Intervene! Künstlerische Interventionen
Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven
In Österreich ist der Begriff der Interventionskunst vor allem mit der Gruppe Wochenklausur verbunden, die seit den 1990er Jahren zahlreiche „soziale Interventionen“ realisiert hat. Diese Interventionen lassen sich als prozessorientiert und partizipatorisch beschreiben, weil sie sich mit konkreten sozialen Verhältnissen auseinandersetzen, soziale Ungleichheiten thematisieren, Reflexion und Diskurs anregen und die Öffentlichkeit aktiv involvieren. In ihrer Selbstdarstellung auf der WochenKlausur-Website heißt es:
„Auf Einladung von Kunstinstitutionen entwickelt die Künstlergruppe WochenKlausur seit 1993 kleine, aber sehr konkrete Vorschläge zur Verringerung gesellschaftspolitischer Defizite und setzt diese Vorschläge auch um. Künstlerische Gestaltung wird dabei nicht mehr als formaler Akt sondern als Eingriff in unsere Gesellschaft gesehen.“ (http://wochenklausur.at/projekte/menu_dt.htm)
Die Interventionen der Gruppe Wochenklausur umfassen u. a. die Ausverhandlung und Einrichtung einer fahrenden, kostenlosen Ambulanz für Obdachlose in Wien (1993), den Aufbau einer Pension für drogenabhängige Frauen in Zürich (1994), die Eröffnung einer Koordinationsstelle zur sozialen und rechtlichen Betreuung von Schubhaftinsassen im Polizeigefangenenhaus Salzburg (1996), die Konzeption eines Kleinunternehmens im Bereich des Up-Cycling in Linz (1998) oder die Einrichtung eines autonomen Jugendraums im Rundturm Schloss Goldegg (2009) (Zinggl 2001, (*16) 2005 (*17)). Diese Projekte stehen exemplarisch für Interventionen, die „kulturelle mit politischen Strategien (verknüpfen), indem sie künstlerische Praxen aus dem Kunstfeld heraus in ein anderes ‚Feld’ überführen bzw. dazwischentreten und eingreifen“ (von Borries et al. 2012: 100). (*13) Künstlerische Interventionen unterscheiden sich folglich von herkömmlichen Kunstprojekten im öffentlichen Raum durch „gesellschaftskritische Handlungsoptionen“ (von Borries et al. 2012: 100), (*13) die mit praktischen Veränderungen einhergehen sollen.
Seit der Jahrtausendwende stellt das Forschungsteam rund um Friedrich von Borries in Hamburg im Rahmen des Projektes „Urbane Interventionen“ eine Erweiterung und Verschiebung in der Verwendung des Begriffs Intervention in zweierlei Hinsicht fest: Erstens thematisieren künstlerische Interventionen zunehmend den urbanen, öffentlichen Raum und greifen durch visuelle, performative und architektonische Aktionen in die Wahrnehmungsebene gesellschaftlicher AkteurInnen ein. Exemplarisch für diese Verschiebungen sind etwa Street-Art-Aktionen à la Banksy. Zweitens werden künstlerische Interventionen immer häufiger als Marketingstrategien für Produktplatzierung eingesetzt und erfahren eine Institutionalisierung etwa durch die Vergabe eines „Urban Intervention Award“ durch die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (erstmals 2010, von Borries 2012: 100 ff.). Diesen kapitalistischen Vereinnahmungstendenzen könne, so von Borries (2012: 102), (*13) entgegengewirkt werden, indem künstlerische Interventionen mit ihrer Kritik über spezifische Situationen hinausweisen, Individuen abseits eines avantgardistischen Kunstverständnisses starkmachen und das Prinzip der Selbstorganisation „von unten“ anwenden.
Dieser kursorische Überblick zu künstlerischen Interventionen illustriert die gegenwärtige Heterogenität der Projekte. Ein grobes Raster für eine Einteilung von künstlerischen Interventionen legen Christian Höller (1995) (*3) und Astrid Wege (2001) (*15) vor, indem sie zwei Arten der künstlerischen Intervention unterscheiden, die einander ergänzen können: Die erste Art zentriert sich auf die „Störung“ spätkapitalistischer Machtstrukturen im Bereich der Kultur- und Medienindustrie, indem sie Gegeninformationen und -bilder einschleust und durch gezielte interventionistische Aktionen die geregelten Abläufe infrage stellt. Hierzu zählen etwa die künstlerischen Interventionen von Hansel Sato, der mit Strategien der „Guerilla Communication“ und der „Appropriation Art“ zeigt, wie soziale Codes konstruiert sind und Vermittlungs- und Interaktionsräume mit der Öffentlichkeit geschaffen werden können (vgl. seinen ARTICLE), oder jene von Emma Hedditch, die durch Kollaborationen entstehen und sich an der Schnittstelle von Kunst und politischem Aktivismus bewegen (vgl. Interview).
Für die zweite Art der künstlerischen Interventionen ist charakteristisch, dass sie eher sozial motivierte Ansätze verfolgen, wie etwa die Gruppe WochenKlausur mit dem Ziel, gesellschaftlich marginalisierte Gruppen zu unterstützen, indem für deren Belange eine Öffentlichkeit geschaffen und konkret zur Verbesserung ihrer Situationen beigetragen wird. Das gemeinsame Ziel dieser Vorgehensweisen ist die Herstellung einer „Gegenöffentlichkeit“, die Handlungs- und Kritikfähigkeit ermöglicht (Wege 2001: 25). (*15) Als Beispiel seien die Plakataktionen von Klub Zwei genannt, die sie in Zusammenarbeit mit politischen Migrantinnen(gruppen) konzipieren und im öffentlichen Raum präsentieren (vgl. den PRACTICE Beitrag von Klub Zwei). Diese Interventionen sprechen unterschiedliche Öffentlichkeiten abseits des Kunstkontextes an, wobei KünstlerInnen häufig mit Gruppen außerhalb des Kunstfeldes zusammenarbeiten, um unterschiedliche Erfahrungshorizonte, Wissensbestände und Sichtweisen auf die Gesellschaft zu fusionieren und Gegenmodelle zur neoliberalen Umstrukturierung des öffentlichen Raums, wie etwa die voranschreitende Gentrifizierung von Stadtteilen oder die zunehmenden Überwachung des öffentlichen Raums, zu entwickeln.
Elke Zobl, Rosa Reitsamer ( 2014): Intervene! Künstlerische Interventionen. Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/intervene-kunstlerische-interventionen/