Grada Kilombas Videoinstallation „While I Write“

Warum es notwendig ist, über alternative und dekolonisierende Formen und Formate der Wissensproduktion nachzudenken

Die Angst vor dem Sprechen und Schreiben als objektiviertes Subjekt und die Notwendigkeit, diese Angst zu überwinden, um zu sich selbst zu finden und sich Gehör und Sichtbarkeit zu verschaffen, drückt Kilomba in ihrer Videoinstallation „WHILE I WRITE“ aus. Einzelne Sätze oder Teile eines Satzes, weiß auf schwarz, werden eingeblendet, vergrößern sich, verschwinden wieder und werden abgelöst vom nächsten Satzteil. Im Hintergrund nimmt man Hintergrundstimmen wahr, die nicht verständlich sind, und kurz darauf Klopfgeräusche. Erst zögerlich, langsam stärker werdend. Bis die Geräusche schließlich zu einem rhythmisch erklingenden Klopfen werden.

Die Auswahl der Farben, weiß auf schwarz, steht meiner Meinung nach symbolisch für die weiße Macht, die ihre Spuren auf schwarzen Körpern hinterlässt, die sich in schwarze Körper macht- und gewaltvoll einschreibt. Schwarz auf weiß wäre zu einfach, da es die Tatsache negieren würde, dass wir alle Teil der uns umgebenden Machtverhältnisse sind und diese nicht so einfach umdrehen können. Zugleich wird durch die Videoinstallation verdeutlicht, dass wir trotz dieser eigenen Verstricktheit in die Machtverhältnisse, die Möglichkeit besitzen, diese ­ wenn auch nur ein klein wenig ­ zu verschieben. Unsere Worte, unser Ausdruck hinterlassen Spuren, werden sichtbar, schreiben sich in den dominanten Diskurs ein und können diesen verschieben. Denn Worte schaffen Realität.

Zuerst hat das lyrische Ich der Videoinstallation Angst vor dem Schreiben, weil es den kolonialen Zuschreibungen nicht entkommt, weil das eigene Wissen in diesem kolonialen System nicht gesehen wird, nicht anerkannt wird, sondern vielmehr entwertet. Das lyrische Ich stellt sich folglich die Frage, warum überhaupt schreiben? Weil es muss. Weil es als Teil einer Geschichte, der Schweigen auferlegt wurde, einer Geschichte voller gequälter Stimmen, zerrissener Sprachen, aufgezwungener Redensarten, schreiben muss, um sich selbst zu finden. Um ‑ bildlich gesprochen ‑ Zugang zu den einen umgebenden weißen Räumen zu bekommen, in die es kaum Eintritt findet. Weil es sich dadurch der Objektifizierung entziehen kann und wieder zum Subjekt werden kann, weil es dadurch die Definitionsmacht über die eigene Geschichte zurückgewinnen kann. Einhergehend mit der geschilderten Selbstwerdung, der Selbstermächtigung und Aneignung der eigenen Geschichte durch das Schreiben werden die Klopfgeräusche stärker und stärker, aber immer noch nicht wahrgenommen. Bis im Schlussteil die Hintergrundstimmen gänzlich verstummen und nur noch das rhythmische Klopfen zu vernehmen ist. Die akustische Begleitung des Geschriebenen verstärkt dessen Wirkung. Anfangs das zaghafte Klopfen und das Nicht-gehört-Werden, langsam aber stetig das stärker und rhythmischer werdende Klopfen, welches immer noch nicht wahrgenommen wird, schlussendlich nur noch das eigene rhythmische Klopfen als Ausdruck des eigenen Selbst oder wie es das lyrische Ich in der Videoinstallation formuliert:

„I become the absolute opposition of what the colonial project has determined. I become me.” star (*4)

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Andrae, Agnes: „Interview mit Grada Kilomba. Wissen sollte gefühlt werden“. In: Hinterland Magazin. Nr. 31/2016. S.75-78. Online unter: http://www.hinterland-magazin.de/pdf/31-75.pdf (Stand: 25.07.16).

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Friess, Delia: “Interview mit Grada Kilomba. Es geht um Bilder und die Macht von Bildern“. In: Migazin. 01.07.2016. Online unter: http://www.migazin.de/2016/07/01/interview-grada-kilomba-es-bilder/ (Stand: 25.07.2016).

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Kilomba, Grada: “Decolonizing Knowledge, Performing Knowledge”. Online unter: http://gradakilomba.com/projects/cropped-grada-kilomba-conakry113-jpg/ (Stand: 25.07.16).

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Kilomba, Grada: „WHILE I WRITE“. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=UKUaOwfmA9w (Stand: 25.07.16).

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Mayrhauser, Anna: „Interview mit Grada Kilomba: Wenn Diskurs persönlich wird“. In: Missy Magazine. 22.04.16. Online unter: https://missy-magazine.de/2016/04/22/grada-kilomba-wenn-diskurs-persoenlich-wird/ (Stand: 25.07.2016).

Grada Kilomba ist eine portugiesische Autorin, Theoretikerin und interdisziplinäre Künstlerin, die derzeit in Berlin lebt. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit den Themenfeldern Erinnerung, Trauma, ‚race‘ und ‚gender‘. Ihre Arbeiten wurden in mehrere Sprachen übersetzt, in internationalen Anthologien veröffentlicht sowie auf internationaler Ebene aufgeführt. Sie bedient sich einer Vielfalt an Formaten, von gedruckten Publikationen über Lesungen auf der Bühne bis hin zu Performances, wobei sie einen hybriden Raum kreiert, in dem die Grenzen zwischen der akademischen und künstlerischen Sprache verschwimmen. Diese Vorgehensweise bezeichnet Kilomba als „Performing Knowledge“.
Sie hat an mehreren internationalen Universitäten Vorträge gehalten und war zuletzt Professorin für Gender Studies und Post-colonial Studies an der Humboldt-Universität Berlin.
Siehe: http://gradakilomba.com/

Veronika Aqra ( 2016): Grada Kilombas Videoinstallation „While I Write“. Warum es notwendig ist, über alternative und dekolonisierende Formen und Formate der Wissensproduktion nachzudenken . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/grada-kilombas-videoinstallation-while-i-write/