Teilhabe am Wissen

„Part-of Relation“ oder performative Forschung im Feld der Kunst

Einleitung

Der vorliegende Text reagiert auf die Neubewertung der Begriffe Forschung und Partizipation im neoliberalen Kontext des dritten Kapitalismus. Standen Forschung und Partizipation einst für Selbstbestimmung und Emanzipation, sind sie heute mit normierter Selbstoptimierung und einer faden Mitmachideologie verknüpft. Anstelle einer vermeintlich kritischen Umkehrung der Beurteilung des emanzipatorisch-kritischen Gehalts von Forschung und Partizipation versuchen folgende Überlegungen das Forschen als Teilhabeprozess kenntlich zu machen, um damit neue Ansatzpunkte für eine kritische Perspektivierung dieser Praxis zu eröffnen. Forschen ist dabei nicht als Instanz verstanden, sondern vielmehr als ein Medium des menschlichen Welt- und Selbstverhältnisses.

Die Reflexion des Forschens als Teilhabe am Wissen wird in drei Schritten entwickelt. Zunächst werden in einer historischen Perspektive die mit der Forschung verknüpften Versprechen im Feld der Kunst, der Pädagogik und der Wissenschaft dargelegt. In einem weiteren Schritt werden Forschung und Wissen unter aktuellen Bedingungen des dritten Kapitalismus und wissenschaftstheoretischen wie ästhetischen Konzeptualisierungen reflektiert. Die historische und theoretische Annäherung an die Frage des Wissens versucht, der Polarisierung von Kunst und Wissenschaft entgegenzuarbeiten, um zu verhindern, das Wissen der Künste als das schlechthin andere aufzurufen oder zu beschwören. Abschließend werden in diesem Sinne zwei künstlerische Beispiele vorgestellt, die im Feld des Wissens qua ästhetischer Verfahren agieren und Prozesse des Forschens und Denkens auf der Ebene der Praxis und der Darstellung wirksam werden lassen. Sie durchkreuzen, so die These, das Wissensfeld kritisch, ordnen es neu, ohne zum vermeintlich Anderen des Wissens zu werden – gleichwohl ermöglichen sie ein anderes Wissen.

Das gesellschaftliche Versprechen der Forschung

In Folge der aktuellen Wissenschaftspolitik wird eine Forschung ohne Drittmittel zunehmend an den Rand gedrängt und die Akquise von Drittmitteln wird zum Instrument, um die Forschungsqualität zu messen. Hierdurch werde Forschung, so die Kritik, auf eine standardisierte Normalwissenschaft reduziert und ihre Innovationskraft, Originalität und Kreativität eingeschränkt (vgl. Münch 2006).star (*19) „Forschung“ war jedoch und ist noch mit einem emanzipatorischen Versprechen verknüpft und dies im Feld der Künste und der Wissenschaften. Zahlreiche visuell schaffende Künstler_innen bezogen sich Ende der 1960er Jahre in ihrer nachdrücklichen Infragestellung des sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Systems und in ihrer Selbstbefragung der Kunst auf die Forschung und erhofften sich, ausgehend von ihr neue Inhalte und Verfahrensweisen entwickeln zu können. So hat beispielweise Allan Kaprow 1964 gefordert, dass „Forschung (pure research) in Kunst und Kunstausbildung wie in jedem anderen akademischen Feld vorangetrieben werden sollte; es müsse ein Avantguarde-Think-Tank [!] in Bewegung gesetzt werden, um die oft allzu vorsichtige akademische Gemeinschaft zu beleben.“ (Holert 2011: 39)star (*9) Kaprow brachte „die Figur des Künstlers oder der Künstlerin [in Erscheinung], die sich in ein strategisches Verhältnis zu Forschung und zur universitären Welt setzt und nach einer kritischen Neuordnung der Wissens- und Praxisfelder verlangt“ (ebd.).star (*9) Im europäischen Kunstraum hat Günter Metkens Begriff der „Spurensicherung“ die Aufmerksamkeit auf forschende Ansätze in der Kunst gelenkt. 1974 kuratierte Metken gemeinsam mit Uwe M. Schneede die Ausstellung Spurensicherung: Archäologie und Erinnerung im Kunstverein Hamburg. Gezeigt wurden Arbeiten von Künstler_innen aus Frankreich, Italien und Deutschland, die sich durch Methoden auszeichneten, die jenen der Geschichts- und Sozialwissenschaften vergleichbar sind. 1977 folgte dann Metkens Publikation Spurensicherung. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung. Fiktive Wissenschaft in der heutigen Kunst. 1978 kuratierte Wulf Herzogenrath im Kölner Kunstverein die Ausstellung Feldforschung und bezieht sich mit diesem Titel auf die in der Ethnologie gängige Arbeitsmethode der teilnehmenden Beobachtung. 1979 realisierte Schneede gemeinsam mit Künstler_innen die Ausstellung Eremiten? Forscher? Sozialarbeiter? Das veränderte Selbstverständnis von Künstlern. Das Vorwort ist mit „Die Ausstellungskonzeptoren“ unterzeichnet und offensichtlich dem Anspruch verpflichtet, gängige Hierarchien zwischen Kunstpraxis und Kunsttheorie aufzubrechen. Die Teilhabe verschiedener Personen an dem Vorwort wird markiert, indem man darauf verweist, dass die von den Arbeitsgruppen-Mitgliedern stammenden Kommentare und Korrekturen berücksichtigt wurden. In dem Text wird das im Titel aufgeworfene Selbstverständnis reflektiert und es heißt: „Sind Künstler heute Eremiten? Forscher? Sozialarbeiter? Eremiten zwar nicht im Sinne eines Einschlusses ins Abseits, aber als Außenseiter und als solche, die sich verweigern, dennoch aber unabdingbar Bestandteil der Gesellschaft sind. Forscher zwar nicht im naturwissenschaftlichen Sinne, aber als Experimentatoren und als solche, die Fragen nach dem stellen, was sich hinter den Fassaden abspielt. Sozialarbeiter auch nicht im Wortsinn, aber als solche, die überkommene Grenzen der ästhetischen Produktion aufzubrechen versuchen, um in unmittelbare Kommunikation mit den anderen zu treten, für die sie arbeiten.“ (Hossmann et al. 1979: 11)star (*10)

