Intervene! Künstlerische Interventionen
Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven
Diese Ausgabe des eJournals*3 *(3) steht unter dem Motto der „künstlerischen Intervention“.*1 *(1) Wir diskutieren das emanzipatorische Potenzial von ausgewählten künstlerischen Interventionen im Kontext von feministischen, queeren und antirassistischen Politiken und zeigen, wie diese künstlerischen Interventionen soziale und politische Prozesse in Gang setzen und neue Perspektiven für gesellschaftliches und künstlerisches Handeln eröffnen.
Künstlerische Interventionen sind vielfältig, weil KünstlerInnen, KulturproduzentInnen und KunstvermittlerInnen – gemeinsam mit ihren KollaborateurInnen – unterschiedliche Strategien und Methoden der Umsetzung wählen. Trotz dieser Heterogenität teilen sie jedoch wesentliche Gemeinsamkeiten: Sie thematisieren historisch gewachsene Machtverhältnisse und soziale Ungleichheiten, wofür eine kritische Reflexion des gesellschaftlichen Status Quo Voraussetzung ist und greifen dabei Narrative und Bilder der individuellen und gesellschaftlich geteilten Erinnerung auf, um sie neu zusammenzusetzen. Feministische, queere und antirassistische künstlerische Interventionen arbeiten folglich an einer Imagination für eine andere, weniger stereotype und unterdrückende Zukunft, indem sie einen Raum für alternative Identitäten und gesellschaftliche Gegenentwürfe entwickeln.
Die einzelnen Beiträge dieser Ausgabe gehen auf drei Symposien und zwei Workshops im Herbst 2013 am Programmbereich Contemporary Arts & Cultural Production am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst zurück, die sich künstlerisch, wissenschaftlich und aktionistisch mit spezifischen Aspekten des breiten Themenfeldes der „künstlerischen Intervention“ beschäftigten. Die zentralen Fragen, die die Symposien und Workshops sowie die Herausgabe dieser Ausgabe des eJournals anleiteten, waren:
Was ist charakteristisch für künstlerische Interventionen? Wie können sie kritische feministische, queere und antirassistische Perspektiven eröffnen? Welche Rolle spielen kollaborative und selbstorganisierte Praktiken für diese künstlerischen Prozesse? Wie werden künstlerische Interventionen der Öffentlichkeit vermittelt?
Einführende Überlegungen zum Thema
Die Begriffe Intervention und künstlerische Intervention lassen ebenso wie die Begriffe Selbstorganisation und Kollaboration viele Assoziationen zu. Das Verb intervenieren geht auf das lateinische „intervenire“ zurück und bedeutet „dazwischen-, dazukommen, hindernd oder vermittelnd eingreifen, für jmdn. eintreten“ (von Borries et al. 2012, 72–73); eine ähnliche Bedeutung hat das lateinische Wort „interventio“ im Sinne von Vermittlung und Einmischung. Diese Definitionen beziehen sich primär auf die politische Bedeutung des Begriffs im Sinne eines Einmischens in Staatsangelegenheiten. Das DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst (2006) verweist im Zusammenhang mit Interventionismus auf aktionistische Praktiken und listet unter anderem die Plakate und Aktionen der Guerilla Girls auf, die gegen institutionalisierten Sexismus und Rassismus in der Kunstwelt ironisch und medienwirksam protestierten, oder die Arbeiten der Kollektive ACT UP, Gran Fury und General Idea, die in der AIDS-Krise die LGBTI-Communities*2 *(2) in den USA mobilisierten (Geene 2006: 140). Eine präzisere Definition des Begriffs und seine unterschiedliche Verwendung legt das „Glossar der Interventionen“ (2012) (*13) vor. Der Begriff der Intervention wird dort als Gegensatz zu Konvention verstanden und er dient in der bildenden Kunst in den letzten zwanzig Jahren zur Beschreibung von kulturellem Aktivismus, Kunst im öffentlichen Raum und informellen und subversiven künstlerischen Strategien (von Borries 2012: 126). (*13) Eine Spezifizierung lässt sich im Verlauf der 1980er Jahre mit dem Begriff der Interventionskunst erkennen, der zur Beschreibung künstlerischer Arbeiten dient, die dezidiert in das soziales Umfeld eingreifen. Dem Glossar der Online-Publikation „Zeit für Vermittlung“ folgend, meint Interventionskunst jene künstlerischen Praktiken, die den der Kunst zugemessenen Raum überschreiten und Auseinandersetzungen mit dem „Außen“, also dem lokalen Kontext, suchen und sich im Bereich der sozialen Bewegungen verorten.
