Im Gespräch mit Anke von Heyl über ArtEduTalk

Auf Twitter ans Eingemachte gehen

ArtEduTalk: Das Vermittlungsformat der Twittergespräche im Kontext von Art Education und Kunstvermittlung

Ein Interview mit Anke von Heyl von Anita Thanhofer

Interview am 25.2.2020

Anke von Heyl gründete gemeinsam mit Anita Thanhofer das Projekt ArtEduTalk, das als interaktives Twitter-Gespräch startete und mit einem Blog erweitert wurde. Die Twitter Gespräche fanden zwischen 2017 und 2018 statt. Das Ziel des ArtEduTalks war, Kulturvermittler*innen zu vernetzen und neue Möglichkeiten für Kunst- und Kulturvermittlung im Netz zu eröffnen. Für das Projekt Räume kultureller Demokratie schlüpft Anita Thanhofer in die Rolle der Interviewerin und spricht mit ihrer Kollegin Anke von Heyl über die Anfänge des Formats ArtEduTalk, auftretende Schwierigkeiten und den Raumbegriff in der digitalen und analogen Kunstvermittlung.


Welche Idee lag ArtEduTalk zugrunde und wie bist du zu diesem Projekt gekommen?

 

ArtEduTalk zählt zu jener Art von Projekten, wie ich sie häufiger durchführe. Deren Ziel ist, innerhalb von Netzwerken, die durch Kontakte im Internet entstanden sind, einen Austausch zu schaffen. Wir überlegten im Projekt gemeinsam, was wir aus dem schon bestehenden Netzwerk heraus noch weiter entwickeln könnten. Wir beide haben uns ja über den Social-Media-Kanal Twitter kennengelernt und begonnen, uns über das gemeinsame Thema der Kunstvermittlung auszutauschen. Ich kannte bereits verschiedene Formate auf Twitter, wie den EdChat oder den BibChat, und war von der Möglichkeit angetan, auch mit den Kulturvermittler*innen auf Twitter einen Austausch anzuregen. Damit war das Projekt ArtEduTalk geboren, das den Teilnehmenden den Diskurs mit Kolleg*innen ermöglichte, mit denen sie über soziale Netzwerke bereits ‚verbandelt‘ waren. Um diesen anzuregen, setzten wir gezielte Impulse und versuchten, uns regelmäßig jeweils bestimmter Themen anzunehmen. Dann habe ich mich gefragt, warum ich das Projekt alleine moderieren soll und habe dir vorgeschlagen mitzumachen. Wir waren beide daran interessiert, noch weitere Kulturvermittler*innen zu treffen und uns mit ihnen auszutauschen, sodass wir uns überlegten: „Welche Themen stehen im Raum? Mit welchen Themen wollen wir uns beschäftigen?“ Dann richteten wir eine Website und schon konnten wir starten. Inhaltlich war es überhaupt kein Problem, das Projekt sehr schnell zu füllen und uns über neue Themen abzustimmen, mit denen wir uns beschäftigen wollten. Darüber hinaus verfolgten wir mit der Realisation des ArtEduTalk die Mission auszuloten, wie man die Kunst- und Kulturvermittlung im Netz vorantreiben kann.

Welche theoretischen oder methodischen Bezugspunkte waren in der Entwicklung des Projektes ArtEduTalk wichtig?

 

Beim Projekt ArtEduTalk handelte es sich um ein Experiment. Es gab, wie bereits erwähnt, bestimmte Blaupausen, den BibChat oder den EdChat, an denen wir uns orientierten, um eine konkrete Struktur anzubieten und einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. In Bezug auf die methodische Ebene war ein großes Bedürfnis da, auf einer Metaebene zu kommunizieren. Genau das ist in den sozialen Netzwerken schwierig. Hier geht es beispielsweise gerne mal um das gepostete Essen oder um Inhalte, die man im Analogen als ‚Flurfunk‘ bezeichnen würde. Wenn man irgendwo fest angestellt ist, finden die besten Gespräche meist in der Kaffeeküche oder zwischen den Zimmern auf dem Flur statt. Die Kunst dabei ist es, daraus etwas Diskursfähiges zu entwickeln. Oder Ideen für gemeinsame Projekte herauszufiltern. Ich habe Twitter immer als meinen ‚Flurfunk‘ bezeichnet, wobei die Herausforderung auch im digitalen Raum besteht, diese ‚Gespräche zwischendurch‘ zwar zuzulassen, aber den Fokus dann auf wirklich interessante Themen zu lenken. Wir mussten uns also die grundlegende Frage stellen: „Wollen wir ans Eingemachte gehen anstatt eines lustigen Gedanken-Ping-Pongs?“ Mir war wichtig, einerseits wirklich Wissen zusammenzubringen, im Sinne von ‚Crowd-Sourcing‘: Jede*r weiß schließlich etwas. Andererseits war es mir wichtig zu fragen, wie dieses Wissen zum Vorteil für alle genutzt werden könne. Das waren gewissermaßen methodische Ansätze: Möglichkeiten zu finden, Diskussionen auf einer Metaebene anzustoßen und Schwarm-Intelligenz nutzen zu können.

