The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich
Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.
Das dialogische Kunstprojekt „Die ganze Welt in Zürich. Konkrete Interventionen in die Schweizer Migrationspolitik“ zielte darauf ab, mit den Mitteln der Kunst die politische Machbarkeit konkreter Vorschläge einer StadtbürgerInnenschaft (Urban Citzenship) für Zürich auszuloten, diese Vorschläge hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit in Zürich zu überprüfen und öffentlich vorzuschlagen. Zudem schuf es einen Ort, an dem über Sachzwänge hinaus, im Sinne einer sozialen Utopie gemeinsam nachgedacht, verhandelt und politisch agiert werden konnte. Das Projekt wurde im Rahmen des Programms der Shedhalle Zürich von mir in der Funktion als künstlerische Leiterin gemeinsam mit dem Künstler Martin Krenn initiiert und in Zusammenarbeit mit einer transdisziplinär besetzten Arbeitsgruppe umgesetzt. Ein künstlerisch angelegtes Projekt sollte als Intervention in die politischen Verhältnisse und Normalitäten wirksam werden. Zürich sollte zum „sicheren Hafen“ werden: für alle, die in dieser Stadt leben und für alle, die noch dorthin kommen. Die Arbeitsgruppe erarbeitete in nicht-öffentlichen Gesprächen mit EntscheidungsträgerInnen und anderen Involvierten konkrete Projekte zu drei Aspekten von städtischer Citizenship: Aufenthaltsfreiheit, Diskriminierungsfreiheit und Gestaltungsfreiheit. Im Rahmen von drei öffentlichen Hafen-Foren diskutierten lokale und internationale AkteurInnen das Potential von StadtbürgerInnenschaft für die Stadt Zürich. Urban Citizenship wurde so zu einem Thema in der Stadt Zürich.
Der Eisberg im Zürichsee
Spätherbst 2014, am Ufer des Zürichsees. Für das kommende Jahr sind Wahlen angekündigt. Wahlen, die ein weiteres Mal entlang des Themas „Migration“ entschieden werden würden, und ein weiteres Mal unter Ausschluss jener 25 Prozent der Bevölkerung, die in der Schweiz keine Bürgerrechte und somit auch kein Wahlrecht genießen, stattfinden würden. Kann die Schweiz unter diesen Umständen noch eine Demokratie genannt werden? Im Rahmen der so genannten „Bewegung“ (einer Assemblage urbaner sozialer Kämpfe der 1980er Jahre in Zürich) hatte sich als ikonographisches Erkennungsmerkmal für die verhärteten Schweizer Zustände ein Bild herauskristallisiert: die Stadt einschließendes und den See abdichtendes „Packeis“. Die „Bewegung“ wurde später „Züri brännt“ genannt. Gab es dieses Packeis noch, oder seine Reste als im Zürichsee schwimmende Eisberge? Und was konnte sie zum Schmelzen bringen? Am Rande des Zürichsees steht die Shedhalle Zürich. Auch ihre weißen Räume sind aus den Kämpfen der „Bewegung“ hervorgegangen: Konnte dort, 23 Jahre später, noch genügend Hitze entstehen, um den Eisberg abzuschmelzen? War es also möglich, die Geschichte der Shedhalle – als einen der Gründungsorte von interventionsorientierter künstlerischer Praxis im deutschsprachigen Raum – zu aktualisieren und in der aktuellen politische Situation in der Schweiz ins Spiel zu bringen?
Wie eingangs beschrieben, sind ein Viertel aller BewohnerInnen der Schweiz von politischer und rechtlicher Mitbestimmung ausgeschlossen, weil sie keinen Schweizer Pass besitzen. Vielen von ihnen wird auch der Zugang zu sozialen Dienstleistungen, zu Bildung, Arbeitsplätzen, öffentlichen Institutionen und anderen Räumen erschwert. Über Migration wird nach wie vor als Problem gesprochen und über zahlreiche MigrantInnen als angebliche Konfliktquelle Bescheid gewusst, während sie aus Entscheidungspositionen immer noch strukturell ausgeschlossen bleiben. Zahlreiche Initiativen haben in den letzten Jahren versucht, mehr Bürgerrechte zu erstreiten, scheiterten damit aber an den Urnen verschiedener Schweizer Städte und Kantone.
Katharina Morawek ( 2016): The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich. Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/the-whole-world-in-zurich-die-ganze-welt-in-zurich/