„Die Frage ist ganz einfach: Wer spricht in der Kunst …“
Ein Interview mit Ljubomir Bratić von Laila Huber und Elke Zobl
Ljubomir Bratić, Philosoph, freier Publizist und langjähriger Aktivist im MigrantInnen-Bereich, war anlässlich des Symposiums „Künstlerische Interventionen: Antirassistische und feministische Perspektiven und Strategien“ beim Studienschwerpunkt „Cultural Production & Arts Management“ zu Gast. Im Gespräch mit Laila Huber und Elke Zobl erzählte er über die Unterschiede zwischen dem politischen und moralischen Anti-Rassismus, inwiefern künstlerische Interventionen eine Schlüsselfunktion im politischen Anti-Rassismus einnehmen und gab Einblicke in den Hor 29. Novembar als Beispiel einer künstlerischen Intervention, die dem hegemonialen Diskurs die verdrängten und unterdrückten Geschichten der GastarbeiterInnen aus Ex-Jugoslawien entgegenstellt.*1 *(1)
Als Aktivist im MigrantInnen-Bereich setzt du dich schon lange für den politischen Anti-Rassismus ein, insbesondere mithilfe von künstlerischen Techniken. Könntest du für uns erläutern, inwiefern der politische Anti-Rassismus und künstlerische Interventionen zusammenhängen?
Politischer Anti-Rassismus ist natürlich ein Diskurs, der sich in erster Linie in der Politik oder in diesem gewissen Bereich des Politischen entwickelt – dabei muss man unterscheiden zwischen Politik, oder was sich Politik nennt – ein Bereich, dessen Hauptinhalte sich in Begriffen wie „Konsens“ und „Verwaltung“ analysieren lässt, und dem Bereich des Politischen – einem Bereich, wo es darum geht, den herrschenden Konsens neu zu definieren. Politischer Anti-Rassismus ist eine Intervention von denjenigen, die eigentlich nicht von der offiziellen Politik vertreten werden können, oder vertreten werden – als politisches Moment begriffen: es wird etwas getan und für die Rechte gekämpft. Das heißt in diesem Bereich der Subjektposition derjenigen, die keine Rechte haben, hat sich so etwas wie ein Diskurs des politischen Anti-Rassismus angesiedelt und dort wird an der Idee der Gleichheit, vor allem der gleichen Rechte für alle, gearbeitet. In diesem Zusammenhang ist es zur Entwicklung dieser Interventionstechniken gekommen.
Ein Bereich, in dem diese Interventionen an die Öffentlichkeit gebracht werden können, ist natürlich die Technik der Kunst und der Kultur. Das ist erstens eine Möglichkeit, die viel an Kapital angesammelt hat, die man für bestimmte Zwecke sehr gut einsetzen kann, und zweitens eine Möglichkeit sich Gehör zu verschaffen, damit etwas als Thema wahrgenommen wird. Wenn etwas als Thema in Form eines Kunstwerkes daherkommt, dann wird es anders wahrgenommen, als wenn es als Thema von einem Sozialarbeiter in einer Pressekonferenz dargestellt wird. Das ist zweischneidig, was mir ganz klar ist, denn dabei besteht natürlich die Gefahr der Kulturalisierung der Geschichte, also dass wir plötzlich lauter KünstlerInnen da haben, aber keine politischen AktivistInnen mehr. Aber in dem Sinne bin ich durchaus dafür, diese Gefahr in Kauf zu nehmen und auch solche Bereiche aufzubauen, die sich dezidiert dieser Interventionskunst entlang dieser Linien verschreiben und das auch tun.
Alles, was es gibt, ist natürlich ein Diskurs: Texte, die geschrieben werden, die rezipiert werden, die wahrgenommen werden etc. So diffus entwickelt sich das Ganze – wenn es sich überhaupt entwickelt, das ist auch die Frage. Man merkt das daran, welche Themen Anfang/Mitte der 90er aktuell wurden, wie man damals gestritten hat im öffentlichen Diskurs und was man heute macht. Da gibt es schon eine gewisse Verschiebung und die Frage „Wer spricht?“ ist heute viel zentraler als damals. Das sind lauter politische Sachen, die man mit künstlerischen Mitteln vorantreiben kann.
Elke Zobl, Laila Huber ( 2014): „Die Frage ist ganz einfach: Wer spricht in der Kunst …“. Ein Interview mit Ljubomir Bratić von Laila Huber und Elke Zobl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/die-frage-ist-ganz-einfach-wer-spricht-in-der-kunst/