Zukunft mit Zukunft
Waldbrände, die ganze Landschaften verschlingen, und Überschwemmungen, in deren Fluten nicht nur Besitztümer, sondern auch Menschen ertrinken, dazu eine fast zwei Jahre anhaltende Pandemie, die Millionen Tote fordert. Was Grundlage eines apokalyptischen Horrorfilms sein könnte, ist schlichtweg Realität, die mit jedem Blick in die Medien bestätigt und aktualisiert wird. Doch welche Rolle spielen wir Menschen in diesem Szenario und was können wir aktiv tun, um der Zerstörung unseres Planeten entgegenzuwirken? In Zukunft mit Zukunft. Eine Gesprächsreihe zu Klima, Kunst und Bildung, die im März 2021 startete und bis Juni 2022 fortgeführt wird, wird der Frage nachgegangen, wie wir als kollektive Gemeinschaft, als Gesellschaft, aber auch als Einzelpersonen eine wünschens- und lebenswerte Zukunft gestalten können. Welche Geschichten von bereits gelungenen, zukunftsträchtigen Projekten können wir erzählen? Wie kann auf bereits bestehendes, vielfältiges Wissen zurückgegriffen werden? Und: Welche Rolle spielen dabei kreative, künstlerische und kulturelle Ausdrucksformen sowie Bildung und Vermittlung?
Um diese Fragen zu diskutieren, luden Katharina Anzengruber und Elke Zobl, wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. Leiterin im Projekt Räume kultureller Demokratie, im vergangenen Sommersemester an fünf Montagabenden Menschen ein, die zunächst im Rahmen von Impulsvorträgen aus ihrer wissenschaftlichen, künstlerischen und vermittlerischen Praxis heraus berichteten, neue Ideen und Projekte vorstellten, um sich anschließend mit dem Publikum auszutauschen. Die Veranstaltungen fanden im Kontext der beiden Lehrveranstaltungen Vom Wissen zum Handeln: Praxisfeld Kulturvermittlung am Beispiel von Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung (Leitung: Katharina Anzengruber) sowie „We have no planet B“: Künstlerischer Aktivismus und kreative Protestgestaltung (Leitung: Elke Zobl) statt, waren aber auch offen für externe Gäste.
Zum Auftakt der Reihe am 15. März 2021 war Martin Schlatzer eingeladen. Schlatzer arbeitet als Wissenschaftler am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Wien. Seine Schwerpunkte liegen auf interdisziplinären Forschungsprojekten im Zusammenhang mit Landwirtschaft, Klimawandel und Ernährungssicherung. Er ist Gastlektor an verschiedenen Universitäten und Institutionen sowie Autor des 2010 in der ersten Auflage erschienenen Buches Tierproduktion und Klimawandel – ein wissenschaftlicher Diskurs zum Einfluss der Ernährung auf Umwelt und Klima.
In seinem Vortrag Klimakrise und nachhaltige Ernährung: Zugänge aus der Wissenschaft und einer persönlichen kulturellen Praxis gab Schlatzer Einblick in aktuelle wissenschaftliche Aspekte zur Klimakrise. In seiner Funktion als Ernährungsökologe fokussierte er das Thema nachhaltige Ernährung. Er präsentierte zunächst wissenschaftliche Fakten, bevor er auch aus der Perspektive seiner eigenen kulturellen Praxis als Stadtbegleiter, Theaterspieler oder DJ über die positiven Aspekte nachhaltiger Ernährung zu sprechen kam.
Von Biolandwirtschaft und deren Umsetzung in Österreich, über den Einfluss von unterschiedlichen Ernährungsweisen auf den Klimawandel, bis hin zur Frage, ob und wie die Haltung und Ernährung von Haustieren sich auf das Klima auswirke – Martin Schlatzer erwies sich als kompetenter wie unterhaltsamer Vortragender, dessen Beitrag für angeregte Diskussionen unter den Studierenden sowie dem externen Publikum sorgte und definitiv auch eingefleischten Veganer:innen neue Inputs lieferte.
Am 22. März 2021 war der Wiener Künstler und Filmemacher Oliver Ressler zu Gast. Bereits im Rahmen einer seiner ersten Ausstellungen, 100 Years of Greenhouse Effect, im Salzburger Kunstverein im Jahr 1996, widmete sich Oliver Ressler der Klimaerwärmung, und diesem Thema hat er sich bis heute in den diversen künstlerischen Disziplinen, die er verfolgt, verschrieben. Ressler ist Filmemacher, Fotograf und Kurator, er arbeitet mit Installationen und Plakaten, macht Einzelausstellungen und Kunst im öffentlichen Raum. Neben der Klimakatastrophe, stehen Themen wie Wirtschaft, Demokratie, Migration, Formen des Widerstandes und alternative Arten des sozialen Zusammenlebens im Fokus von Resslers Arbeit. Aktuell arbeitet er an Barricading the Ice Sheets, einem Forschungsprojekt über die Klimarechtsbewegung, das über den FWF, den Österreichischen Wissenschaftsfonds, finanziert wird. Im Jahr 2016 war er Preisträger des Prix Thun for Art and Ethics Award, der an Künstler:innen verliehen wird, die sich in ihren Arbeiten besonders für Nachhaltigkeit engagieren.
In seinem in englischer Sprache gehaltenen Vortrag mit dem Titel No Future is cancelled stellte er verschiedene Arbeiten vor und sprach über sein Filmprojekt Everything’s coming together while everything’s falling apart (2016 – 2020). In den drei Kurzfilmen, COP21 (2016), The ZAD (2017) und Code Rood (2018) widmet sich Oliver Ressler den Problemen der Klimarechtsbewegung bei der Aufdeckung der Tatsache, dass das Wirtschaftssystem zu großen Teilen von fossilen Brennstoffen abhängt.
