Politischer Antirassismus als Praxisdenken
Politischer Antirassismus ist ein Praxisdenken. Er ist eine diskursive Positionierung, die bemüht ist, neben der Theorieproduktion auch die Praxis*2 *(2) voranzutreiben. Dieses Postulat hat Vorteile und Nachteile: Die Wirkungen, die auf theoretischer Ebene entfaltet werden, sind mittelbar und beziehen sich zum Beispiel auf die Rationalisierung der Diskussionen über Migration. Die „großen“ Diskussionen über Kleidungsstücke wie etwa das Kopftuch oder über die vermeintlich kulturelle und identitäre Zerrissenheit von MigrantInnen werden prinzipiell und argumentativ in Frage gestellt mit dem Ziel, sie ins Abseits zu drängen. Wenn bei diesen Infragestellungen, also beim Praxisdenken des politischen Antirassismus, von einer Verbesserung der gesellschaftlichen Lage der MigrantInnen die Rede ist, geht es nicht darum, diese Gruppe en bloc zum Opfer zu erklären oder sie zu pathologisieren, noch sollen MigrantInnen zu Objekten der psychologischen, soziologischen und ethnologischen Befragungen gemacht und ihre benachteiligte soziale Lage in der Gesellschaft auf ihre eigenen Handlungen zurückgeführt werden. Und schließlich geht es auch nicht darum, soziale Ungleichheiten durch einen Diskurs über vermeintlich „fremde“ und hermetisch abgeschlossene Kulturen, die im Gegensatz zur eigenen „richtigen“ Kultur stehen würden, zu legitimieren und zu rechtfertigen. Es geht allein darum, Gleichheit voranzutreiben und dieses Vorantreiben beinhaltet nach dem Denken und der Praxis des politischen Antirassismus vor allem eine Hinwendung zur Politik, denn Gleichheit in unserer Gesellschaft wird als politische Gleichheit verstanden. Diesem Postulat folgend gilt es, den Gleichheitsgedanken voranzutreiben und zwar mit allen dazu notwendigen Differenzierungen. Wir sind nicht alle körperlich und psychisch gleich, aber wir sind in den Gesellschaften, die sich Demokratien nennen, alle gleich geboren und sollten nach Erlangung des Erwachsenenstatus als ebenbürtig gelten, ausgestattet mit den gleichen Rechten und Pflichten.
Der Satz „Ein Individuum eine Stimme“ ist ein zentrales Postulat der Demokratie. Was ist aber, wenn diese politische Stimme, wie derzeit in Österreich mehr als einer Million BürgerInnen nicht zusteht? Was passiert dann mit der Demokratie? Können wir überhaupt von Demokratie sprechen, wenn derartige gesetzlich verankerte Ausschließungen existieren? Ist dadurch nicht das zentrale Postulat der Demokratie gefährdet, das besagt, dass die Gesetze für diejenigen gelten, die ihre RepräsentantInnen gewählt und damit beauftragt haben, Gesetze (in ihrem Namen) zu erlassen? Natürlich ist es das. Und das ist der Punkt, an dem politischer Antirassismus ins Spiel kommt, indem er bedingungslos auf die Teilhabe der MigrantInnen setzt und damit behauptet, eine Arbeit an der Demokratie zu leisten. Denn es geht in letzter Konsequenz nicht nur um die Beseitigung der Benachteiligung einzelner Gruppen, sondern auch um diese Beseitigung des herrschenden Systems, das soziale Ungleichheiten gesetzlich legitimiert. Es geht also darum, durch die Verbesserung der Lage der Benachteiligten eine Verbesserung der Lage von allen in einer Gesellschaft herbeizuführen. Der erfolgreiche Kampf der ArbeiterInnen um das Wahlrecht war nicht nur ein Kampf für die Arbeitenden selbst und auch der erfolgreiche Kampf der Frauen um das Wahlrecht war nicht nur ein Kampf für die Frauen. Es waren immer politische Kämpfe für uns alle, weil dadurch die Gesellschaft, in der wir leben, gerechter wurde! Ein Kampf ist nur dann politisch, wenn er – aus einer partikulären Position – im Namen aller geführt wird.