Was bedeutet Vermittlungsarbeit für dich als Grundhaltung?

 

Im Begriff Vermittlung ist die Mittler*innenposition enthalten. Aus dieser Position wird vermittelt zwischen Inhalten, Institutionen und Besucher*innen, Kund*innen oder wie auch immer man Menschen, die Kultur konsumieren, nennen will. Kunst- und Kulturvermittelnde sind in beide Richtungen gepolt und müssen sich auf Besucher*innen, Inhalte und Institutionen einstellen. Besucher*innenorientierung und das Ausmachen ihrer Bedürfnisse sind jedenfalls wesentliche Stichworte. Ebenso gilt es, die Bedürfnisse von bestimmten Inhalten sowie der Institutionen selbst zu beachten und diese beiden Ebenen zusammenzubringen. Das ist für mich – auf eine ganz kleine Formel heruntergebracht – die Idee von Vermittlung.

Was steht für deine Arbeit im Fokus: Inhalt, Institution oder Besucher*innen?

 

Die Besucher*innen. Meine Blickrichtung wendet sich immer in erster Linie den Dialoggruppen zu. Mir gefällt dieser Begriff besser, denn das Wort Zielgruppen klingt so, als ob man auf jemanden abzielen würde. Das dabei entstehende Bild ist meiner Ansicht nach falsch. Um mit Leuten ins Gespräch zu kommen, muss ich wissen, was die Leute besprechen wollen. Es gilt genau hinzusehen und hinzuhören, um herauszufinden, was sie umtreibt. Das sind im Grunde sehr simple Dinge, die aber bei der Produktion neuer Inhalte selten in die Überlegungen mit hineingenommen werden.

Welche Rolle spielte Kommunikation im Projekt ArtEduTalk und wie hast du die Kommunikation in den sozialen Netzwerken empfunden?

 

Der ArtEduTalk selbst war ein Kommunikationsinstrument. Es handelte sich ja um ein moderiertes Gespräch auf Twitter. Der ArtEduTalk Blog bildete dabei die Basis für die Kommunikation. Dort wurden Blogbeiträge und Fragen als Ausgangspunkt für die Diskussionen im Rahmen der Twittergespräche hineingestellt. Abgesehen davon versuchten wir ein Netzwerk aufzubauen und Leute zu aktivieren, beim ArtEduTalk mitzumachen. Nach einigen ArtEduTalk Formaten hatten wir die Idee, Expert*innen einzuladen. Diese mussten kontaktiert und gebrieft werden. Darüber hinaus bewarben wir die jeweils kommenden Gespräche auch selbst. Dazu nutzten wir alle Möglichkeiten und Kanäle, die die sozialen Netzwerke zur Kommunikation bieten.

Darum ging es uns in erster Linie: die Leute auf ArtEduTalk aufmerksam zu machen und sie zum Mitmachen zu bewegen. Das hat nicht immer so funktioniert, wie wir es geplant hatten. Es hat sich herausgestellt, dass die Szene der Kunstvermittler*innen offensichtlich nicht so sehr daran interessiert ist, auf Twitter aktiv zu sein. Es gibt hingegen viele Bibliothekar*innen, die beim Bibchat mitmachen. Ebenso scheinen viele Lehrpersonen den Austausch auf Twitter über beispielsweise den EdChat positiv anzunehmen.

Wir hatten die Vorstellung, dass sich auch eine Community von Kunstvermittler*innen langsam, aber sicher zusammenfinden würde. Aber für uns ergab sich dann der Eindruck, dass nicht so viel Interesse vorhanden war. Eine Ursache dafür könnte sein, dass Kunstvermittler*innen ihre Social-Media-Kanäle eher privat dazu verwenden, ihre eigenen Befindlichkeiten darzustellen. Sie sehen den digitalen Raum nicht primär als Instrument der persönlichen Fortbildung oder als etwas, wo sie sagen würden: „Ja, wir nehmen jetzt an einem Projekt teil, in das wir auch unsere Expertise hineingeben.“

Für welche Zielgruppe war der ArtEduTalk also primär ausgerichtet?

