„Die Frage ist ganz einfach: Wer spricht in der Kunst …“

Ein Interview mit Ljubomir Bratić von Laila Huber und Elke Zobl

Der Begriff “Selbstorganisation im MigrantInnen-Bereich” lässt mich sofort an den Chor des 29. November denken, in dem du involviert bist und den du mitgestaltest. Inwiefern ist dieser Chor als eine künstlerische Intervention zu betrachten und inwieweit wird dort der Aspekt der Selbstorganisation realisiert?

Der Hor 29. Novembar war eigentlich als eine kurzfristige künstlerische Intervention in der Öffentlichkeit gedacht. Die erste Aktion wurde von Aleksandar Nikolic und Saša Miletic gestartet, um des 29. Novembers 1969 zu gedenken und diesen Tag an die Öffentlichkeit zu bringen. Am 29.11.1969 wurde in Wien der erste „Gastarbeiterverein“ unter dem Name Mladi radnik – der junge Arbeiter gegründet. Wir sind am 29. November 2009, also 40 Jahre später als Andenken an diesen Tag, zum ersten Mal in die Öffentlichkeit getreten.

Der Chor war angelehnt an den altgriechischen Chor, durch den das Volk spricht, also der Chor ist die Stimme des Volkes, die öffentliche Meinung. Es war auch so, dass nicht einzelne KünstlerInnen intervenierten, sondern das Ganze als Kollektiv gedacht war. Unmittelbar danach hat sich herausgestellt, dass es doch mehr Energie gibt als nur für diese erste Aktion. Aus verschiedenen Gründen, u.a. war es offenbar der richtige Moment, an dem sich die Leute getroffen haben.

Hor Rania Moslam web

Foto: Rania Moslam

Am Anfang war ein Großteil der Leute aus den verschiedenen ex-jugoslawischen Republiken. Das hängt, im positiven Sinne, mit dem „nostalgischen” Moment zusammen und dem ganzen Ethnisierungswahn, der hier und dort extrem vorangetrieben wurde. Das hat die Leute zusammengebracht und sie haben zu singen angefangen, also Arbeiter- und Partisanenlieder. Man darf nicht vergessen, dass Arbeiter- und Partisanenlieder Teil des hegemonialen Diskurses in Jugoslawien waren, wo einige dieser Leute aufgewachsen waren. Hier in Österreich aber war keine Rede mehr von einer kulturelle oder sonstige Hegemonie, sondern die meisten, die dabei waren und sind, befinden sich in einer minoritären Position – in einem öffentlichen Raum aufzutreten und auch die eigene Geschichte der Gruppe hier zu ergründen, das war so die Grundidee. Es war in einer gewissen Weise eine Selbsthistorisierung, die bei der ersten Aktion stattgefunden hat und die sich heuer im August bei einer öffentlichen Probe des Chors im Augarten wiederholt hat. Es wurde des „Balkan-Woodstock“ gedacht: Am 14. August 1973 hatten sich spontan 3000 bis 4000 Leute aus Jugoslawien im Augarten getroffen und dort gefeiert. Es gab einen Aufschrei in der bürgerlichen Presse und von da an wurde dieses Treffen „Balkan-Woodstock“ genannt. Dieser Akt von Raumnahme war ein großes Problem für die Wiener Regierung und so wurden die Freizeit zelebrierende Menschen schließlich für das nächste Wochenende unter die Donaubrücke verwiesen. Natürlich kann auch diese Versammlung unter die Reichsbrücke weiter gedacht werden: In gewisser Sinne war das einer der Vorläufer der gegenwertigen Spektakel „Donauinselfest“. Um die Erinnerung mal in diese Richtung zu lenken: Der Chor hat das gemacht.