„Kunst und Aktivismus finden in Praktiken der Intervention zueinander und erfinden dabei mithin populäre Formen des Politischen, wie etwa die bekannten Störungen des nach wie vor männlich dominierten Kunstbetriebs durch die Guerilla Girls oder die theatralen Demonstrationen der Volxtheaterkarawane gegen die europäische Grenz- und Asylpolitik.“ (Institute for Art Education 2013, o. S.) (*5)
Im Gegensatz zu den Vorstellungen über autonome Kunstproduktion verorten die Kunst- und KulturproduzentInnen ihre künstlerischen Interventionen in sozialen, kulturellen und politischen Kontexten und versuchen auf soziale Ungleichheiten aufmerksam zu machen und dagegen anzukämpfen. Sie fordern mit ihren in der Regel zeitlich begrenzten, impulsgebenden, störenden und irritierenden Eingriffen in den gesellschaftlichen Status Quo verstärkt die soziale und politische Verantwortung der Kunst ein. Bei der Wahl ihrer Methoden greifen sie auf künstlerische Ansätze und Strategien aus den Bereichen der Konzeptkunst, der Performance Art und der feministischen Kunst zurück und kombinieren diese Strategien mit aktivistischen und institutionskritischen Ansätzen. Die zentralen Begriffe, die mit interventionistischen künstlerischen und kulturellen Praktiken einhergehen, sind Prozesshaftigkeit, Dialog, Kommunikation, Partizipation, Kooperation, Recherche, Analyse, Kontext und Ortsbezug. (vgl. Wege 2001: 23–24) (*15)
In Österreich ist der Begriff der Interventionskunst vor allem mit der Gruppe Wochenklausur verbunden, die seit den 1990er Jahren zahlreiche „soziale Interventionen“ realisiert hat. Diese Interventionen lassen sich als prozessorientiert und partizipatorisch beschreiben, weil sie sich mit konkreten sozialen Verhältnissen auseinandersetzen, soziale Ungleichheiten thematisieren, Reflexion und Diskurs anregen und die Öffentlichkeit aktiv involvieren. In ihrer Selbstdarstellung auf der WochenKlausur-Website heißt es:
„Auf Einladung von Kunstinstitutionen entwickelt die Künstlergruppe WochenKlausur seit 1993 kleine, aber sehr konkrete Vorschläge zur Verringerung gesellschaftspolitischer Defizite und setzt diese Vorschläge auch um. Künstlerische Gestaltung wird dabei nicht mehr als formaler Akt sondern als Eingriff in unsere Gesellschaft gesehen.“ (http://wochenklausur.at/projekte/menu_dt.htm)
Die Interventionen der Gruppe Wochenklausur umfassen u. a. die Ausverhandlung und Einrichtung einer fahrenden, kostenlosen Ambulanz für Obdachlose in Wien (1993), den Aufbau einer Pension für drogenabhängige Frauen in Zürich (1994), die Eröffnung einer Koordinationsstelle zur sozialen und rechtlichen Betreuung von Schubhaftinsassen im Polizeigefangenenhaus Salzburg (1996), die Konzeption eines Kleinunternehmens im Bereich des Up-Cycling in Linz (1998) oder die Einrichtung eines autonomen Jugendraums im Rundturm Schloss Goldegg (2009) (Zinggl 2001, (*16) 2005 (*17)). Diese Projekte stehen exemplarisch für Interventionen, die „kulturelle mit politischen Strategien (verknüpfen), indem sie künstlerische Praxen aus dem Kunstfeld heraus in ein anderes ‚Feld’ überführen bzw. dazwischentreten und eingreifen“ (von Borries et al. 2012: 100). (*13) Künstlerische Interventionen unterscheiden sich folglich von herkömmlichen Kunstprojekten im öffentlichen Raum durch „gesellschaftskritische Handlungsoptionen“ (von Borries et al. 2012: 100), (*13) die mit praktischen Veränderungen einhergehen sollen.