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In ähnlicher Weise perspektiviert die Kulturwissenschaftlerin und Performerin Sibylle Peters die Forschung. Sie macht in ihren wissenschaftlichen und künstlerischen Projekten den Begriff der künstlerischen Forschung stark und versucht, „vielen Menschen, Nicht-Künstler_innen und Nicht-Wissenschaftler_innen, [zu] ermöglichen […], sich an Forschungsprozessen zu beteiligen.“ Peters stellt sich dabei der Herausforderung, Forschungsprozesse zu initiieren, „an denen potentiell – je nach Forschungsfrage, Feld der Untersuchung und Art des Problems – alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligt sind“. (Peters 2013: 11f.)

Das Forschende Lernen setzt sich das Ziel, Wissenschaft als sozialen Prozess erfahrbar werden zu lassen und stellt sich in die Tradition jener geistigen Väter, welche die Universität als eine Bildungsinstitution begriffen.

Das Forschende Lernen vermittelt dementsprechend, folgt man der einschlägigen Literatur, nicht notwendig berufsrelevantes Wissen, es fördert vielmehr „Kernkompetenzen für Berufsfähigkeit in hochqualifizierten Berufen bzw. Professionen“; etwa den „Umgang mit Unbestimmtheit“, der im Forschen gebraucht und geübt werde und ein nachhaltiges „tiefes Lernen“, bei dem der Lernende „sein Wissen selbst organisiert, es elaboriert und kritisch reflektiert.“ (Huber 2009: 17).

Christian Ludwig nennt vier neue Deutungen des Kapitalismus: Dies sind: „Globaler Kapitalismus“ (Ulrich Beck und Michael Hardt/Antonio Negri), „Ökologischer Kapitalismus“ (Thomas Barth und Christoph Görg), „Finanzmarktkapitalismus“ (Christoph Deutschmann und Paul Windolf) und „Netzwerkkapitalismus“ (Luc Boltanski/Ève Chiapello und Manuel Castells). Im neuen Kapitalismus, der die Sozialkritik und Künstlerkritik aufgenommen hat, wird den Individuen eine wesentlich höhere Bedeutung auferlegt, ganz besonders dann, wenn sie in der Lage sind, ihre eigenen Leistungen den geforderten Rahmenbedingungen anzupassen. (Ludwig 2013: 132, 222)

Die Autonomieforderungen und Verantwortungszuschreibungen sind heute auch Instrumente einer neuen Herrschaftspraxis, die der Ideologie eines neoliberalen Marktes förderlich ist.