Vor zwei Jahren gab es eine Safari-Tour, bei der der Chor an fünf verschiedenen öffentlichen Orten gesungen hat, die etwas mit der „GastarbeiterInnen“-Geschichte zu tun hatten, also mit dieser verborgenen Geschichte, die nicht Teil der offiziellen Erzählung ist. Wichtig ist uns auch die Solidarisierung mit Demos. Bei einer der ersten Aktionen haben wir bei der Besetzung der Akademie der bildenden Künste 2009 gesungen; und wir waren praktisch bei jedem Mayday dabei, sowie bei den Votivkirchenflüchtlingen, die von Traiskirchen in Richtung Wien aufgebrochen sind. Wir machen auch Interventionen im Konzertbereich, z.B. Auftritte im Ostclub oder auch bei den Wiener Festwochen, wenn wir eingeladen werden. Dafür gibt es auch Geld. Wir sagen nicht von vornherein Nein zu Geld. Es gibt sozusagen eine politische Linie, eine „Straßen-und-Intervention-im-öffentlichen-Raum-Linie”, und daneben gibt es eben auch Konzerte und Kooperationen, z.B. für das Projekt New Bohemian Gastarbeiter Oper von Alexander Nikolić, oder eine Kooperation mit Künstlergruppe KJDT beim dem Projekt von Heiner Müller Wolokolamsker Chaussee XI.

Lange Zeit waren wir eine lose Organisation, seit letztem Jahr sind wir ein Verein. Es ist wirklich ein gelungenes Projekt, mit wöchentlichen Treffen und Proben im Integrationshaus. Vor der Probe gibt es auch noch Zeit, um ein Plenum zu machen, um Sachen zu besprechen, wie gerade eben die Vorbereitungen zum vierten Geburtstag, der am 29. November 2013 stattfindet. Es wird im AU – einem selbstorganisierten Klub mit einer Galerie von jungen KünstlerInnen, hauptsächlich aus Bosnien stammend – ein Konzert geben und eine selbsthistorisierende Ausstellung von Fotos, die während dieser Zeit entstanden sind. In meiner Funktion habe ich immer ein bisschen darauf geschaut, dass der Werdegang des Kollektivs dokumentiert wird, weil es oft sehr gute Projekte gegeben hat, die überhaupt keine Spuren hinterlassen haben. Insofern gibt es relativ gutes Material über den Chor.

Letztes Jahr waren wir sehr stark involviert in die Wienwoche; wir haben verschiedene Aktionen gemacht, z.B. „I am from Austria“ auf Romanes gesungen, was symbolisch gedacht war: Was passiert, wenn in einer Sprache, die für alle anderen nicht staatlich gebundenen Sprachen steht, eine solche heimlichen Hymne eines Staates gesungen wird? Wir haben auch ein Lied über Abschiebungen, „Der Grund“, entlang der Gesprächsprotokolle zwischen Asylwerber und Beamten des Innenministeriums gemacht und es öffentlich vor dem Innenministerium vorgetragen. Es ist eine Mischung aus Singen und dem Herstellen des Kollektivs durch das Singen, wodurch sich Energien kumulieren, die ungeahnt sind. Dabei geht es eigentlich um den energetischen Moment, weniger um den perfekt-musikalischen Moment, was sich wiederum auf der persönlichen Ebene auswirkt, aber auch wenn man auftritt. Ich würde schon sagen, dass es sich um ein politisches Projekt handelt, oder um ein künstlerisches Projekt, das sich auf der Linie des Politisch-Künstlerisch-Kulturellen bewegt. Die radikalste Ebene dabei ist einer egalitäre, jeder, ausnahmslos jeder, der mitsingen will, kann ein Mittglied des Chores werden.

Leider sind in den PDF-Versionen einige Sonderzeichen nicht richtig umgewandelt. Wir entschuldigen uns dafür!

Elke Zobl, Laila Huber ( 2014): „Die Frage ist ganz einfach: Wer spricht in der Kunst …“. Ein Interview mit Ljubomir Bratić von Laila Huber und Elke Zobl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/die-frage-ist-ganz-einfach-wer-spricht-in-der-kunst/