Seit der Jahrtausendwende stellt das Forschungsteam rund um Friedrich von Borries in Hamburg im Rahmen des Projektes „Urbane Interventionen“ eine Erweiterung und Verschiebung in der Verwendung des Begriffs Intervention in zweierlei Hinsicht fest: Erstens thematisieren künstlerische Interventionen zunehmend den urbanen, öffentlichen Raum und greifen durch visuelle, performative und architektonische Aktionen in die Wahrnehmungsebene gesellschaftlicher AkteurInnen ein. Exemplarisch für diese Verschiebungen sind etwa Street-Art-Aktionen à la Banksy. Zweitens werden künstlerische Interventionen immer häufiger als Marketingstrategien für Produktplatzierung eingesetzt und erfahren eine Institutionalisierung etwa durch die Vergabe eines „Urban Intervention Award“ durch die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (erstmals 2010, von Borries 2012: 100 ff.). Diesen kapitalistischen Vereinnahmungstendenzen könne, so von Borries (2012: 102), (*13) entgegengewirkt werden, indem künstlerische Interventionen mit ihrer Kritik über spezifische Situationen hinausweisen, Individuen abseits eines avantgardistischen Kunstverständnisses starkmachen und das Prinzip der Selbstorganisation „von unten“ anwenden.
Dieser kursorische Überblick zu künstlerischen Interventionen illustriert die gegenwärtige Heterogenität der Projekte. Ein grobes Raster für eine Einteilung von künstlerischen Interventionen legen Christian Höller (1995) (*3) und Astrid Wege (2001) (*15) vor, indem sie zwei Arten der künstlerischen Intervention unterscheiden, die einander ergänzen können: Die erste Art zentriert sich auf die „Störung“ spätkapitalistischer Machtstrukturen im Bereich der Kultur- und Medienindustrie, indem sie Gegeninformationen und -bilder einschleust und durch gezielte interventionistische Aktionen die geregelten Abläufe infrage stellt. Hierzu zählen etwa die künstlerischen Interventionen von Hansel Sato, der mit Strategien der „Guerilla Communication“ und der „Appropriation Art“ zeigt, wie soziale Codes konstruiert sind und Vermittlungs- und Interaktionsräume mit der Öffentlichkeit geschaffen werden können (vgl. seinen ARTICLE), oder jene von Emma Hedditch, die durch Kollaborationen entstehen und sich an der Schnittstelle von Kunst und politischem Aktivismus bewegen (vgl. Interview).
Für die zweite Art der künstlerischen Interventionen ist charakteristisch, dass sie eher sozial motivierte Ansätze verfolgen, wie etwa die Gruppe WochenKlausur mit dem Ziel, gesellschaftlich marginalisierte Gruppen zu unterstützen, indem für deren Belange eine Öffentlichkeit geschaffen und konkret zur Verbesserung ihrer Situationen beigetragen wird. Das gemeinsame Ziel dieser Vorgehensweisen ist die Herstellung einer „Gegenöffentlichkeit“, die Handlungs- und Kritikfähigkeit ermöglicht (Wege 2001: 25). (*15) Als Beispiel seien die Plakataktionen von Klub Zwei genannt, die sie in Zusammenarbeit mit politischen Migrantinnen(gruppen) konzipieren und im öffentlichen Raum präsentieren (vgl. den PRACTICE Beitrag von Klub Zwei). Diese Interventionen sprechen unterschiedliche Öffentlichkeiten abseits des Kunstkontextes an, wobei KünstlerInnen häufig mit Gruppen außerhalb des Kunstfeldes zusammenarbeiten, um unterschiedliche Erfahrungshorizonte, Wissensbestände und Sichtweisen auf die Gesellschaft zu fusionieren und Gegenmodelle zur neoliberalen Umstrukturierung des öffentlichen Raums, wie etwa die voranschreitende Gentrifizierung von Stadtteilen oder die zunehmenden Überwachung des öffentlichen Raums, zu entwickeln.
Selbstorganisation, Kollaboration und Gegenöffentlichkeiten
Seit der Entstehung des modernen Künstlerbildes, das den Künstler als autonomes Subjekt setzt, sind Selbstorganisation, Gruppenbildung, Kollaboration und Projektarbeit wesentliche Strategien, um „avantgardistisch verstandenen Zielsetzungen durch die Bündelung (Anm.: von Personen und Interessen) zum Durchbruch zu verhelfen“ (von Bismarck 2006: 280). (*12) Mit den Bewegungen der historischen Avantgarden (Dada, russischer Konstruktivismus, Surrealismus) werden kollektive Arbeitsweisen als politische Strategien verstanden. Das kritische Potential der Selbstorganisation „von unten“ entfaltet sich jedoch erst mit den neuen sozialen Bewegungen in den späten 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Neue soziale Bewegungen behandeln – im Unterschied zu vorhergehenden wie etwa der ArbeiterInnenbewegung – heterogene Themen, sie diskutieren verstärkt Fragen zu kulturellen und symbolischen Werten und Repräsentationen und setzen auf dezentrale, zum Teil klassenübergreifende Selbstorganisation „von unten“ und auf Kollaborationen, bei denen es über den sozialen Zusammenschluss hinaus zu gemeinsamen Produktionsprozessen kommt.
