Gewohntes hinterfragen, Ungewohntes wagen
Zusammenarbeit einmal anders … oder rückwärts
Workshop „Praktiken des „(Ent-)Übens“ mit Annette Krauss
Einfach mal Umdenken, Andersdenken und „(Ent-)Üben“: Im Workshop „Praktiken des (Ent-)Übens“ im Rahmen des Projektes „Hidden Curriculum“ von und mit der Künstlerin Annette Krauss haben wir gelernt, die Welt einmal anders zu sehen.
Zunächst war uns aber nicht klar, was uns die nächsten zwei Tage genau erwarten würde. Als wir dann schließlich im kleinen Kreis mit Annette zusammen saßen, erreichte uns die Künstlerin in der Vorstellungsrunde sofort mit ihrer Herzlichkeit und ihrem heiteren Gemüt. Wir fühlten uns wohl und waren gespannt, was die Arbeit mit ihr hervorbringen würde. Kaum waren wir angekommen, wurden wir auch schon von Annette eingeladen, etwas Neues auszuprobieren: „Rocking Chairs“ ist eines von vielen Projekten, die sie unter anderem mit SchülerInnen und Studierenden durchführt, um strikte Regeln, Hierarchien und Strukturen, wie sie z.B. durch eine strenge Sitzverteilung im Unterricht vorkommen, zu durchbrechen und neu zu denken. Alle KursteilnehmerInnen nahmen ihre Stühle und versuchten durch Zusammenarbeit, Kommunikation und viel Spaß die Stühle (und ihre Kolleginnen) so zusammenzuhalten, dass keine den Boden berührte. Stuhlkippeln mal anders! Mit viel Freude haben wir so die erste Aufgabe in unserem Kurs mit Erfolg gemeistert.
Gewohntes zu hinterfragen und Ungewohntes zu wagen, stellte sich schnell als Kern und Ziel des Kurses heraus. Mit viel Offenheit und kreativem Geist führte uns Annette Krauss durch die zwei Tage hindurch. Ihre „Praktiken des (Ent-)Übens“ wurden für uns greifbar, als wir gemeinsam über das Thema Zusammenarbeit diskutierten. Zusammenarbeit tritt in den unterschiedlichsten (Lebens-)Situationen auf. Und jede/r hat damit andere, mal mehr und mal weniger gute Erfahrungen gemacht. Ob beim Kochen, an der Universität, im Garten, am Arbeitsplatz, im Sport oder im Haushalt; Zusammenarbeit begleitet uns ständig. Und wir alle nehmen dabei unterschiedlichste Rollen an, Hierarchien, Routinen und Strukturen wahr. In kleinen Gruppen analysierten wir dann, warum und wie es vor allem im Unterricht bzw. bei Vorlesungen durch eine bestimmte Anordnung von Stühlen, Tischen, Pult und Eingangstür zu solchen Machtverteilungen kommen kann. Es stellte sich heraus, dass der Sitz- bzw. Stuhlkreis wohl am besten diese strengen Regeln und Strukturen durchbricht, da visuell zunächst keiner auf einer höheren oder niedrigen Ebene zu verorten ist. Paradox daran ist aber, dass genau der Aspekt des Visuellen wiederum Rollen und Strukturen schafft. Durch Kleidung, Mimik, Gestik und vieles mehr kann genau das, was wir eigentlich vermeiden wollen, wieder entstehen. Also dachten wir um, dachten neu und ENTÜBTEN unser typisches Verhalten in einem Stuhlkreis. Wir drehten die Stühle einfach um, sodass wir uns mit dem Rücken statt von Angesicht zu Angesicht gegenübersaßen. Was sich zunächst als komisch und sehr unkonventionell anfühlte, entwickelte sich schnell zu einer Idee, einer Übung zum Entüben, einem Durchbruch von üblichen Konventionen und Routinen. Eine neue Art der Zusammenarbeit war geboren und wir präsentierten diese später vor und mit unseren Mitstudierenden, welche die zwei Tage im Workshop mit Janna Graham und Nicolas Vass verbrachten.
Aber noch nicht genug! Um das Thema Zusammenarbeit in und mit einer Gruppe noch stärker zu fördern, mussten wir Gewohntes, Übliches, Routiniertes und Alltägliches verändern. Und was ist wohl eines der gewohntesten Dinge für uns? Das Vorwärtsgehen. Und hier das (Ent-)Übungs-Rezept:
Man nehme Gewohntes (das Vorwärtsgehen), eine Gruppe, um die Zusammenarbeit zu testen, und füge zu guter Letzt eine Prise Ungewöhnliches hinzu. Und heraus kommt: Das Rückwärtsgehen! Zunächst starteten wir einen Eigenversuch quer durch die Linzergasse in Salzburg. Sofort war klar, dass wir diese (Ent-)Übung unbedingt in unsere Präsentation einbauen mussten.
Verrücktes Rückwärtsgehen und der umgedrehte Stuhlkreis. Zwei Praktiken des (Ent-)Übens, um die Welt mal aus einer anderen Perspektive zu sehen und die KursteilnehmerInnen sensibel für das Thema Zusammenarbeit zu machen. Der Überraschungseffekt war riesig, die Verwunderung groß und die daraus erworbenen Erkenntnisse noch größer. Kommunikation und Vertrauen stellen unter anderem die wohl wichtigsten Aspekte der Zusammenarbeit dar. Neu ist das zwar nicht, die Art, wie wir diese Erfahrung machten, hingegen schon.
Vielleicht sollten wir öfters mal Gewohntes hinterfragen und Ungewohntes wagen, um neue Wege einschlagen zu können, die, ohne Regeln und Konventionen, zu einem größeren Effekt führen können, als die übliche, alltägliche Routine es je schaffen würde.
„Nach unserer Überzeugung gibt es kein größeres und wirksameres Mittel zu wechselseitiger Bildung als das Zusammenarbeiten überhaupt […].“ (Johann W. von Goethe) (*1)
Kathrin Förster ( 2014): Gewohntes hinterfragen, Ungewohntes wagen. Zusammenarbeit einmal anders ... oder rückwärts Workshop „Praktiken des „(Ent-)Übens“ mit Annette Krauss . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 05 , https://www.p-art-icipate.net/gewohntes-hinterfragen-ungewohntes-wagen/