Salzburg – München – Zürich

Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen

Einleitung

Im Rahmen der Lehrveranstaltung Making Art ‑ Taking Part! Kritische kulturelle Produktion und Vermittlung (Leitung: Elke Zobl) setzten sich die drei Studentinnen Veronika Aqra, Verena Höller und Stefanie Niesner im Sommersemester 2016 mit der Frage nach der Bedeutung künstlerischer Interventionen für die Herstellung von Öffentlichkeit(en) auseinander. Die Lehrveranstaltung war an das zweijährige Forschungsprojekt Making Art ‑ Taking Part! Künstlerische Interventionen von und mit Jugendlichen zur Herstellung partizipativer Öffentlichkeiten gekoppelt, im Zuge dessen in Zusammenarbeit mit Schüler*innen, Lehrer*innen und Künstler*innen der NMS Liefering (Stadt Salzburg) und dem BORG Mittersill (Land Salzburg) künstlerische Interventionen entwickelt und umgesetzt wurden. Die im Folgenden von uns Studentinnen jeweils erarbeiteten Fallstudien spiegeln die Diversität künstlerischer Interventionen wider, gehen teils von völlig verschiedenen Ansatzpunkten aus, haben jedoch trotzdem einige Aspekte gemein. Die hier vorgestellten Projekte verdeutlichen die Vielfalt und Komplexität künstlerischer Interventionen. Ein besonderer Schwerpunkt wurde hierbei auf den Aspekt der Partizipationsmöglichkeit gelegt, der kulturellen und künstlerischen Interventionen innewohnt. Gemeinsam ist ihnen dabei vor allem das aktivierende oder aktivistische Moment:

„Im Gegensatz zur Kunst im öffentlichen Raum agieren diese künstlerischen Interventionen häufig außerhalb legaler, staatlicher oder institutioneller Absicherung. Sie verknüpfen kulturelle mit politischen Strategien, indem sie künstlerische Praxen aus dem Kunstfeld heraus in ein anderes ‚Feld’ überführen bzw. dazwischentreten und eingreifen. Sie können so Perspektiven aufzeigen und Veränderungen initiieren.” (von Borries et. al 2012: 100)star (*1)

Als wichtige Charakteristika künstlerischer Interventionen gelten demnach: das gesellschaftskritische Moment, das Eingreifen in den Status Quo, das Aufzeigen von Versäumnissen und das Anregen von Veränderungen. Die folgenden Projekte zeigen unter anderem, was künstlerische Interventionen in dieser Hinsicht leisten können und was nicht.

Verena Höller untersucht in ihrer Fallstudie, wie künstlerische Interventionen den Fokus auf die Versäumnisse offizieller Gedächtnispolitik und der Salzburger Erinnerungskultur in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit lenken können und so einen längst überfälligen Diskurs, z. B. über den Umgang mit Relikten und Artefakten aus dem Nationalsozialismus im Stadtraum von Salzburg, initiieren können.

Veronika Aqra arbeitet in ihrer Fallstudie heraus, wie das kritische Kartierungsprojekt mapping.postkolonial.net der Münchner Initiative [muc] münchen postkolonial in die Wahrnehmung des öffentlichen Raums interveniert, indem es sich auf post/koloniale Spurensuche im Münchner Stadtraum begibt und illustriert, dass sich post/koloniale Spuren und Ablagerungen nach wie vor im öffentlichen Raum finden lassen.

Stefanie Niesner analysiert in ihrer Fallstudie das Projekt Die ganze Welt in Zürich der Shedhalle Zürich. Ausgehend von der Tatsache, dass nahezu einem Viertel der BewohnerInnen Zürichs Mitbestimmungsrechte und Partizipationsmöglichkeiten verwehrt bleiben, weil sie keine Schweizer Staatsbürgerschaft besitzen, setzt sich dieses Projekt mit dem Konzept einer „Urban Citizenship”, also „Stadtbürger*innenschaft”, auseinander.

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von Borries, Friedrich/Wegner, Friederike/Wenzel, Anna-Lena (2012): Ästhetische und politische Interventionen im urbanen Raum. In: Doreen Hartmann, Inga Lemke u. Jessica Nitsche, Hg., Interventionen. Grenzüberschreitungen in Ästhetik, Politik und Ökonomie, München.

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Bahl, Eva/Pfeiffer, Zara S. (2015): mapping.postkolonial.net. Eine Spurensuche an den Rändern der Stadt und ihrer Geschichte. In: In: ZAG. Antirassistische Zeitschrift. 70/2015. S.20-22.

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Mouffe, Chantal (2014): Agonistische Politik und künstlerische Praktiken (Kap. 5). In: Dies.: Agonistik. Die Welt politisch denken. 1. Auf. Berlin: Suhrkamp, S. 145.

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Pfeiffer, Zara S. (2013): GESPENSTER/GE/SCHICHTEN. In: kulturrisse. Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik. 04/2013. Online unter: http://kulturrisse.at/ausgaben/Archiv%20der%20Migration%2C%20jetzt/oppositionen/gespenster-ge-schichten (Stand: 05.07.2016).

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Zimmerer, Jürgen: „Wer A sagt, muss auch N sagen“. In: taz.de. Online unter: http://www.taz.de/!5306461/ (Stand:05.07.2016).

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Zobl, Elke / Reitsamer, Rosa (2014): Intervene! Künstlerische Interventionen. Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04. Online unter: https://www.p-art-icipate.net/intervene-kunstlerische-interventionen/ (Stand: 05.07.2016)

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„Bildlichkeit und Politik“. In: Glossar der Bild-Philosophie. Online unter: http://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildpolitik (Stand: 05.07.2016).