 

Ganz klar, in erster Linie für Kunstvermittler*innen. Wir haben aber auch Themen angesprochen, die man zunächst nicht mit dem Bereich der Kunstvermittlung in Verbindung bringen würde, wie beispielsweise App-Entwicklung oder Gaming. Wir haben gedacht, dass es toll wäre, wenn beispielsweise App-Entwickler*innen an dem ArtEduTalk teilnehmen würden. Rückblickend hätten wir allerdings mehr solche Personen gezielt zur Teilnahme motivieren müssen. Denn es hat sich herausgestellt, dass sich – um beim Beispiel zu bleiben – App-Entwickler*innen von Kunstvermittlung, um die es in erster Linie ging, nicht so angesprochen gefühlt haben. Hier bildete sich eine Lücke, die nicht geschlossen werden konnte. Das war schade, denn App-Entwicklung ist in der Kunstvermittlung ein wesentliches Thema, und Kunstvermittler*innen bringen oftmals nicht die technischen Fertigkeiten und das Verständnis für bestimmte Vorgänge mit, die im digitalen Bereich eine Rolle spielen. Deshalb war die Idee, Expert*innen für den digitalen Raum und Kunstvermittler*innen zusammenzubringen, die zum Wohle beider Seiten gut miteinander arbeiten könnten.

Insofern war der ArtEduTalk nicht nur für Kunstvermittler*innen gedacht, sondern als Netzwerk zwischen vielen anderen Disziplinen. Aber durch das Label ArtEduTalk war klar, dass es in erster Linie um Kunstvermittlung geht. Deshalb haben sich sicher manche Personen nicht angesprochen gefühlt, die vielleicht gut reingepasst hätten.

Wie konnten sich Menschen am ArtEduTalk beteiligen? Wie wurden sie miteinbezogen?

 

Ganz simpel über die Antworten, die sie zu den Fragen gaben, die wir zuvor auf Twitter gepostet hatten. Die Idee, den ArtEduTalk durch mehrere gestalten zu lassen, erschien uns von Anfang an charmant, leider gab es nicht ganz so viel Beteiligung, wie wir gerne gehabt hätten. Wir wollten die Teilnehmer*innen auch bereits in die Themenfindung einbeziehen. Beim BibChat stimmen die Mitdiskutant*innen beispielsweise immer über die Themen ab, die beim nächsten Mal besprochen werden sollen. Das haben wir auf diese Weise nicht getan. Aber wir haben schon kommuniziert: „Wir haben Folgendes vor und ihr könnt euch gerne melden, falls ihr dazu etwas sagen wollt.“ Also diese Offenheit bestand. Zudem hatten wir bei einigen Terminen Expert*innen, die ihre Fragen einreichten.

Wir hatten außerdem die Idee, den ArtEduTalk ins Englische zu übersetzen, weil die Art-Education-Szene im angelsächsischen Raum sehr viel größer ist als im deutschsprachigen Raum. Auch dazu verfassten wir einen Tweet.

Aber in der Regel blieb es in erster Linie bei den Antworten, die Interessierte geben konnten, was ja auch das Prinzip dieses Twittertalk-Formates ist. Was Kommentare angeht, haben wir diesen kleinen Raum Twitter schon gefüllt.

Gab es Personen, die nicht am ArtEduTalk teilnehmen konnten, die – gewollt oder ungewollt – davon ausgeschlossen waren?

 

Leute, die nicht auf Twitter sind, waren davon ausgeschlossen. Ganz klar. Es wäre eine Option gewesen, den ArtEduTalk auf eine weitere Plattform zu erweitern, etwa auf Instagram. Als wir ihn begonnen haben, war Instagram jedoch noch keine passende Option, da wir zu dieser Zeit dort noch zu wenig aktiv waren. Der Zugang war an die Plattform gebunden, wo dieses Format stattfand.

Abgesehen davon war der ArtEduTalk eine super barrierefreie Geschichte. Wir ermöglichten allen Zugang zu Fortbildung oder Diskussion. – Beispielsweise auch Menschen, die nicht so mobil waren und im analogen Raum nicht die Möglichkeit gehabt hätten teilzuhaben. Die Bedingung war allerdings, auf Twitter zu sein und den Kanal zu verstehen.

