Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
In diesem Beitrag stelle ich das Tskaltubo Lab For Urgent Questions zur Diskussion, das seit 2013 jedes Jahr für knapp einen Monat im westgeorgischen Dorf Tskaltubo stattfindet. Das Lab lässt sich als ein partnerschaftliches Kunstprojekt von aus der Schweiz und aus Deutschland stammenden Mitgliedern des Kollektivs neue Dringlichkeit (nD) und jungen lokalen Menschen beschreiben. Grob umrissen handelt es sich um einen Raum, in dem sich die Beteiligten mit „Dringlichkeiten“, die sich ihnen in Tskaltubo stellen, beschäftigen. Es ist ein temporärer Ort für Austausch, für künstlerische und kulturelle Produktion, ein Treffpunkt und Hang-Out.
Partizipative Kunst und die Ambivalenz von „togetherness“
Im Sinne des Themas der vorliegenden Ausgabe von p/art/icipate kann das Lab als ein partizipatives Kunstprojekt betrachtet werden, ein Projekt also, das sich durch Beteiligung und Interaktion realisiert. Dabei will ich jedoch zu bedenken geben, dass der Begriff der partizipativen Kunst für die Beteiligten aus Tskaltubo (Jugendliche zwischen etwa 14 und Anfang 20) kaum eine Aussagekraft besitzt und dass er bei den Mitgliedern von neue Dringlichkeit (Kunstschaffende zwischen 20 und 30)*1 *(1) eher auf Ablehnung stößt.
Diese Ablehnung lässt sich auf die seit einigen Jahren zu verzeichnende Kritik im Kunstdiskurs an Partizipation als künstlerische Strategie zurückführen.
In der Nachwirkung von Nicolas Bourriauds Publikation Esthetique relationelle (1998), (*3) die Teilnahme und Interaktion als zentrale Paradigmen der zeitgenössischen Kunst beschrieben hatte und die spätestens mit der englischen Übersetzung (Relational Aestethics, 2002) einen diskursprägenden Status erhielt, nahmen Kritiker und Kritikerinnen das mit Partizipation verbundene Versprechen einer Demokratisierung ins Visier. Dabei wurde insbesondere der zu kurz gefasste Demokratieentwurf im Feld partizipativer Kunstprojekte kritisiert. Wie Claire Bishop in ihrem viel beachteten Aufsatz Antagonism and Relational Aesthetics (2004) herausstrich, würden die meisten Projekte viel mehr den Eindruck von idyllischer „togetherness“ (Bishop 2004: 57) (*1)*2 *(2) produzieren, anstatt dass sie die komplexen und antagonistischen Dynamiken von demokratischer Organisation zu fördern respektive zu exponieren versuchten. Es wurde zudem der Vorbehalt in den Raum gestellt, dass sich hinter dieser Idylle alles andere als demokratische Strukturen fänden und dass die Beteiligten der meisten partizipativen Kunstprojekte gar nicht als mitbestimmende und gleichberechtigte Subjekte agierten, sondern sich viel mehr als Personal in einen vorbestimmten Projektverlauf einzufügen hätten (vgl. beispielsweise: Kester 2004; (*5) Bishop 2006; (*2) Terkessidis 2015 (*9)).
Es kommt zu dem, was Claire Bishop 2006 als „ethical turn“ (Bishop 2006: 180) (*2) in der Kunstkritik und -Rezeption beschreibt. Allgemein formuliert, gründet die ethische Perspektive in einer Skepsis, wonach Kunstschaffende oftmals nur eine Scheinpartizipation ermöglichen, eigentlich aber mit mehr oder minder ersichtlich autoritärem Stil ihre Ideen umsetzen, für deren Realisierung sie auf andere – meist kunstferne – Menschen angewiesen sind. Partizipative Kunst entpuppt sich in diesem Fall als eine vom Eindruck idyllischer „togetherness“ kaschierte künstlerische Reproduktion von Machtpraktiken.
Diese Skepsis drängt sich im Falle des Tskaltubo Lab for Urgent Questions deshalb auf, weil es sich hier um ein Projekt mit Beteiligten mit sehr verschiedenen Voraussetzungen handelt.
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/