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„Der Genozid an den Herero und Nama“. In. „mapping.postkolonial.net”. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/der-genozid-an-den-herero-und-nama (Stand: 05.07.2016).

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“Swakopmunder Straße”. In: „mapping.postkolonial.net“. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/swakopmunder-strasse (Stand: 05.07.2016).

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Marshall, Thomas H. (1950): Citizenship and Social Class. And Other Essays, Cambridge 1950. In: Smith, Michael Peter/MacQuarie, Michael (Hg.) (2012): Remaking Urban Citizenship. Organizations, Institutions, and the Right to the City, New Brunswick(USA)/London(UK).

Seit 2004 werden von der Stadt Salzburg Stadtspaziergänge angeboten, bei denen man den Spuren bedeutender Salzburgerinnen folgen kann. Nähere Infos unter: https://www.stadt-salzburg.at/internet/leben_in_salzburg/frauen/frauen_stadtspaziergaenge.htm

Vgl. „Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik“, http://www.uni-klu.ac.at/frieden/inhalt/442.htm (20.06.2016).

Vgl. Michael Braun, „Erinnerungskultur“, http://www.kas.de/wf/de/71.7680/ (20.06.2016).

Vgl. http://www.ikufo.de/rueckgabe/intro.html (29.6.2016).

Das Labor k3000 ist eine Plattform für transnationale Netzwerk- und Rechercheprojekte, Ausstellungen, Video und Web-Produktionen.

Die Begriffe Ablagerungen und Spuren kommen in der Selbstbeschreibung des Projektes des Öfteren vor, eben um auf die bis heute andauernde Einschreibung des Kolonialismus in den öffentlichen Raum zu verweisen. Die kolonialen Ablagerungen und Spuren sind auch gegenwärtig noch präsent und keineswegs verschwunden, wie beispielsweise an Streitgesprächen über kolonialrassistische Bezeichnungen in Kinderbüchern, Kolonialstilmöbeln oder der Bezeichnung einer bekannten Supermarktkette, der Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler, deutlich wird. Allein an der öffentlichen Wahrnehmung und einem öffentlichen Diskurs über diese omnipräsenten Ablagerungen und Spuren mangelt es.

Die deutsche Kolonialvergangenheit wird an dieser Stelle gesondert hervorgehoben, da die eigene kolonialistische Verstrickung und Beteiligung in Deutschland nach wie vor gerne ignoriert bzw. minimiert wird. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellt die Debatte um die Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika bzw. heutigen Namibia von 1904 bis 1908 dar. Insbesondere die offizielle Anerkennung des Armenien-Genozids durch den Deutschen Bundestag im Juni 2016 veranschaulicht die Doppelmoral der deutschen Politik. So wichtig die Anerkennung des Armenien-Genozids ist, wirkt sie vom Deutschen Bundestag doch scheinheilig, da eine Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama sowie eine öffentliche Entschuldigung für die damals begangenen Verbrechen nach wie vor ausstehen. Siehe: Jürgen Zimmerer: „Wer A sagt, muss auch N sagen“. In: taz.de. Online unter: http://www.taz.de/!5306461/ (Stand:05.07.2016).

Das Kartierungsprojekt „mapping.postkolonial.net“ beschäftigt sich auch mit den verborgenen Spuren, die an den Genozid an den Herero und Nama im Stadtraum München erinnern. Siehe: „Der Genozid an den Herero und Nama“. In. „mapping.postkolonial.net”. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/der-genozid-an-den-herero-und-nama (Stand: 05.07.2016). Ein Beispiel einer kolonialen Ablagerung ist die Swakopmunder Straße: Swakopmund ist eine Stadt im Westen von Namibia, in der sich zur Zeit der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein Konzentrationslager befand, in dem Herero und Nama unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Siehe: „Swakopmunder Straße”. In: „mapping.postkolonial.net“. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/swakopmunder-strasse (Stand: 05.07.2016).

Rösser, Michael: „Übung 33221a ‚Kein Platz an der Sonne‘ – Deutscher (Post)Kolonialismus in Afrika. Grundzüge, Debatten, Methoden. Online unter: https://elearning.uni-regensburg.de/pluginfile.php/1009147/course/overviewfiles/Semesterplan%20-%20%C3%9Cbung%20Kein%20Platz%20an%20der%20Sonne%20SoSe%202016.pdf?forcedownload=1 (Stand:05.07.2016).

Dabei handelte es sich um eine Volksinitiative mit dem Titel “Gegen Masseneinwanderung”, welche im Jahr 2014 zur Abstimmung gebracht und angenommen wurde. Die Einwanderung soll durch Höchstgrenzen für Ausländer*innen und Asylwerber*innen künftig eingedämmt werden. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis413.html (16.07.2016).

Die Durchsetzungsinitiative (Durchsetzung der „Ausschaffung“ krimineller Ausländer) hingegen sollte eine weitere Verschärfung gegenüber der Masseneinwanderungtinitiative darstellen. Sie wurde 2015 zur Abstimmung gebracht und abgelehnt. Hierbei wurde gefordert, Ausländer*innen, die sich bestimmter Straftaten schuldig gemacht hätten, ohne Ausnahme in das (vermeintliche) Herkunftsland abzuschieben, eine Härtefallregelung per richterlichem Ermessen wäre nicht mehr möglich gewesen. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis433.html (16.07.2016).

Mehr Informationen: http://www.wochenklausur.at/projekte/02p_kurz_dt.htm (02.07.2016).

Beispielsweise die mutigen Statements bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität oder die (zwar gescheiterte) Kampagne für eine Volksabstimmung für das Bedingungslose Grundeinkommen 2016.

Veronika Aqra, Verena Höller, Stefanie Niesner ( 2016): Salzburg – München – Zürich. Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/salzburg-munchen-zurich/