Am 12. April 2021 ließ die Münchner Künstlerin Stephanie Müller aka Rag Treasure die Nähmaschine knattern und inspirierte das Publikum mit ihrem Vortrag Laufmaschen-Zauber & Zero Waste Couture. Stephanie Müller komponiert beispielsweise Melodien auf ihrer Nähmaschine, die sie als mobile Werkstatt und Musikinstrument nutzt. Aus Stoff- und Plakatresten schafft sie neue Kunstwerke, die Geschichten erzählen, in Videoarbeiten Verwendung finden, und als bespielbare Requisiten bei Performances und Aktionen im öffentlichen Raum dienen.
Müller sprach über ihre diversen Kunstprojekte wie etwa das Projekt beißpony, das sowohl Band als auch Performance-Projekt ist. Gemeinsam mit Kollegin Laura Theiß haucht Stephanie Müller im Rahmen der beißpony-Performances beispielsweise Gebrauchtem neues Leben ein, indem sie damit Musik machen.
„Aus alt, vergessen, oder weggeworfen mach neu, aufregend und anziehend! Und vergiss nicht, die dabei anfallenden Geschichten zu erzählen!“ So oder so ähnlich kann Stephanie Müllers Mission mit Mode umrissen werden. Wie können Textilien im Kontext von Rebellion und Befreiung eingesetzt werden? Wie lassen sie sich im öffentlichen Raum zur Vernetzung von Menschen und Ideen nutzen? In Stephanie Müllers Kunst sind der Austausch untereinander und die Impulse, die künstlerisch-kollaborative Prozesse für einen nachhaltigeren Umgang mit Kleidung geben können, zentral. Diese Anschauung zog sich auch als roter Faden durch ihren Vortrag und die darauffolgende Diskussion und machte den Abend zu einem faszinierenden und inspirierenden Erlebnis.
Nach den Vorträgen, in denen Einblicke in wissenschaftliche sowie künstlerische Zugänge und Perspektiven gewährt wurden, verknüpften Dilshanie Perera und Anais Reyes vom The Climate Museum New York City diese beiden Disziplinen miteinander und legten darüber hinaus einen Fokus auf das Thema Vermittlung.
In ihrem Vortrag Culture for Action – The Climate Museum New York [AK1] gaben Dilshanie und Anais Einblick in die Arbeit und das Programm des Klimamuseums in New York City, The Climate Museum NYC. Anspruch des Museums ist es, einerseits über Kunst und Wissenschaft klimarelevante Themen zu vermitteln, andererseits im Zuge der Ausstellungen und Aktionen mit dem Fokus Klima die Besucher:innen zum eigenen Handeln zu inspirieren. So sollen vor allem auch gesellschaftliche Verbindungen gestärkt und neue Lösungen der Klimakrise gefunden werden. (S. auch Interview in dieser Ausgabe)
Als besonders interessantes Projekt präsentierten Dilshanie und Anais Climate Signals, eine Ausstellung aus dem Jahr 2018 im öffentlichen Raum. Im Zuge der Ausstellung des Künstlers Justin Brice Guariglia wurden zehn solarbetriebene Highway-Anzeigetafeln in Parks und an öffentlichen Plätzen installiert, auf denen markante Sprüche und Sätze zu lesen waren, die den Klimawandel betreffen. Durch die Tafeln sollte ein Dialog über klimarelevante Themen zwischen den Zuschauer:innen initiiert werden. Der Text wurde in den in New York am meisten gesprochenen Sprachen, Englisch, Spanisch, Chinesisch, Französisch und Russisch, angezeigt.
Dilshanies und Anais‘ Vortrag über die Arbeit und Mission des Climate Museum NYC war sehr informativ, interessant und ein Besuch des Museums sollte definitiv auf dem Plan aller New York-Besucher:innen stehen!
Als letzter Vortragender in der Gesprächsreihe Zukunft mit Zukunft im Sommersemester 2021 war am 10. Mai 2021 Christian Engelbrecht, Referent für Bildung am Futurium Berlin mit seinem Vortrag Zukünfte entdecken und gestalten – Bildung und Vermittlung im Futurium zu Gast. (S. auch Interview in dieser Ausgabe)
Das Futurium in Berlin sieht sich selbst als ‚Haus der Zukünfte‘. Im Zentrum steht die Frage: „Wie wollen wir leben?“ Eine berechtigte Frage, die in aller Munde zu sein scheint, hat das Futurium doch gemeinsam mit Scholz & Friends mit einer Kampagne rund um diese Frage im Juni 2021 den Internationalen Deutschen PR-Preis 2021 gewonnen.
Christian Engelbrecht gab Einblick in die Zukunftsentwürfe und die damit verbundenen Herausforderungen, Chancen und Risiken, die im Futurium ausgestellt werden. Immer mit Blick darauf, Bezüge zwischen den Aspekten „Natur“, „Mensch“ und „Technik“ herzustellen und aufzuzeigen, werden im Futurium unterschiedlichste Ausstellungen, Veranstaltungen und Labs zu verschiedensten Themen aus Wissenschaft, Kunst, Politik und Technologie angeboten. Ziel des sehr vielfältigen Bildungs- und Vermittlungsprogramms ist es, bereits bestehendes Wissen anregend zu vermitteln, eigene zukunftsträchtige Kompetenzen der Teilnehmer:innen zu stärken, und die Besucher:innen mit Tatendrang und Lust auf eine nachhaltige Zukunft wieder ‚in die Welt‘ zu entlassen.
Hanna Wimmer ( 2021): Zukunft mit Zukunft. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/zukunft-mit-zukunft/