concert last year after the first concert we had an invitation from the Lüneburger Symphony Orchestra and they would like to do a cooperation, a concert with two orchestras – half Syrians, half Germans – and two conductors – one Syrian conductor, one German conductor – and the program half German music and half Syrian symphonic music. And this is a kind of cooperation. And also sometimes we do some, like, this cooperation with a chamber orchestra of us, like, fifteen to twenty musicians with other orchestras or other projects. So, we are open to work with any person, it’s not… when I say Syrian musicians or Syrian music or Syrian orchestra I don’t mean Syrian nationality and I don’t mean Syrian borders – I mean Syrian culture. The Syrian culture’s age is more than 7.000 years. It’s very, very old. The first music notes were discovered in Syria. So, we focus about culture. It’s not about the nationality, it’s not about the religion, it’s not about the borders because the borders always change. You know, Germany from one hundred years is different, Syria also, and after the war they may change. So, we care about culture because this … we believe about humans and earth. We don’t believe about nationality or visa or countries or borders because the true fact is we don’t have borders.

Ein weiterer Auslöser, das SEPO zu gründen, lag für Raed Jazbeh in der täglich größer werdenden Zahl in Europa lebender syrischer MusikerInnen. Das Orchester soll daher für diese eine Plattform darstellen, um sich (wieder) zu treffen und (erneut) gemeinsam zu musizieren.

When I arrived at Germany in 2013 I noted that many, many Syrian musicians live in Europe – not just Germany, in Europe in general. And every day more and more musicians, so our number bigger and bigger. So I say: We can maybe start this project, so this… I mean, Syrian symphonic orchestra in Europe. (B2, Z.9-12)star (*7)

Diesen verbindenden Aspekt des Orchesters hebt Jazbeh in einer weiteren Passage hervor, die seinen scheinbar apolitischen Kunstbegriff vermuten lässt. So stellt er das Trennende politischer Ideologien dem Verbindenden von Musik diskursiv gegenüber. Dieses verbindende Moment von Musik greift ihm zufolge erst durch die Ausklammerung (gesellschafts-)politischer Ereignisse.

[…] we would like to unite all the Syrians. So we put the war out, the fighting out and start to unite together. (B2, Z.77-78)star (*7)

Dies ist insofern bemerkenswert, als meines Erachtens Musik stets in einem spezifischen gesellschaftspolitischen Kontext zu verorten ist. Folglich ist das SEPO gerade durch die aktuellen gesellschaftspolitischen Geschehnisse bedingt zu verstehen. Inwiefern dieses Orchesterprojekt tatsächlich dazu beitragen kann, im Sinne einer Narration fernab von Krieg, Brücken zwischen SyrerInnen und zu Menschen anderer Herkunft zu schlagen, bleibt abzuwarten.

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Amri, Samih (22. 09. 2015): Flüchtlinge musizieren gemeinsam im syrischen Exil-Orchester. Online unter http://p.dw.com/p/1GaD1 (25. 08. 2016).

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DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) (2017): Experiment. Online unter https://www.dwds.de/wb/Experiment(30. 06. 2017).

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Kruse, Jan (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2., überarb. u. erg. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

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Kruse, Jan/Schmieder, Christian (2012): In fremden Gewässern. Ein integratives Basisverfahren als sensibilisierendes Programm für rekonstruktive Analyseprozesse im Kontext fremder Sprachen. In: Kruse, Jan/Bethmann, Stephanie/Niermann, Debora/Schmieder, Christian (Hg.): Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 248-295.

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Leopold, Silke (2013): Musikwissenschaft und Migrationsforschung. Einige grundsätzliche Überlegungen. In: Ehrmann-Herfort, Sabine/Leopold, Silke (Hg.): Migration und Identität. Wanderbewegungen und Kulturkontakte in der Musikgeschichte (= Analecta Musicologica; 49). Kassel [u.a.]:, S. 30‑39.

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o. V. (17. 09. 2015): Syrische Flüchtlinge gründen Exil-Orchester. Online unter http://www.zeit.de/news/2015-09/17/musik-syrische-fluechtlinge-gruenden-exil-orchester-17075602 (03. 07. 2017).

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B2: Interview mit Raed Jazbeh, Gründer des Syrian Expat Philharmonic Orchestra, Berlin, 09. 09. 2016 (39:24).

Der Zusammenschluss von im Exil lebenden MusikerInnen per se stellt hingegen keine Neuheit dar, wie Ralf Döring anmerkt. So sieht er die Formation des Syrian Expat Philharmonic Orchestra im Zusammenhang mit einer deutschen Orchestertradition. Er nennt hierzu beispielhaft die Bamberger Symphoniker, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten nach Deutschland ausgewanderte MusikerInnen vereinigten, sowie die Philharmonia Hungarica, die sich aus ungarischen MusikerInnen zusammensetzte, die nach dem 1956 durch sowjetische Truppen niedergeschlagenen Volksaufstand ihre Heimat verlassen hatten. (vgl. Döring 2017)

In einem Artikel der Zeit Online wird das Syrian Expat Philharmonic Orchestra explizit als „großes Experiment“ (o. V. 2015: o. S.) bezeichnet.

Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold beispielsweise stellt fest: „Musikwissenschaft und Migrationsforschung sind zwei Bereiche, die bisher eher von gegenseitiger Nichtwahrnehmung als von Zusammenarbeit geprägt sind.“ (Leopold 2013: 30)

Bei der Auswertung meiner Interviews orientiere ich mich an der qualitativen Interviewforschung nach Jan Kruse. Dieser plädiert für das sogenannte integrative Basisverfahren, das sich als ein „durch die genuin sozialwissenschaftliche Zielperspektive gerahmtes gesprächs- bzw. textlinguistisches Verfahren“ (Kruse 2015²: 463) versteht. Dementsprechend setzt es in einem ersten Schritt auf der sprachlichen Ebene an. Am Beginn der Analyse stehen das Wie des Sprechens und damit die Frage nach Bedeutungszuschreibungen und -konstruktionen qua sprachlicher Mittel. Dabei gilt das Prinzip der Offenheit und Verlangsamung, das heißt Deskription und Interpretation werden „auseinandergezogen“. (vgl. Kruse/Schmieder 2012: 272f.; 277f. und Kruse 20152: 477–479) In einem zweiten Schritt werden auf dieser Grundlage erste Lesarten bzw. Interpretationen formuliert und schließlich nach und nach konkretisiert und verdichtet. (vgl. Kruse 2015²: 479)

Magdalena Marschütz ( 2017): „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“. Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/its-not-a-refugees-orchestra-its-syrian-expat-philharmonic-orchestra/