Das Gehen als Modus der Alltagsbewegung hat im 21. Jahrhundert in der Kunst, aber auch in der Wissenschaft vermehrt an Bedeutung gewonnen. Um der Frage nachzugehen, was die besondere Faszination an der analogen Aktivität des Gehens in unserer durch Digitalisierung zusehends entkörperten Welt ausmacht und mit welchen Konzeptionen es in der zeitgenössischen Kunstproduktion eingesetzt wird, performe ich Walking Interviews*1 *(1) mit KünstlerInnen, die das Gehen zu einem intrinsischen Teil ihrer künstlerischen Praxis gemacht haben. Dabei verstehe ich das Gehen neben und mit meinen GesprächspartnerInnen als ein „Denken durch den Körper“ (Braidotti 2002: 5). (*3) Erkenntnis wird durch ‚Erfahrung, Intuition und Sinneswahrnehmung‘,*2 *(2) aber auch durch einen sprachlichen Austausch in Korrelation zur körperlichen Bewegung generiert. Gleichzeitig weist mein Gehen auch eine gestalterische Dimension auf. Durch die Bewegung meines eigenen Körpers von Walking Interview zu Walking Interview zeichne ich die Kontur des Felds*3 *(3) der Walking Art.*4 *(4) Erst durch und in meiner Praxis findet der Begriff der Walking Art eine räumliche Ausformulierung und wird als Handlungsraum erfahrbar. In seiner konkreten Realisierung verstehe ich dabei das Feld als Modell der performativen Wirklichkeitserfassung und Wissensbildung zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis, so wie es die deutsche Kunsttheoretikerin Elke Bippus in ihrem Text Landschaft-Karte-Feld*5 *(5) konzipiert hat.
„Die mit dem Modell des Feldes einhergehende Verschiebung des Interesses auf die Handlung trägt der Performanz der Darstellung Rechnung, also dem Machen, Konstruieren, dem Hervorbringen von Wirklichkeit in einer konstellativen Anordnung, in der man nicht alleiniger Herr ist. Eine performative Darstellung lässt deutlich werden, dass sie keine bloß konstative Abbildung ist, sondern Wirklichkeiten, Bilder, Vorstellungen hervorbringt. In zweierlei Hinsicht ist eine performative Darstellung selbstreferentiell: Einerseits liefert sie eine Selbstbeschreibung dessen, was sie tut, und andererseits ist sie Teil dessen, was dargestellt wird.“ (Bippus 2005: 21) (*1)
Mit Bezug auf Bippus‘ performativen Feldbegriff, der auf Prozesse der Hervorbringung fokussiert, verstehe ich meine künstlerisch-forschende Herangehensweise als eine Praxis, die ‚Handlungswissen‘ generiert. Indem ich mich ins Feld begebe und dieses durch meine Praxis erweitere, werde ich Teil der ‚konstellativen Anordnung’, deren einzelne Standpunkte durch mein Gehen in Beziehung zueinander gesetzt werden. Im Zusammenspiel räumlicher, zeitlicher, körperlich-sinnlicher und sozialer Komponenten in der Performance der Walking Interviews und auch in der Frage nach der Mediatisierung des performativen Geh-Akts in Artefakte zeigen sich Parallelen zu den künstlerischen Werken, die auf dem Gehen als künstlerische Praxis basieren. Der Vollzug und die Beschreibung meiner eigenen Bewegungen ermöglichen somit grundlegende Rückschlüsse auf das beschriebene Feld. Dabei wird die multisensorische Dimension des Geh-Akts in Artefakte übertragen, die auch für RezipientInnen sinnliche Wahrnehmung und damit einen Erkenntnisgewinn ermöglichen. Im Sinne von Elke Bippus kann daher argumentiert werden, dass meine performative Darstellung in hohem Maß selbstreferentiell ist. Gleichermaßen untersucht und erweitert sie das zeitgenössische Feld der Walking Art. Mein körperliches Zeichnen des Felds ist somit immer auch ein wissenschaftliches Bezeichnen desselben und vice versa.*6 *(6)
Brigitte Kovacs ( 2017): Feldgänge. Das (Be)Zeichnen des Felds der Walking Art. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/feldgange/