Meine nächste Frage an dich passt zur Barrierefreiheit, die du gerade angesprochen hast. Glaubst du, dass wir das Projekt so kommuniziert haben, dass wir möglichst diverse Personen erreicht haben?

 

Hier wäre vielleicht der Schritt notwendig gewesen, den ArtEduTalk internationaler anzulegen. Wenn ich konkret zu Vielfalt überlege, hätten wir sicher mehr Themen ansprechen müssen, die Diversität fördern oder dafür sensibilisieren. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn wir dazu einmal gezielt eine Aktion gemacht hätten, um Leute einzubinden, die aus unterschiedlichen Kulturzusammenhängen kommen. Das wäre etwas, das ich heute vielleicht anders machen würde. Bei Twitter ist das Phänomen der Filterblasen sehr groß.

Primär waren es Fachleute, die unter sich kommunizierten. Der ArtEduTalk verfolgte ja nicht den Zweck, Diskurse mit dem Publikum aufzunehmen. Dazu hätten wir nochmal ganz andere Fragen für unsere Talks entwickeln müssen.

Welche Räume entstanden für das Projekt ArtEduTalk?

 

Es entstand beispielsweise eine sehr nette, nicht öffentliche Facebook-Gruppe. Wir nutzten diesen Social-Media-Kanal als unseren Arbeitsraum. Dort haben wir uns ausgetauscht, Ideen entwickelt und uns auf bevorstehende Ereignisse vorbereitet. Dann gab es die Website bzw. den Blog, auf den die Beiträge zu den einzelnen Talks gestellt wurden und auf dem vor allem die Dokumentation stattgefunden hat. Daneben gab es noch den Twitter-Raum.

Würdest du sagen, dass diese Räume ähnlich einem Experimentierraum waren?

 

Der Charakter eines Experimentierraums war am ehesten auf Twitter zu erkennen, weil dort dieses Fluide stattfand. Wir nummerierten bestimmte Fragen durch. Dazu kamen die Antworten. So entstanden einzelne Stränge. Ich fand es immer sehr spannend zu beobachten, wie ausgehend von einer Frage kleine Unterhaltungen zwischen zwei Leuten entstanden. Wir hatten immer ein bisschen Stress, alles nachzuverfolgen, weil nicht immer konsequent durchnummeriert wurde. Mittlerweile hat man ja die Routine der Threads, also der Twitter-Kommunikationsstränge, ganz anders im Blick. Das war damals nicht so im Bewusstsein. Es verändert sich eben auch in den Kommunikationsroutinen jeweils etwas. Der Blog war relativ statisch. Wir haben vorgelegt und dokumentiert. Interaktiv passierte da nichts.

In Richtung Community-Zusammenschließung und Community-Management hätten wir das Projekt auch besser ausbauen können. In dieser Hinsicht könnte es als eine Art Experimentierraum fungieren. So könnte ich mir für zukünftige Formate als Experiment vorstellen, so etwas wie einen ArtEduTalk-Club zu formieren. Auch dass aus einem Format heraus über verschiedene Plattformen hinweg oder transmedial, ein Netzwerk entsteht, das mehrere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und -pflege bietet, sozusagen über die Twitter-Gespräche hinaus. Im Rahmen von ArtEduTalk haben wir festgestellt, dass am Ende, obwohl wir sehr viel Energie hineingesteckt hatten, nicht eine wirklich enge, feste Community entstanden war. Da hätte man noch mehr daran arbeiten müssen und vielleicht wissen müssen, was es dafür noch braucht. Eine dringliche Frage ist, was die Leute dazu bringt, sich verpflichtet zu fühlen, unter der Woche um 20 Uhr am Start zu sein.

Wurden spezifische Vermittlungsmethoden beim Projekt ArtEduTalk eingesetzt?

 

Ja. Wir hatten ein paar Kreativitätsmethoden. Vor allem in den ersten Runden gab es Assoziationsspielchen. Diese haben wir sehr bewusst eingesetzt. Sie entstammten alle unserem großen Repertoire an Kulturvermittlungsmethoden und kamen immer ganz gut an. Das war etwas, das man sicherlich noch intensiver einsetzen hätte können, um leichter in die Kommunikation reinzukommen.

Du hast vorhin bereits unsere nicht öffentliche Facebook-Gruppe für die Organisation angesprochen. Kannst du für unsere Leser*innen unsere Arbeitsweise im Rahmen des ArtEduTalks darlegen?

