Das Handbuch ist in die vier thematischen Bereiche Thinking in Practice, Transformative Practice, Navigating Change und Promising Practice unterteilt, wobei die ersten drei in die Kontextualisierung und das künstlerische Konzept der Brunnenpassage einführen, das Prinzip ihrer strategischen Partner:innenschaften erläutern und Impulse für die Kulturpolitik liefern. Das vierte Kapitel stellt die Brunnenpassage anhand ihrer Projekte vor und erläutert in elf unterschiedlichen Beispielen ihre konkreten transkulturellen Handlungsstrategien. Neben künstlerischen Produktionen werden hier auch Projekte vorgestellt, die sich der Nachbarschaftsidee und der Öffnung hin zu neuen Dialoggruppen widmen: Das alljährliche Straßenfest am Brunnenmarkt oder das allmonatliche Frühstück in der Brunnenpassage sind Rituale, welche das Publikum erweitern und für eine diskriminierungs- und barrierefreie Zugänglichkeit sorgen.
Dabei wird ein besonderer Fokus auf das Prinzip der Mehrsprachigkeit gelegt: Sowohl auf Ebene des Teams wie auch auf Seiten der Künstler:innenschaft, im Marketing und auch bei Bewerbungsverfahren für ausgeschriebene Projekte sollen die Sprachbarrieren zugunsten einer Vielfalt und Offenheit reduziert werden. Ziel ist, ein genreübergreifendes, intergenerationales und transkulturelles Publikum zu generieren, das auch durch strategische und nachhaltige Kooperationen aufgebaut werden soll. Durch gezielte Kooperationspartner:innen können außerdem Ressourcen geteilt und Infrastrukturen errichtet und erweitert werden.
Die Dialoggruppe ist hier ein wichtiger Begriff, den das Handbuch immer wieder aufgreift und der auch mit dem Prinzip des ‚story telling‘ verknüpft wird: Mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen und sich gegenseitig die eigenen Geschichten zu erzählen ist Basis einer ästhetischen Aushandlung innerhalb einer diversen Gesellschaft. Das zeigt sich auch in den Projekten der Brunnenpassage: Sharing Stories. Dinge Sprechen (2014-2019) oder Not a Single Story. Kollektives Tagebuch (2016-2019) sind nur zwei von vielen Beispielen, die sich auf Grundlage gemeinsamer Kommunikationsformen einer kollektiven sozialen Praxis verschreiben, die sich auch in kuratorischen und künstlerischen Fragestellungen der Brunnenpassage widerspiegeln. Das Teilen von Geschichten bedeutet nicht zuletzt, sich gegenseitig eine Stimme zu geben und Raum für anderes zu öffnen.
In diesem Sinne dient das Handbuch nicht nur als Lektüre und als Leitfaden, sondern auch als ein multimediales Archiv, in welchem die Mitwirkenden in Form von Zitaten, in Bildern sowie durch QR-Codes (die auf Videos verweisen) zu Wort kommen und sichtbar gemacht werden. Mit seiner klaren Struktur und fundierten Sprache ist es aber auch ein wichtiger Beitrag sowohl für den Kulturbetrieb als auch für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Diskurs der Transkulturalität und bietet eine Möglichkeit, die Erkenntnisse und Erfahrungen, die aus der Arbeit hervorgehen, weiterzugeben.
Mit ihrer Publikation Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft leisten die Herausgeberinnen einen wichtigen politischen, sozialen und praxisnahen Beitrag für Kulturschaffende und Partizipierende und gewähren Einblicke in Kunstpraxen, die den Menschen in ihrer Vielheit gerecht werden und dementsprechend zukunftsweisend für Kultureinrichtungen und darüber hinaus sind.
Gwendolin Lehnerer ( 2021): Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/kunstpraxis-in-der-migrationsgesellschaft/