Intervene! Künstlerische Interventionen
Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven
Selbstorganisation, Kollaboration und Gegenöffentlichkeiten
Seit der Entstehung des modernen Künstlerbildes, das den Künstler als autonomes Subjekt setzt, sind Selbstorganisation, Gruppenbildung, Kollaboration und Projektarbeit wesentliche Strategien, um „avantgardistisch verstandenen Zielsetzungen durch die Bündelung (Anm.: von Personen und Interessen) zum Durchbruch zu verhelfen“ (von Bismarck 2006: 280). (*12) Mit den Bewegungen der historischen Avantgarden (Dada, russischer Konstruktivismus, Surrealismus) werden kollektive Arbeitsweisen als politische Strategien verstanden. Das kritische Potential der Selbstorganisation „von unten“ entfaltet sich jedoch erst mit den neuen sozialen Bewegungen in den späten 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Neue soziale Bewegungen behandeln – im Unterschied zu vorhergehenden wie etwa der ArbeiterInnenbewegung – heterogene Themen, sie diskutieren verstärkt Fragen zu kulturellen und symbolischen Werten und Repräsentationen und setzen auf dezentrale, zum Teil klassenübergreifende Selbstorganisation „von unten“ und auf Kollaborationen, bei denen es über den sozialen Zusammenschluss hinaus zu gemeinsamen Produktionsprozessen kommt.
Im Kunstfeld sind es AkteurInnen wie Gilbert & George, Newton Harrison, Bernd und Hilla Becher oder die Art Workers Coalition, um nur einige zu nennen, die durch Kollaborationen konsequent die Vorstellung eines singulären autonomen Künstlersubjekts ablehnen und die gängigen Regeln von Kunstproduktion, -präsentation und -distribution infrage stellen, indem die alternativen, selbst gesetzten Praktiken und Handlungsweisen sowohl zur gelebten Praxis als auch zum Gegenstand des Diskurses werden.
In den 1980er und 1990er Jahren entstehen verstärkt projektorientierte interventionistische Ansätze im öffentlichen Raum. Sie sind unmittelbar mit der Veränderung des Verhältnisses zwischen Öffentlichem und Privatem verknüpft und durch sie erlangen die Begriffe „New Genre Public Art“ (vgl. Lacy 1995) (*9) und „Gegenöffentlichkeit“ („counter public“) ihre spezifischen Bedeutungen für das Kunstfeld.
War für Jürgen Habermas’ Öffentlichkeitstheorie, die er mit seinem Buch „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) (*8) vorlegte, die Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre wesentlich, um die „bürgerliche Öffentlichkeit“ als homogenes Gebilde zu konstruieren, so zeichnet sich gegenwärtig ab, dass die Grenzziehung zwischen Öffentlichem und Privatem in Bewegung ist, indem neue Teilöffentlichkeiten u.a. durch den Einsatz von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien entstehen. Diese Teilöffentlichkeiten spiegeln neue Inklusionen und Exklusionen wieder, gleichzeitig kommen all jene Mechanismen zum Tragen, auf die feministische ForscherInnen bereits in den 1970er Jahren aufmerksam machten: Öffentlichkeiten sind keine herrschaftsfreien Räume, weil in die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit implizite Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen eingewoben sind und umkämpft ist, wer in der Öffentlichkeit vertreten ist und was als politisch und was als privat zu gelten hat (Riegraf et al. 2013). (*11) Feministische, queere und antirassistische künstlerische Interventionen orientieren sich folglich an Konzepten der „Gegenöffentlichkeit“ (vgl. u.a. Fraser 1992, (*6) 2001 (*7)), weil sie die traditionelle Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit aufheben, indem sie – dem Motto der zweiten Frauenbewegung „Das Private ist politisch“ folgend – heteronormative Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie Prozesse des „Othering“ öffentlich debattieren. Die Erweiterung des Politischen manifestiert sich folglich in vielfältigen Kritiken an der dominanten Öffentlichkeit und der aktiven Produktion von Gegendiskursen, zu denen u.a. „dissidente Feminismen“ gehören, die Marina Gržinić in ihrem Artikel beschreibt. „Dissidente Feminismen“ fragen, so Gržinić, nach der Bedeutung der Verkettung von Gender, „race“ und Klasse für die hierarchische Konstruktion von dominanten Positionen sowohl in der Gesellschaft wie auch im Kunstfeld und den feministischen Bewegungen selbst.
Elke Zobl, Rosa Reitsamer ( 2014): Intervene! Künstlerische Interventionen. Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/intervene-kunstlerische-interventionen/