Intervene! Künstlerische Interventionen
Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven
In diesem Kontext spielt Chantal Mouffes agonistisches Öffentlichkeitsmodell (2008) (*10) eine wichtige Rolle, weil dieses Modell einen „Konsens durch Dialog“ als nicht erstrebenswert erachtet und zudem einen bislang vernachlässigten Aspekt in Öffentlichkeitskonzepten thematisiert, nämlich jenen des Konflikts. Mouffe versteht den öffentlichen Raum als „Kampfplatz“, auf dem unterschiedliche hegemoniale Interessen und Projekte aufeinander prallen. „Critical art“, so Mouffe, kann in diesen Kampfplatz durch Kritik und die Visualisierung von Ungleichheiten, Ausschlüssen und Unterdrückungen intervenieren.
„According to the agonistic approach, critical art is art that foments dissensus, that makes visible what the dominant consensus tends to obscure and obliterate. It is constituted by a manifold of artistic practices aiming at giving a voice to all those who are silenced within the framework of the existing hegemony“ (Mouffe 2008: 12). (*10)
Feministische, queere und antirassistische künstlerische Interventionen lassen sich unter dem Begriff der „critical art“ vereinen, weil sie in der Regel darauf abzielen, herrschaftskritisches Wissen zu produzieren und bestehende Machtverhältnisse auf ihre je spezifische Weise und unter Bezugnahme heterogener Strategien und Praktiken herauszufordern.
Die Beiträge dieser Ausgabe des eJournals thematisieren gesellschaftliche Machtverhältnisse aus feministischer, queerer und/oder antirassistischer Perspektive. Hildegund Amanshauser zeigt in ihrem Artikel, wie die künstlerischen Interventionen von VALIE EXPORT, Sanja Iveković und Pussy Riot gesellschaftliche Konfliktlinien im öffentlichen Raum sichtbar machen und Grenzverschiebungen und -auflösungen zwischen Kunst und Aktivismus eine entscheidende Rolle spielen. Welchen Beitrag künstlerische Interventionen zu feministischen, queeren und antirassistischen Bewegungen leisten können, diskutieren Marina Gržinić, Emma Hedditch und Klub Zwei in einem ausführlichen Gespräch. In den Workshops mit Ka Schmitz (s. dazu das Interview, den Bericht von Martina Kube sowie die visuellen Beiträge von Ka Schmitz) und dem Kollektiv migrantas (s. dazu den Bericht von Veronika Aqra zum Workshop, das Interview mit migrantas), wurden künstlerische Interventionen zur Thematik Antirassismus und Antisexismus entwickelt und der Öffentlichkeit durch Plakate und einer Ausstellung (s. die Dokumentation im open space) präsentiert.
Der Fokus auf kulturelle und symbolische Werte und angemessene Repräsentationen lässt sich vor allem bei einer jüngeren Generation von feministischen, queeren und antirassistischen AkteurInnen feststellen, die in den 1990er Jahren aktiv werden und heterogene aktivistische und interventionistische Praktiken und Strategien entwickeln. Es entsteht, so Leah Lievrow (2011: 62), (*18) ein „neuer Kollektivismus“, der sich u.a. charakterisiert durch den Kampf um politische, soziale und kulturelle Partizipation durch aktivistische künstlerische Praktiken, die Nutzung neuer Medien- und Kommunikationstechnologien, Interaktivität, Selbstorganisation „von unten“ und Kollaboration sowie die Entwicklung von Communities entlang spezifischer Interessen vor dem Hintergrund der zweiten Moderne und der voranschreitenden Individualisierung. Ljubomir Bratić (vgl. seinen Artikel und das Interview) spricht im Zusammenhang mit migrantischer Selbstorganisation in Österreich von einer „partizipationsorientierten Form der Selbstorganisation“ (Bratić 2001), (*1) die in den 1990er Jahren im Anschluss an die „Defensivorganisation“ der MigrantInnen entsteht und einen „Versuch“ darstellt „für bestimmte, bewusst gewordene Problemlagen eine politische Lösung herbeizuführen (…)“ (Bratić 2001: 525). (*1 ) Die Merkmale der partizipationsorientierten Form der Selbstorganisation sind ethnische Inhomogenität, ein nicht von Lobbying geprägter politischer Stil, der Aufbau von Netzwerken mit arbeitsteilig spezialisierten Knotenpunkten, flache Hierarchien, eine internationalistische Orientierung und ein hoher Politisierungsgrad, um Gleichstellung zu erreichen (Bratić 2001: 525). (*1)
Die Beiträge in dieser eJournal Ausgabe zeigen, dass künstlerische Interventionen zumeist temporär, situations- und kontextabhängig sind und sich als impulsgebende Eingriffe in den gesellschaftlichen Status Quo, in soziale und politische Verhältnisse verstehen. Als prozessorientierte und partizipatorische Methoden zielen sie darauf ab, diese Verhältnisse umzugestalten, Reflexion und Diskurs anzuregen, zu irritieren und die Öffentlichkeit aktiv zu beteiligen. Antirassistische und feministische Strategien benennen bestehende Machtverhältnisse und soziale Ungleichheiten, reflektieren diese und greifen dabei auch auf Bilder der individuellen und kollektiven Erinnerung zurück und setzen diese zu neuen Entwürfen zusammen.
Elke Zobl, Rosa Reitsamer ( 2014): Intervene! Künstlerische Interventionen. Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/intervene-kunstlerische-interventionen/