Im Kunstfeld sind es AkteurInnen wie Gilbert & George, Newton Harrison, Bernd und Hilla Becher oder die Art Workers Coalition, um nur einige zu nennen, die durch Kollaborationen konsequent die Vorstellung eines singulären autonomen Künstlersubjekts ablehnen und die gängigen Regeln von Kunstproduktion, -präsentation und -distribution infrage stellen, indem die alternativen, selbst gesetzten Praktiken und Handlungsweisen sowohl zur gelebten Praxis als auch zum Gegenstand des Diskurses werden.
In den 1980er und 1990er Jahren entstehen verstärkt projektorientierte interventionistische Ansätze im öffentlichen Raum. Sie sind unmittelbar mit der Veränderung des Verhältnisses zwischen Öffentlichem und Privatem verknüpft und durch sie erlangen die Begriffe „New Genre Public Art“ (vgl. Lacy 1995) (*9) und „Gegenöffentlichkeit“ („counter public“) ihre spezifischen Bedeutungen für das Kunstfeld.
War für Jürgen Habermas’ Öffentlichkeitstheorie, die er mit seinem Buch „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) (*8) vorlegte, die Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre wesentlich, um die „bürgerliche Öffentlichkeit“ als homogenes Gebilde zu konstruieren, so zeichnet sich gegenwärtig ab, dass die Grenzziehung zwischen Öffentlichem und Privatem in Bewegung ist, indem neue Teilöffentlichkeiten u.a. durch den Einsatz von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien entstehen. Diese Teilöffentlichkeiten spiegeln neue Inklusionen und Exklusionen wieder, gleichzeitig kommen all jene Mechanismen zum Tragen, auf die feministische ForscherInnen bereits in den 1970er Jahren aufmerksam machten: Öffentlichkeiten sind keine herrschaftsfreien Räume, weil in die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit implizite Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen eingewoben sind und umkämpft ist, wer in der Öffentlichkeit vertreten ist und was als politisch und was als privat zu gelten hat (Riegraf et al. 2013). (*11) Feministische, queere und antirassistische künstlerische Interventionen orientieren sich folglich an Konzepten der „Gegenöffentlichkeit“ (vgl. u.a. Fraser 1992, (*6) 2001 (*7)), weil sie die traditionelle Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit aufheben, indem sie – dem Motto der zweiten Frauenbewegung „Das Private ist politisch“ folgend – heteronormative Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie Prozesse des „Othering“ öffentlich debattieren. Die Erweiterung des Politischen manifestiert sich folglich in vielfältigen Kritiken an der dominanten Öffentlichkeit und der aktiven Produktion von Gegendiskursen, zu denen u.a. „dissidente Feminismen“ gehören, die Marina Gržinić in ihrem Artikel beschreibt. „Dissidente Feminismen“ fragen, so Gržinić, nach der Bedeutung der Verkettung von Gender, „race“ und Klasse für die hierarchische Konstruktion von dominanten Positionen sowohl in der Gesellschaft wie auch im Kunstfeld und den feministischen Bewegungen selbst.
In diesem Kontext spielt Chantal Mouffes agonistisches Öffentlichkeitsmodell (2008) (*10) eine wichtige Rolle, weil dieses Modell einen „Konsens durch Dialog“ als nicht erstrebenswert erachtet und zudem einen bislang vernachlässigten Aspekt in Öffentlichkeitskonzepten thematisiert, nämlich jenen des Konflikts. Mouffe versteht den öffentlichen Raum als „Kampfplatz“, auf dem unterschiedliche hegemoniale Interessen und Projekte aufeinander prallen. „Critical art“, so Mouffe, kann in diesen Kampfplatz durch Kritik und die Visualisierung von Ungleichheiten, Ausschlüssen und Unterdrückungen intervenieren.
