Salzburg – München – Zürich
Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen
Fallstudie 2: München
MAPPING.POSTKOLONIAL.NET – Eine diskursive Intervention in den post/kolonialen öffentlichen Raum
von Veronika Aqra
Das Kartierungsprojekt mapping.postkolonial.net ist ein Teilprojekt der Münchner Initiative [muc] münchen postkolonial. Die Initiative betreibt zum einen eine Homepage, die der historischen und gegenwärtigen Präsenz post/kolonialer Realitäten Sichtbarkeit verleiht, indem dort Publikationen, Veranstaltungsankündigungen und weitere Informationen veröffentlicht werden, die sich mit post/kolonialen Realitäten auseinandersetzen. Zum anderen initiiert und realisiert [muc] münchen postkolonial eigene Projekte, um die weiterhin vermeintlich banale Alltäglichkeit kolonialistischer Weltbilder und post/kolonialer Verhältnisse zu verdeutlichen und folglich reflektier- und verhandelbar zu machen. Neben dem Kartierungsprojekt mapping.postkolonial.net werden auf der Homepage das Ausstellungsprojekt Decolonize München im Münchner Stadtmuseum genannt, das sich mit post/kolonialer Erinnerungskultur in München und anderswo auseinandersetzte, sowie die Realisierung eines postkolonialen Stadtplans von München.
Das Projekt mapping.postkolonial.net ist eine Kooperation der Initiative [muc] münchen postkolonial, des Labor k3000 *8 *(8) und des Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit e.V. Entwickelt und umgesetzt wurde und wird das Projekt von einem interdisziplinären Team, das aus der Sozialanthropologin Eva Bahl, der Politikwissenschaftlerin und Autorin Zara Pfeiffer, dem Historiker Simon Goeke, dem Künstler, Kurator und Dozent Peter Spillmann, dem interactive media developer Michael Vögeli sowie dem Historiker Philip Zölls besteht. Gefördert wurde das Projekt von der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft.
Im Projekt geht es darum, die Präsenz der kolonialen Vergangenheit im Stadtraum München zu verdeutlichen, indem die Spuren des Kolonialismus sicht- und verhandelbar gemacht werden, die sich nach wie vor durch den gesamten Stadtraum ziehen. Gerade weil München auf den ersten Blick keine herausragende Rolle zu Zeiten des Kolonialismus gespielt hat, im Vergleich beispielsweise zur Hafenstadt Hamburg, ist die post/koloniale Spurensuche, auf die man sich durch das Projekt mapping.postkolonial.net begeben kann, so prägnant. Es vermittelt, dass Kolonialismus kein abgeschlossenes Kapitel der europäischen ‑ und auch deutschen*10 *(10) ‑ Vergangenheit darstellt, sondern kolonialistische Weltbilder und post/koloniale Verhältnisse immer noch den öffentlichen Raum prägen. Post/koloniale Ablagerungen und Spuren*9 *(9) lassen sich auch heute z.B. in Form von Straßennamen, historischen Orten oder aktuellen Migrationspolitiken, im öffentlichen Raum finden ‑ und das an vielen Orten Deutschlands. Das Projekt mapping.postkolonial.net visualisiert und diskursiviert die post/kolonialen Verschränkungen von Geschichte und Gegenwart durch eine konkrete Verortung und Sichtbarmachung am Beispiel Münchens.