Der im 17. Jahrhundert ausgebildete neuzeitliche Erkenntnis- und Wissenschaftsbegriff, wie ihn Descartes nachdrücklich vertrat, setzte allein auf das denkende Ich und begegnete der sinnlichen Wahrnehmung mit äußerstem Misstrauen. Zur Entwicklung der Ästhetik vgl. grundlegend den Eintrag „Ästhetik/ästhetisch“ der Ästhetischen Grundbegriffe. Eine historische Darstellung der Entwicklung der Ästhetik als wissenschaftliche Disziplin gibt darin Dieter Kliche (2000). Die grundlegende Abhandlung in diesem Kontext ist bekanntermaßen die 1750 von Alexander Gottlieb Baumgarten veröffentlichte Aesthetica. Der Aesthetica gingen zahlreiche Schriften und Debatten voran. So sprach sich etwa Leibniz gegen einen kategorialen Unterschied zwischen Verstand und Sinnlichkeit aus und begriff diese als verschiedene Erkenntnisformen. Baumgarten selbst hat in verschiedenen der Aesthetica vorausgehenden Schriften, den Begriff der Ästhetik eingeführt und populär gemacht. (Baumgarten 2007)

Erst indem ein Inneres im Äußeren, das heißt einem Medium „sich zu erkennen (gibt)“, wie es in den Vorlesungen über die Ästhetik heißt, erhält das Geistige eine wahrnehmbare Präsenz – „eine Erscheinung, die etwas bedeutet“; sie stellt sich folglich „nicht selber und das, was sie als äußere ist, vor, sondern ein anderes. (…) Ja, jedes Wort schon weist auf eine Bedeutung hin und gilt nicht für sich selbst“ (ebd., 6).

Reflexion wird hier als eine geistige Tätigkeit verstanden, die sich auf die Denk- und Vorstellungsakte selbst richtet.

Die Teilhabe am Wissen meint hier nicht allein die vermeintlich aktive Tätigkeit eines/einer Forschenden, sondern – dies wird gerade im Kontext des dritten Kapitalismus evident – der Beitrag am Wissen durch ein gemeinhin alltägliches Surfen im Netz.

Infolgedessen sind meine Lesarten der folgenden künstlerischen Beispiele keine essentialistischen Bestimmungen von einem Wissen der Kunst, sie fokussieren vielmehr Praktiken und Darstellungsstrategien, die eine kritische Wissenspraxis in Aussicht stellen.

Das 1983 fertig gestellte 15-minütige, unter der Regie von Sam Samore produzierte Video zeigt Pipers Lessons an der University of California, Berkeley. Ausschnitt unter: http://www.adrianpiper.com/vs/video_fl.shtml

Laut Piper gelang es, die ausgelösten Reaktionen in kleinen parallel zu den Events veranstalteten Gruppen zu artikulieren und manchmal auch abzubauen. Das Ergebnis solcher Treffen schildert sie als „kathartisch, therapeutisch und intellektuell stimulierend“ (Piper 2002: 236).

Foucault beschreibt mit „Gouvernementalität“ die Verbindung zwischen den Technologien der Beherrschung anderer und den Technologien des Selbst. In der Familie wie in Institutionen – etwa der Schule, den Krankenhäusern und Unternehmen – werden (Selbst-)Praktiken eingeübt, durch die sich das Individuum in irreduzibler Weise auf sich selbst bezieht und sich subjektiviert. (Foucault 2007).

So schreibt beispielsweise Wulf Herzogenrath in seinem Vorwort im Ausstellungskatalog Feldforschung: „Kunst wird klischeehaft mit subjektiv, genialisch individuell gleichgesetzt, obwohl von Anfang an der Künstler mit dem Handwerker und dem Wissenschaftler eng verbunden war. Künstler haben immer nüchtern beobachtet, wissenschaftlich analysiert, Erfindungen gemacht, wenn sie natürlich auch im Bereich ihrer Themen und ihres Mediums blieben“. (Herzogenrath 1978: 4)

Oliver Marchart erkennt in den Cultural Studies den Versuch einer allgemeinen „Neulegitimation der humboldtschen Universitätsidee durch eine mehr oder minder zeitgemäße Reformulierung des Kulturbegriffs“. Die Versprechen der Cultural Studies sind lnterdisziplinarität, Politisierung von Lehrinhalten und die Überwindung des Theorie-Praxis-Gap (vgl. Marchart 2001: 132).

Elke Bippus ( 2016): Teilhabe am Wissen. „Part-of Relation“ oder performative Forschung im Feld der Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/teilhabe-am-wissen/