„According to the agonistic approach, critical art is art that foments dissensus, that makes visible what the dominant consensus tends to obscure and obliterate. It is constituted by a manifold of artistic practices aiming at giving a voice to all those who are silenced within the framework of the existing hegemony“ (Mouffe 2008: 12). (*10)
Feministische, queere und antirassistische künstlerische Interventionen lassen sich unter dem Begriff der „critical art“ vereinen, weil sie in der Regel darauf abzielen, herrschaftskritisches Wissen zu produzieren und bestehende Machtverhältnisse auf ihre je spezifische Weise und unter Bezugnahme heterogener Strategien und Praktiken herauszufordern.
Die Beiträge dieser Ausgabe des eJournals thematisieren gesellschaftliche Machtverhältnisse aus feministischer, queerer und/oder antirassistischer Perspektive. Hildegund Amanshauser zeigt in ihrem Artikel, wie die künstlerischen Interventionen von VALIE EXPORT, Sanja Iveković und Pussy Riot gesellschaftliche Konfliktlinien im öffentlichen Raum sichtbar machen und Grenzverschiebungen und -auflösungen zwischen Kunst und Aktivismus eine entscheidende Rolle spielen. Welchen Beitrag künstlerische Interventionen zu feministischen, queeren und antirassistischen Bewegungen leisten können, diskutieren Marina Gržinić, Emma Hedditch und Klub Zwei in einem ausführlichen Gespräch. In den Workshops mit Ka Schmitz (s. dazu das Interview, den Bericht von Martina Kube sowie die visuellen Beiträge von Ka Schmitz) und dem Kollektiv migrantas (s. dazu den Bericht von Veronika Aqra zum Workshop, das Interview mit migrantas), wurden künstlerische Interventionen zur Thematik Antirassismus und Antisexismus entwickelt und der Öffentlichkeit durch Plakate und einer Ausstellung (s. die Dokumentation im open space) präsentiert.
Der Fokus auf kulturelle und symbolische Werte und angemessene Repräsentationen lässt sich vor allem bei einer jüngeren Generation von feministischen, queeren und antirassistischen AkteurInnen feststellen, die in den 1990er Jahren aktiv werden und heterogene aktivistische und interventionistische Praktiken und Strategien entwickeln. Es entsteht, so Leah Lievrow (2011: 62), (*18) ein „neuer Kollektivismus“, der sich u.a. charakterisiert durch den Kampf um politische, soziale und kulturelle Partizipation durch aktivistische künstlerische Praktiken, die Nutzung neuer Medien- und Kommunikationstechnologien, Interaktivität, Selbstorganisation „von unten“ und Kollaboration sowie die Entwicklung von Communities entlang spezifischer Interessen vor dem Hintergrund der zweiten Moderne und der voranschreitenden Individualisierung. Ljubomir Bratić (vgl. seinen Artikel und das Interview) spricht im Zusammenhang mit migrantischer Selbstorganisation in Österreich von einer „partizipationsorientierten Form der Selbstorganisation“ (Bratić 2001), (*1) die in den 1990er Jahren im Anschluss an die „Defensivorganisation“ der MigrantInnen entsteht und einen „Versuch“ darstellt „für bestimmte, bewusst gewordene Problemlagen eine politische Lösung herbeizuführen (…)“ (Bratić 2001: 525). (*1 ) Die Merkmale der partizipationsorientierten Form der Selbstorganisation sind ethnische Inhomogenität, ein nicht von Lobbying geprägter politischer Stil, der Aufbau von Netzwerken mit arbeitsteilig spezialisierten Knotenpunkten, flache Hierarchien, eine internationalistische Orientierung und ein hoher Politisierungsgrad, um Gleichstellung zu erreichen (Bratić 2001: 525). (*1)
Die Beiträge in dieser eJournal Ausgabe zeigen, dass künstlerische Interventionen zumeist temporär, situations- und kontextabhängig sind und sich als impulsgebende Eingriffe in den gesellschaftlichen Status Quo, in soziale und politische Verhältnisse verstehen. Als prozessorientierte und partizipatorische Methoden zielen sie darauf ab, diese Verhältnisse umzugestalten, Reflexion und Diskurs anzuregen, zu irritieren und die Öffentlichkeit aktiv zu beteiligen. Antirassistische und feministische Strategien benennen bestehende Machtverhältnisse und soziale Ungleichheiten, reflektieren diese und greifen dabei auch auf Bilder der individuellen und kollektiven Erinnerung zurück und setzen diese zu neuen Entwürfen zusammen.