 

Eigentlich waren die Organisation und die Vernetzung genial. Ich sitze in Frechen bei Köln und du sitzt in Salzburg. Wir kannten uns nur virtuell. Wir haben eine ähnliche Arbeitsweise und deswegen sind wir strukturell auch nicht so streng vorgegangen. Wir haben uns auf Zoom getroffen, haben uns E-Mails geschrieben und relativ viel in die Facebook-Gruppe gepostet. Da funktionierte es ganz gut, dass jemand eine Frage gepostet hat und darunter ein Thread an Antworten entstanden ist. Oder dass man einen Entwurf für Fragen oder Bausteine für einen Blogbeitrag hineingesetzt hat. Es existieren sehr viele Kollaborationstools im Netz und ich glaube, wir hatten ganz am Anfang auch Google-Docs ausprobiert. Ich fand aber Facebook ganz gut, weil man da sowieso immer eingeloggt ist. Es gab beispielsweise auch Situationen, in denen wir unmittelbar vor dem Start ArtEduTalks über den Facebook-Messenger Kontakt aufnahmen, oder die Facebook-Gruppe um Rat fragten, weil etwas nicht funktionierte.

Was denkst du grundsätzlich zu Kommunikations- und Vermittlungsmöglichkeiten im digitalen Raum? Wo sind Potenziale und wo sind Schwächen?

 

Potenzial ist ganz viel da, das aber noch nicht genügend ausgeschöpft wird. Ich glaube, dass Vermittlung im digitalen Raum genauso möglich ist wie im analogen – nur teilweise anders. Wir haben Methoden aus unserem Vermittlungsrepertoire genutzt, um den ArtEduTalk ein bisschen zu befeuern und aufzulockern. Das hat super funktioniert. Es gibt also Methoden aus dem Analogen, die man eins zu eins für das Digitale übernehmen kann. Wunderbar funktionieren zum Beispiel Kreativitätsmethoden und Anleitungen zur Kunstbetrachtung. Im digitalen Raum ist sehr wichtig, einen Überblick zu behalten, wer wann mitmacht und wen man wie erreichen kann. Zudem hat jeder digitale Raum seine spezifische Sprache. Auch in dieser Hinsicht braucht es jeweils eine Anpassung.

Ich glaube, es ist noch längst nicht so, dass man sagen kann: „Wir haben jetzt alles erprobt, und wir wissen, die Dinge im digitalen Raum funktionieren so und so.“ Wir sind noch gar nicht in der Evaluationsphase. Es ist jetzt die Zeit des Experimentierens und Daraus-Lernens. Je mehr Räume sich öffnen, desto besser. Ich bin aber wirklich zutiefst der Überzeugung, dass man sehr viel mehr machen kann, wenn man eine bestimmte Community hat, als wenn man aus dem Off kommt, eine Methode oder irgendetwas ausprobieren will und die Leute alle sagen: „Ja, wer bist denn du? Stell dich doch zuerst mal vor.“ Insofern hat Vermittlung im digitalen Raum sehr viel mit Community, Kommunikationsroutinen und mit der Frage zu tun, wie man da elegant hineinkommt.

Es gibt zwei Begriffe, die beim Thema Vermittlung im digitalen Raum präsent sind. Kulturvermittlung im digitalen Raum und digitale Kulturvermittlung. Was sagst du zu diesen beiden Begrifflichkeiten?

 

Das ist ein ganz entscheidender Punkt, weil das zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Der digitale Raum, das sind für mich erstmal soziale Netzwerke. Also Twitter ist ein digitaler Raum, Facebook, Instagram, aber natürlich auch die Blogosphäre. Man kann auch sagen, dass Newsletter und E-Mailmarketing digitale Räume sind. Die technischen Dinge und Anwendungen sind nur Mittel zum Zweck. Im Gegensatz zu digitaler Kulturvermittlung, wo sozusagen das Digitale im Dienste der Vermittlung steht, sind digitale Räume per se nicht im Hinblick auf Vermittlung gestaltet. Daher muss dann auch jeweils überlegt werden, welche Bedingungen und Voraussetzungen der digitale Raum, die Nutzer*innen und die Vermittler*innen jeweils haben und wie die User Experience, also das Erlebnis der Nutzer*innen, aussieht.

Der digitale Raum muss anders als der analoge Raum erfasst werden, auch mit dem Zuhören und dem Wissen, wo welche Communitys und Gruppen sind. Es ist wichtig, der Frage nachzugehen: „Wo sind welche Gespräche, in die man sich einbringen kann oder sollte?“ Das ist etwas, das oftmals vernachlässigt wird: die Interaktion und die Art und Weise, wie beispielsweise eine Institution auf Tweets reagiert, oder wie sie überhaupt ein Angebot macht, um mit den Leuten zu sprechen.