Konkret bietet das Kartierungsprojekt drei verschiedene Zugänge, um sich mit dem post/kolonial geprägten Stadtraum Münchens auseinanderzusetzen:
Zum Ersten findet man auf der Homepage von mapping.postkolonial.net eine interaktive Karte von München, mittels derer man die Spuren der kolonialen Vergangenheit und post/kolonialen Gegenwart Münchens erkunden sowie verborgene Geschichten und theoretische Zusammenhänge aufdecken kann. Es handelt sich hierbei nicht um eine Stadtkarte Münchens im herkömmlichen Sinne, sondern um eine kritische künstlerische Kartierung des Münchner Stadtraums. Durch diese Herangehensweise wird dekonstruiert, was in gängigen Stadtplänen und Reiseführern abgebildet und geschildert wird und welche Ausschlüsse durch diese (re-)produziert werden. Denn für eine Auseinandersetzung mit post/kolonialen Einschreibungen in den Stadtraum ist der Begriff „Bildpolitik“ von zentraler Bedeutung. Mit diesem wird auf die enge Verbindung von Bildlichkeit und Politik hingewiesen, da gesellschaftliche Machtverhältnisse stets durch visuelle Medien reproduziert werden. Zugleich wird durch diese Verknüpfung von Bildlichkeit und Politik bzw. Macht das Spannungsfeld zwischen öffentlicher Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit deutlich. Wer die Macht hat, ist öffentlich sichtbar bzw. bestimmt, was sichtbar gemacht wird. Wer keine Macht hat, ist zur Unsichtbarkeit verdammt (Vgl. „Bildlichkeit und Politik“). (*7) Bahl und Pfeiffer fassen diesen Umstand und die von „mapping.postkolonial.net“ verfolgte Intention, diesen aufzubrechen, mit den folgenden Worten zusammen:
„Diese Unsichtbarkeiten erzählen oft mehr über den gegenwärtigen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit als das vermeintlich Offensichtliche. […] Vielmehr geht es uns darum, ein hegemoniales Denken und eine Geschichtsschreibung zu dezentrieren, die zum einen zahlreiche Leerstellen und blinde Flecken aufweist, was deutsche Kolonialgeschichte angeht, und die zum anderen allzu oft weiße Männer und ihre ‚Heldentaten‘ in den Mittelpunkt stellt.“ (Bahl/Pfeiffer 2015: o.S.) (*2)
Zum Zweiten werden auf der Homepage mapping.postkolonial.net thematische Stadtrundgänge vorgeschlagen, mithilfe derer man sich selbst mit einem Smartphone oder Tablet auf Spurensuche begeben kann. Man kann aber ebenso gut ohne vorgegebene Route seine Umgebung entdecken, indem man einzelnen Spuren folgt, die man selbst auswählt. Diese Stadtrundgänge können auf Anfrage von Gruppen und Schulklassen gebucht werden.
Zum Dritten ist die Homepage mapping.postkolonial.net als eine Art post/koloniales Archiv der Stadt München zu betrachten, in dem die verborgenen und verdrängten post/kolonialen Spuren, Ablagerungen, Erinnerungen und Geschichten lesbar und sichtbar gemacht werden, um somit die weiter bestehende Reproduktion von kolonialem Wissen zu unterlaufen. Nach Zara S. Pfeiffer ist mapping.postkolonial.net eine alternative Karte und ein alternatives Archiv der Wissensproduktion, das sich der kolonialen Wissensproduktion entgegenstellt:
„[…] Aus diesem Zusammenspiel entsteht eine post/koloniale Karte von München, die als Archiv die historischen Spuren und Erzählungen mit gegenwärtigen Fragen und Perspektiven verbindet. mapping.postkolonial.net ist damit eine Karte, die gleichermaßen versucht, das Archiv als Ort der Wissensproduktion sichtbar zu machen und dabei die Kontingenz des Vergangenen im Gegenwärtigen zu thematisieren. […] Ein solches Vorgehen bedeutet, die Eindimensionalität, Zufälligkeit und Brutalität der kolonialen Wissensproduktion in den Blick zu nehmen, die noch heute die Art und Weise, wie Wissen erzeugt, verwaltet und verbreitet wird, prägt, und sie mit widerständigen und dekolonisierenden Wissensprozessen zu provinzialisieren.“ (Pfeiffer 2013: o.S.) (*4)
Veronika Aqra, Verena Höller, Stefanie Niesner ( 2016): Salzburg – München – Zürich. Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/salzburg-munchen-zurich/