„Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“
Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber
Das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur in Stuttgart, initiiert von der Universität Stuttgart, war eines von mehreren vom Land Baden-Württemberg geförderten Laboren. Es lief über den Zeitraum von Oktober 2014 bis März 2020. Im Fokus standen Fragen rund um das Thema Mobilitätskultur. Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft entwickelten und erprobten gemeinsam mit Studierenden und Wissenschaftler:innen der Universität Stuttgart, der Stadtverwaltung Stuttgart und dort angesiedelten Unternehmen Ideen für Realexperimente, die gemeinsam umgesetzt und wissenschaftlich begleitet wurden. Hanna Noller, 2018 bis 2020 Koordinatorin des Reallabors und ehemalige Mitarbeiterin am Institut für Städtebau der Universität Stuttgart, stellt im Interview mit Katharina Anzengruber das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur vor. Sie spricht über wesentliche Faktoren, um ein Reallabor erfolgreich durchführen zu können, etwa Zeit, finanzielle und personelle Ressourcen, Wertschätzung, Kommunikation auf Augenhöhe und Verantwortung, und thematisiert auch damit verbundene Herausforderungen und Schwierigkeiten.
Eingangs bitte ich Sie, kurz zu skizzieren, worum es sich beim Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur gehandelt hat. Was waren die Ideen und Intentionen dahinter? Wie war 2014 die Ausgangslage?
Es gab 2014 eine Ausschreibung vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, auf die sich Projektgruppen dafür bewerben konnten, Reallabore zu eröffnen. Das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur, eingereicht von der Universität Stuttgart, war eines von sieben anderen Projekten, die gefördert wurden. In der ersten Förderphase waren sechs, in der zweiten fünf Institute aus unterschiedlichen Fachrichtungen der Universität, die Stadtverwaltung, Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft, die damals die Pionier:innen des Wandels genannt wurden, und verschiedenste Unternehmen aus dem Bereich Mobilität am Reallabor beteiligt. Dieses Netz und die erforderlichen Kontakte aufzubauen, hat – so wie ich es vom damaligen Team mitbekommen habe – die ersten eineinhalb Jahre in Anspruch genommen. Das ist bis zum Schluss eigentlich die Hauptarbeit in einem Reallabor: Wenn man disziplinübergreifend und transdisziplinär zusammenarbeiten möchte, muss man zunächst einmal eine gemeinsame Sprache sprechen lernen und den Dialog dann auch pflegen.
Die Idee hinter diesem Reallabor war es, nicht nur über Technologien in der Mobilität zu sprechen, sondern vor allem über die Mobilitätskultur. Es sollte ausgelotet werden, wie wir uns gemeinsam und sozial gerecht fortbewegen wollen. In der zweiten Förderphase – als ich ins Team dazukam – haben wir uns damit am Städtebau-Institut aus einer stadträumlichen Perspektive beschäftigt: Wie sollte der öffentliche Raum umgewandelt und umgebaut werden, so dass wir uns dort sozialverträglich, miteinander und lebenswert fortbewegen und darüber diskutieren können? Dafür haben wir verschiedene Realexperimente entwickelt. Die Parklets für Stuttgart, eine Idee, die noch umgesetzt wurde, bevor ich Teil des Teams war, ist ein Beispiel für ein sehr großes, bekanntes Experiment, das auf jeden Fall die Diskussion im so engen Stadtraum Stuttgart angefacht hat. Ein weiteres Beispiel wäre das Experiment StadtRegal. Dazu muss man wissen, dass in der Stuttgarter Innenstadt ein großer Kampf um jede Fläche zwischen Autofahrer:innen, Fußgänger:innen und Radfahrer:innen herrscht.
Welches Fazit würden Sie jetzt am Ende ziehen, wenn Sie auf das Reallabor zurückblicken?
Das Wichtigste in der Reallabor-Arbeit ist der Dialog und dafür muss ausreichend Zeit da sein. Man kann nicht, wie in anderen Projekten, einen Plan machen und diesen dann auf Biegen und Brechen durchführen und durchsetzen, sondern es braucht erstmal viele Absprachen zwischen den einzelnen Akteur:innen. Der Austausch muss gefördert, ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander produziert werden. Es ist beispielsweise sehr schwierig, Wissenschaft und Unternehmen auf einen Nenner zu bringen. Unternehmer:innen haben oft das Problem der Geheimhaltungspflicht von Innovationen und können nicht immer offen sprechen. Sie haben auch eigene Interessen, die sie verfolgen. Die Wissenschaft hat den grundsätzlichen Anspruch an die Fragestellung. Und dann gibt es da noch die Zivilgesellschaft, die zunächst erfreut ist, gefragt zu werden und teilhaben zu können. Vor allem die Pionier:innen des Wandels, die ohnehin in verschiedenen Vereinen und Initiativen aktiv sind, engagieren sich und arbeiten gerne mit. Sie sind auch daran interessiert, Gesprächspartner:innen aus der Stadtverwaltung und Wissenschaft kennenzulernen. Aber nach einiger Zeit kann da auch eine gewisse Frustration eintreten, weil sie für ihren Aufwand nicht entlohnt werden, also eigentlich kostenlos arbeiten, aber die auf der Straße sichtbaren Hauptakteur:innen sind. Das führte immer wieder zu Konflikten in den einzelnen Projekten. Ich glaube trotzdem an das Modell Reallabor. Ich denke nur, es braucht einfach die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen. Dass das die springenden Punkte in der Reallabor-Arbeit sein würden, war am Anfang des Projektes nicht so deutlich.
Hanna Noller,
Katharina Anzengruber
(
2021):
„Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“.
Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber
. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten
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