Mit der Digitalisierung hat sich auch die Kommunikation immens verändert. Es funktioniert einfach nicht mehr, wenn man ausschließlich angebotsgetrieben agiert. Ein ‚Fail‘ wäre, die für die Besucher*innen relevanten Themen und deren Fragen im Netz nicht zu kennen oder nicht zu wissen, was von einem erwartet wird. Manches ist im digitalen Raum sehr viel anstrengender, weil man sich richtig hineinbegeben muss. Mein Leitsatz ist: „Man kann keine Inhalte für ein Medium produzieren, das man selbst nicht benutzt und genau kennt.“

Wenn man im digitalen Raum arbeitet, kommt immer wieder die gängige Einstellung zum Vorschein: „Hast du eigentlich keine anderen Hobbys?“ Aber sich im digitalen Raum aufzuhalten, ist eine professionelle Haltung. Genauso wie sich analoge Kunstvermittlung darin auskennen muss, was beispielsweise Spezifika von Führungen für Menschen mit Behinderung angeht, so muss auch jemand, die*der im digitalen Raum Vermittlung betreiben will, über die entsprechenden Bedürfnisse, Kommunikationsroutinen, Aufmerksamkeitsspannen etc. Bescheid wissen.

Die digitale Vermittlung beschäftigt sich vor allem mit Tools, Technik und Anwendungen. Da gibt es ein breites Feld bis hin zu Virtual und Augmented Reality. Hier kann man natürlich auch überlegen, welche Methoden man einsetzt, wie man sie anpasst und was man aus dem analogen Bereich übernehmen kann. Dieses digitale Vermittlungsangebot wird aus verschiedenen Ecken gespeist. Ähnlich der Entwicklung einer Software.

Hat es im Projekt ArtEduTalk einen Bezug oder Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Themen gegeben? Sind sie in irgendeiner Form aufgegriffen worden?

 

Wir haben uns schon sehr in der eigenen Suppe der Kunstvermittlung gedreht, wo es in erster Linie um die Frage ging, welche kunstvermittlerischen Entwicklungen man beachten sollte. Wie gesagt, waren Gamification und das Erreichen junger Leute ganz wesentliche Punkte, die vielleicht am ehesten zu deiner Frage der gesellschaftlichen Relevanz passen.

Ich glaube, das ist generell eine Entwicklung, die langsam, aber sicher eine Rolle für uns Akteur*innen in der Kulturbranche spielen wird. Wir haben uns immer sehr stark um uns selbst und um die Frage gedreht, wie wir unser Mangeldenken überwinden können. Es ist ja immer zu wenig Geld da. Es gibt immer zu wenig Support. Das begünstigt eine Haltung, die nicht über den eigenen Tellerrand hinausgeht.

Das will ich jetzt für uns konkret im Projekt gar nicht so sehr in Anspruch nehmen, aber wir haben in erster Linie eben kunstvermittlerische Themen besprochen. Aber ich halte es für einen ganz wesentlichen Punkt, dass man immer überlegt, wie man mit dem, was man vermittelt an Lebenswelten der Menschen oder an Dingen, die die Gesellschaft betreffen anschlussfähig ist.

Unsere Mission ist insofern mit einem gesellschaftlichen Anspruch einhergegangen, als wir sagten, dass im Netz aus bestimmten Gründen Kultur stattfinden solle. Mein Anspruch ist nach wie vor, sehr viel Kunst und Kultur ins Netz ‚hineinzubringen‘, es sozusagen am liebsten damit zu überfluten, damit die Kunst in diese Lebenswelt Eingang findet. Plattformen im Internet haben sich ja mittlerweile zu eigenständigen Lebenswelten entwickelt.

Man kann nicht mehr behaupten, dass es einzelne Nerds sind, die im Netz unterwegs sind. Digitale Plattformen sind Teil unseres Lebens und unserer Gesellschaft. Wir wissen alle, dass Kunst und Kultur einen ganz wesentlichen Beitrag für den gesellschaftlichen Diskurs leisten können. Im Hinblick auf Themen wie Diversität und gesellschaftliche Segregation beispielsweise können wir über digitale Plattformen viele Personen erreichen und Hürden überwinden, die in der analogen Welt noch bestehen.

Herzlichen Dank für das Interview.