Weitere Rubriken
Neben der vielseitigen inhaltlichen Auseinandersetzung in den Artikeln und Interviews mit den Aspekten der Selbstorganisation und Kollaboration, sowie des Feminismus und Antirassismus in Theorie und Praxis künstlerischer Interventionen, werden in der Rubrik „Recommended” ergänzend ein Film und zwei Bücher vorgestellt: Der Dokumentarfilm „Was wir träumen“, der den Entstehungsprozess und die Premiere des gleichnamigen Theaterprojekts mit jugendlichen Flüchtlingen des Clearing-house in Salzburg begleitet, zeigt ein konkretes Beispiel einer künstlerischen Intervention in der Antirassismusarbeit – besprochen von Veronika Aqra. In zwei Rezensionen wird das Themenfeld künstlerische Interventionen mit den Bereichen künstlerische Forschung sowie Interventionen im ländlichen Raum in Verbindung gesetzt: Siglinde Lang stellt die Bücher „Das Forschen aller. Artistic Research als Wissensproduktion zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft“ herausgegeben von Sibylle Peters (2013) und „Kunst und Dorf. Künstlerische Aktivitäten in der Provinz“ herausgegeben von Brita Polzer (2013) vor.
Wie üblich gibt die Rubrik „Activities“ Einblicke in Lehrveranstaltungen des Programmbereichs: Neben einem Rückblick auf die Veranstaltungsreihe „Künstlerische Interventionen“ wird von drei weiteren Lehrveranstaltungen berichtet, die zwar nicht unmittelbar das Thema der „künstlerischen Intervention“ behandeln, jedoch das breite Feld, in dem diese stattfinden, erläuterten und erforschten: „Hot Spot Exkursion Wien“ mit Siglinde Lang und Julia Jung sowie „Kunst & Kultur ermöglichen“ mit Martin Lücke und „Die Ausstellung verhandeln“ mit Luise Reitstätter.
Drei Tagungsberichte (Rubrik „General“) weisen abschließend über den unmittelbaren Kunstkontext hinaus auf die Bereiche „Kulturelle Bildung“ und „künstlerische Forschung“, in denen künstlerische Interventionen als wichtige Strategien der Kombination von Kunst und Bildungsarbeit fungieren: Siglinde Lang bespricht die Tagung „Räume kultureller Bildung. Nationale und transnationale Forschungsperspektiven“ des Netzwerkes Forschung Kulturelle Bildung an der Universität Koblenz-Landau (4./5. Oktober 2013) sowie das interdisziplinäre Symposium „LaborARTorium“ organisiert vom Promotionsprogramm ProArt des Fachbereichs Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München (6./7.Dezember 2013). Der dritte Bericht von Julia Jung zur Tagung “Dispositions of Cultural Funding” verweist auf das Spannungsfeld, in dem sich künstlerische Produktion und Intervention bewegen; die Frage der Sicherung adäquater Rahmenbedingungen steht hier zur Disposition.
Nicht zuletzt bilden die Bereiche „Kulturelle Bildung“ und „künstlerische Forschung“ sowie auch die Frage der Sicherung von Rahmenbedingungen kritischer Wissensproduktion bereits einen Ausblick in Richtung der kommenden Ausgabe des eJournals, die sich mit künstlerischen Interventionen in Bildungskontexten befassen (Oktober 2014) und auf das Symposium „Artistic Interventions and Education as Critical Practice“ (4. und 5. April 2014 am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst) aufbauen wird.
Dank
Wir danken unseren KooperationspartnerInnen für die Unterstützung der Veranstaltungsreihe: der Kulturabteilung des Landes Salzburg sowie der Kulturabteilung und dem Frauenbüro der Stadt Salzburg. Wir danken auch ganz herzlich Siglinde Lang für die Unterstützung in der ursprünglichen konzeptionellen Phase, Laila Huber für die Mitarbeit am eJournal, Roswitha Gabriel für die administrative Unterstützung und das deutsche Lektorat, Lisa Rosenblatt für das englische Lektorat, Ute Brandhuber-Schmelzinger und Katrin Petter für die Unterstützung bei der Veranstaltungsreihe und Veronika Aqra für die Unterstützung am eJournal.
Ein spannendes Lesen und Inspirationen fürs Einmischen, Mitmischen und Mitgestalten wünschen
Rosa Reitsamer und Elke Zobl
Inhaltliche Koordinatorinnen der #4 INTERVENE!
Elke Zobl, Rosa Reitsamer ( 2014): Intervene! Künstlerische Interventionen. Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/intervene-kunstlerische-interventionen/